STUTTGART. Eigentlich sollte er nach der Partie nur den schwachen Auftritt seiner Mannschaft erklären und die Pfiffe der eigenen Fans kommentieren. »Die Spieler haben alles versucht«, beschrieb Coach Domenico Tedesco die Druck-Situation seiner belgischen Fußball-Nationalelf, nicht verlieren zu dürfen. Und holte dann mit ruhiger Stimme auf Englisch zu einem Rundumschlag aus.
»Wir hatten eine schlechte Vorbereitung auf dieses Spiel. Das ist die Wahrheit«, sagte er, nachdem er die offenbar ungewöhnliche Anreise vor Beginn der Partie mit den Worten eingeleitet hatte: »So etwas habe ich noch nie gesehen.« Er meinte damit die wenigen Kilometer vom Hotel ins Stadion. »Die Anfahrt dauerte ungefähr eine Stunde, obwohl die Straßen komplett frei waren. Wir wurden von der Polizei eskortiert, ohne Blaulicht. Wir sind mit 20 oder 25 Stundenkilometern gefahren und haben an jeder Ampel gehalten«, sagte Tedesco und drückte seine Fassungslosigkeit mit den Worten aus: »Das ist unglaublich, wirklich unglaublich.«
Gang zu den Fans fällt aus
Man sei dann so spät in die Arena gekommen, dass er nur noch eine zweiminütige Ansprache ans Team habe halten können. Ein anderer Kritikpunkt von ihm: Dass seine Spieler während der Partie mit Laser-Pointern geblendet wurden. Offenbar sei alles erlaubt, monierte der 38-Jährige mit resignativer Geste. Auch habe man im ersten Turnierspiel nicht wirklich Glück gehabt. Ein anderes Thema überlagerte den schwachen Auftritt seiner Mannschaft, der seit Jahren immer wieder Großes zugetraut wird. Die Pfiffe der verärgerten belgischen Fans waren das Eine, die Reaktion der Mannschaft darauf eine Andere. Die Roten Teufel wollten zunächst zu den Anhängern in die Fankurve gehen, doch Kapitän Kevin De Bruyne brach das Vorhaben ab. Daraufhin steigerte sich die Lautstärke der Pfiffe noch.
Auch schon die Wechsel und die Mutlosigkeit des Teams am Schluss, statt langer Ecken nur noch kurze zu spielen, um nicht noch in einen Konter zu laufen, verärgerte die Anhänger. »Das war ein bisschen überraschend. Wir müssen es akzeptieren. Wir brauchen die Fans auf jeden Fall«, kommentierte Tedesco den Unmut auf den Rängen. Ob er gesehen habe, dass De Bruyne das Team auf dem Weg zur Tribüne zur Umkehr bewogen habe, wurde er gefragt. Nein, antwortete Tedesco und verteidigte den Kopf des Teams: »Seine Ansprachen vor und nach dem Spiel - er ist top als Spieler und als Kapitän.« Zudem hätten laut Plan Spieler nach dem Ende der Partie sich auslaufen müssen. Defensivspieler Jan Vertonghen, mit 37 Jahren der Senior des Teams, konnte den Ärger der Anhänger nur begrenzt nachvollziehen. »Sie wollen, dass wir dominieren und sechs bis acht Tore pro Spiel schießen«, sagte der 37-Jährige vom RSC Anderlecht.
»Wir können gegen jeden bestehen«
Trotz der Magerkost sagte Tedesco, dass er stolz auf sein Team sei, nach der Auftakt-Niederlage in die K.o.-Runde gekommen zu sein: "Es gibt keine kleinen Mannschaften mehr. Alle haben wirklich Mentalität." In dieser Verfassung muss sich seine Crew im Achtelfinale am Montag (18 Uhr) in Düsseldorf gegen Vize-Weltmeister Frankreich mit der Rolle des krassen Außenseiters begnügen. Tedesco sieht keinen Nachteil darin, nun auf Kylian Mbappé, Olivier Giroud & Co. zu treffen. »Wir können gegen jeden bestehen«, ist der Deutsch-Italiener überzeugt. (GEA)