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Alarm bei Favorit England: Fans wenden Team den Rücken zu

Wenn sogar die treuen Fans der »Three Lions« ihrer Mannschaft den Rücken zuwenden, ist Gefahr im Verzuge.

Zufriedenheit sieht anders aus: Englands Trainer Gareth Southgate (links) mit seinem Unterschieds- und Schlüsselspieler Jude Bel
Zufriedenheit sieht anders aus: Englands Trainer Gareth Southgate (links) mit seinem Unterschieds- und Schlüsselspieler Jude Bellingham. FOTO: HALISCH/WITTERS
Zufriedenheit sieht anders aus: Englands Trainer Gareth Southgate (links) mit seinem Unterschieds- und Schlüsselspieler Jude Bellingham. FOTO: HALISCH/WITTERS

FRANKFURT. Vielleicht ist ganz gut, dass die Wege durch den Frankfurter Stadtwald weit und die Wartezeit an der S-Bahn-Haltestelle Stadion bisweilen lang ist. Frische Luft half dem einen oder anderen Engländer, seine Enttäuschung aufzuarbeiten – zumal sich in der Peripherie ja kein Pub befand, wo der Frust einfach hätte ertränkt werden können. Erst die frühen Pfiffe aus der Nordwestkurve, dann der fast fluchtartige Aufbruch der Gefolgschaft: Die Alarmsignale sind für einen Turnierfavoriten nach einem abermals ernüchternden EM-Gruppenspiel gegen Dänemark (1:1) weder zu überhören noch zu übersehen.

Verteidiger Kieran Trippier war mit Schlusspfiff rücklings auf den losen Rasen gekippt. Ein Sinnbild: Umwerfend uninspiriert hatte dieses mit so viel mehr Qualität gesegnete Team seinen Stiefel runtergespielt. Nicht mal Trainer Gareth Southgate trösteten die mit einem minimalistischen Ansatz ergatterten vier Punkte. »Ich kann den Frust der Fans nachvollziehen. Wenn wir unser Niveau nicht erreichen, müssen wir diese Reaktion akzeptieren. Die Jungs geben aber alles. Vielleicht wollen sie sogar zu viel«, sagte der 53-Jährige, dessen letzte These nicht passte.

Andere Mannschaften nehmen die außergewöhnliche Atmosphäre überall als Ansporn, das Limit auszureizen. Sie machen Extrameter, werfen sich in Zweikämpfe. Nur die hochbezahlten Stars von der Insel führen »Quiet Quitting« vor. Dienst nach Vorschrift.

Mit die unattraktivste Spielweise

Kaum ein EM-Teilnehmer hat bislang weniger Unterhaltung angeboten. Und das verärgert dann auch diejenigen, die das Trikot mit dem St.-George-Kreuz nach Deutschland gebracht haben; die in Frankfurt eine Nacht zu Fantasiepreisen in Hotels im heruntergekommenen Bahnhofsviertel verbringen, weil sie nach 58 Jahren ohne Titel immer noch von der Erfüllung einer Sehnsucht träumen.

Wenn allerdings die leidensfähigen Fans auf den Rängen kein leidenschaftliches Feedback auf dem Rasen spüren, reißt das Tischtuch. Das Ballgeschiebe nervt, die Einfallslosigkeit ermüdet, die Ideenarmut erschreckt. Warum dreht Declan Rice jedesmal ab, wenn er nach vorne spielen könnte? Warum wagt Jude Bellingham nur einen Steilpass, der sofort Torgefahr erzeugt? Und Harry Kane? Schießt erst sein 64. Länderspieltor, um mit einem hanebüchenen Fehlpass selbst den Ausgleich zu verschulden. Der sogar ausgewechselte Bundesliga-Torschützenkönig vom FC Bayern hat auch noch keine Verbindung zu der EM in seiner Wahlheimat aufgebaut. »Ich weiß, dass es zu Hause wahrscheinlich viel Lärm und ein wenig Enttäuschung geben wird, aber das haben wir auch bei der letzten EM erlebt«, tröstete sich der Torjäger, derweil sein Trainer die Verantwortung auf seine Schultern lud. »Ich muss das Team bestmöglich begleiten, um besondere Dinge zu erreichen«, räumte Southgate ein.

Vor drei Jahren hatte sein Ensemble zwar anfänglich auch nicht verzückt, aber als das emotionale Achtelfinale in Wembley gegen Erzrivale Deutschland gewonnen war, heiligte der Zweck bis zum Finaleinzug alle Mittel. Den Landsleuten genügte in der Pandemie die Effizienz. Nun aber fragt sich die Insel, warum die Handbremse so fest angezogen ist. Der immerhin sein viertes Turnier verantwortende Teamchef Southgate spürte das Unbehagen und den Unmut. »Natürlich sind wir enttäuscht von den beiden Leistungen. Wir müssen intelligente Lösungen für diese Probleme finden«, sagte der 53-Jährige. Einfacher gesagt als getan.

Null Konzept erkennbar

Ein Konzept ist nicht im Ansatz erkennbar. Immerhin wissen die Engländer vor dem letzten Gruppenspiel gegen Slowenien (Dienstag 21 Uhr), in welcher Konstellation sie den Gastgeber umgehen können. Wenn es zu diesem Klassiker kommen sollte, würden Kontraste aufeinandertreffen: Hier die deutsche Elf, die das Publikum mitreißt. Da ein englisches Team, das die Kulisse eingeschläfert. Ein Vize-Europameister der Lethargie. Besorgnis erregend zudem: die Gleichgültigkeit der Protagonisten. »Wir stehen auf Platz eins, also konzentrieren wir uns auf das letzte Gruppenspiel. Lasst uns das als einen Punkt werten, als einen wohlverdienten Punkt«, richtete Kyle Walker aus. Der Verteidiger von Manchester City müsste eigentlich auch wissen, was sich an dunklen Wolken über dem Team England zusammenbraut. Oder bekommen sie ihrer Wohlfühloase im Weimarer Land weit draußen im thüringischen Blankenhain davon nichts mit? (GEA)