FRANKFURT. Dass der neue Geschäftsführer Sport des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Tag seiner offiziellen Vorstellung in Frankurt eine neue Gesprächsebene - wenn auch zunächst vergeblich - mit dem FC Bayern München andeutete, mag man als Vorwegnahme der nächsten Personalentscheidung des größten Sportfachverbandes der Welt interpretieren. Rettig wird gewusst haben, dass das Pendel in der Nachfolge des beurlaubten Hansi Flick aller Voraussicht nach in Richtung von Julian Nagelsmann ausschlagen wird. Schwer vorstellbar, dass der angeschlagene Präsident Bernd Neuendorf seinen neuen Geschäftsführer Sport nicht in seine Planungen einweihte. Auch wenn die offizielle Bestätigung aus Frankfurt noch aussteht, an der neuen Schlagrichtung besteht kein Zweifel mehr.
Louis van Gaal und Stefan Kuntz waren nie eine ernsthafte Option, auf die Verpflichtung des Wunschkandidaten Jürgen Klopp bestand nie eine ernsthafte Chance, und dass es sich bei Julian Nagelsmann um einen der talentiertesten Vertreter seine Zunft handelt wird durch die Freistellung durch den Rekordmeister nur unwesentlich getrübt. Nagelsmann muss die neue Aufgabe, die Nationalmannschaft unfallfrei in Richtung Europameisterschaft im eigenen Lande und beim Turnier möglichst weit zu bringen, erheblich gereizt haben. Sonst verzichtet man nicht auf viel Geld.
Nagelsmann soll wie Rettig für den neuen Kurs stehen. Dass Neuendorf diesen Weg einschlägt, kann nicht überraschen. Weil es seine letzte Chance ist, im Amt Profil zu beweisen. Das er bislang schuldig blieb. Rettig ist ein kritischer Mensch, der seine Meinung offen sagt, unabhängig von der Umgebung, der aber nicht die Auseinandersetzung um jeden Preis sucht. Rettig war bei bei seiner Vorstellung ehrlich genug, zuzugeben, dass »ich meine Orientierung erst noch finden muss« beim DFB, als er sich auf dem weitläufigen Campus verlaufen hatte. Den Zustand des Dachverbandes nennt der in Köln wohnende Leverkusener, ehemals Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga DFL und erfolgreicher Manager beim SC Freiburg, dem 1. FC Köln und dem FC Augsburg, Finanzchef beim Zweitligisten FC St. Pauli und Vorsitzendem der Geschäftsführung beim Dritlligisten Viktoria Köln, »wirtschaftlich herausfordernd, sportlich schwierig, aber mit Lichtblicken«. Das wird Julian Nagelsmann ebenso beurteilen.
Trotzdem ist die Berufung der beiden Strategen nicht nur ein möglicher Wechsel auf Zukunft, ein Wagnis ohnehin und ganz sicher nicht ohne Risiko. Dass die einstimmige Berufung von Rettig schon kurz nach der Verkündung zu Rücktritten von Bayerns Aufsichtsratsmitglied Karl-Heinz Rummenigge und RB Lepzigs Aufsichtsratsvorsitzenden Oliver Mintzlaff aus der von Neuendorf gebildeten Task Force des DFB führte, war fast keine Überraschung, die Berufung von Nagelsmann wird auch nicht jeder in der Szene gut finden. Meinungsverschiedenheiten sind förderlich so lange sie den Bestand des Gesamtganzen nicht gefährden.
Hans-Joachim Watzke, als Denker und Lenker von Borussia Dortmund, Vizepräsident des DFB und Aufsichsratsvorsitzender der DFL der starke Mann im deutschen Fußball, spricht offen »von konträren Ansichten«, wenn es um die Person von Andreas Rettig geht, auch Rudi Völler von »vorhandenen Meinungsverschiedenheiten in elementaren Fragestellungen des Fußballs«, aber wenn der Erfolgsweg lange Vergangenheit ist, können die bisher Tätigen schwerlich alles richtig gemacht haben. Neuanfang ist angesagt, Weichenstellung gefordert. Und der pathetische Satz von Rettig, dass »wir nicht nur die Portemonnaies erreichen, sondern auch die Herzen«, hört sich angesichts der neuen Richtung im Verband schon gar nicht mehr nach übetriebenem Pathos an. Voraussetzung dafür ist wie immer, dass den Worten Taten folgen. Das ist die Herausforderung für Rettig und Nagelsmann. (GEA)