REUTLINGEN. Als die GEA-Lokalredaktion ihrer Leserschaft im Mai 1998 den neuen Geschäftsführer der Reutlinger Volkshochschule, Dr. Ulrich Bausch, vorstellte, hatte dieser erst wenige Tage zuvor im Chefsessel der Bildungsstätte platzgenommen und seinen langjährigen Vorgänger Hans Haußmann beerbt. Das Interview fand an einem sonnigen Vormittag statt: in Bauschs Büro, bei bester Plauderlaune und mit Blickrichtung Zukunft.
Ein Bein lässig übers andere geschlagen, hatte der damals 38-Jährige davon gesprochen, dass er vorläufig keine »aufsehenerregenden Veränderungen« plane, weil für Innovationen jedweder Art schlichtweg das Geld fehle. Der Grund: Habhafte Kürzungen von Landesmitteln hatten Reutlingens VHS damals in schwere Wasser geführt. Und »Kapitän« Bausch betonte, dass es empörend, nachgerade skandalös sei, wenn die Politik »ausgerechnet an der Bildung« spare. »Ich mache mich auf einige magere Jahre gefasst«, ließ er darob wissen.
Zum Einstand: Verhaltener Optimismus
Gleichwohl zeigte sich der gebürtige Bönnigheimer, den es über Göppingen und die USA, Tübingen und Ludwigsburg an die Echaz verschlagen hatte, verhalten optimistisch. Vor allem aber kämpferisch. Mochte er sich doch nicht damit abfinden, »defizitäre Angebote« - etwa Kurse für Analphabeten - wegen finanzieller Engpässe aus dem Programm zu streichen. Sein Credo: »Wir sind eine Schule für ausnahmslos alle.« Und damit basta.
Jetzt, 28 Jahre später, sitzen Presse und Bausch abermals im Chef-Büro. Wieder ist es ein sonniger Mai-Vormittag, wieder hat der mittlerweile weithin bekannte und (international) vernetzte Geschäftsführer ein Bein lässig über das andere geschlagen. Abgesehen davon erinnert indes nur wenig an die Gesprächssituation von 1998.

Denn während der zurückliegenden Jahre hat sich enorm viel getan: weil Kapitän Bausch und seine Crew die Reutlinger Volkshochschule binnen Kurzem aus den schweren Wassern der Millenniumszeit hinausnavigieren, das Ruder rumreißen und die VHS seither auf Erfolgskurs halten konnten. Und: weil sie entgegen Bauschs Antrittsprognose doch sehr schnell, sehr viel Mut zu innovativer Veränderung aufbrachten - übrigens stets mit voller Rückendeckung des VHS-Aufsichtsrats, des Reutlinger Stadtparlaments sowie der Bürgermeisterriege.
Dafür ist der scheidende »Mister VHS« bis heute »sehr, sehr dankbar«. Also dafür, dass Verwaltung, Kommunalpolitik und Kontrollinstanz ihm und seinem Team für die Dauer von fast drei Dekaden jede Menge Vertrauen entgegengebracht und weitgehend freie Hand gelassen haben. Was beileibe keine Selbstverständlichkeit sei. »Das weiß ich zu schätzen.«
Konmsequent an einem Strang gezogen
Nicht minder wertvoll: das konstruktiv-kollegiale Miteinander in der Spendhausstraße und ihren Dependancen. Hier wurde, wie der studierte Politik-, Kultur- und Rechtswissenschaftler sagt, von Anbeginn konsequent an einem Strang gezogen und munter diskutiert. Etwa bei samstäglichen Arbeitsfrühstücken, in deren Rahmen »wildes, lautes Denken« ausdrücklich erwünscht war.
Zum Besten der VHS. Zeitigte das kollektive Brainstormen bei Brötchen und Brezeln doch zahlreiche Ideen, die zu Erfolgen gerieten, auf die Bausch »überaus stolz« ist. Beispielsweise, dass es schon zu Beginn seiner Geschäftsführertätigkeit gelang, der Jugendkunstschule (Juks) zu einem eigenen Etat zu verhelfen und somit Querfinanzierungen überflüssig zu machen. »Der Gemeinderat hat’s gebilligt« und dafür gesorgt, dass das zarte Pflänzchen Juks aufblühte und weiterhin prächtig gedieh. Ebenso wie die Ergotherapie-Schule.
Dann: ein Meilenstein in der Reutlinger Volksbildungs-Geschichte, die Gründung des Business & Management-Instituts. Vorausgegangen war ihr ein Gespräch, an das sich Ulrich Bausch lebhaft erinnert. Ein Reutlinger Unternehmer war’s, mit dem er am Rande einer Veranstaltung parlierte und der dem VHS-Chef unverblümt ins Gesicht sagte, dass er seine Führungskräfte zu Fort- und Weiterbildungszwecken niemals in eine Volkshochschule schicken würde.

Holladiewaldfee! Das hatte gesessen. Das ließ aufhorchen und machte Bausch bewusst, wie es in Reutlingens Chefetagen um das Image »seiner« Bildungsstätte bestellt war. Nämlich mau. Und das, obschon der VHS-Leiter doch alle Hebel in Bewegung setzte, sein Ideal von einem »Lernort der Freiheit und Selbstverwirklichung«, von einer »Schule für alle« zu realisieren. Also betont auch für Manager von heute und morgen.
Das Geschäftsfeld sukzessive vergrößert
Doch, was tun? Ganz klar: Konsequenzen ziehen. Bausch und sein Team schickten sich nach der Jahrtausendwende nämlich an, ihr Geschäftsfeld sukzessive zu vergrößern - mit dem definierten Ziel, die Reutlinger Erwachsenenbildung jenseits ihres klassischen Portfolios um akademische Angebote zu erweitern; mit einem Konzept, das auf bedürfnisorientierte Passgenauigkeit setzt.
»Wir fragen Firmen: 'Was braucht ihr genau' und bieten dann maßgeschneiderte Lösungen an« - sei’s in puncto Sprachkompetenz oder Personalführung, sei’s in puncto IT oder KI. Das überzeugt, wie der Zuspruch beweist. Stark nachgefragt außerdem: die in der Ära Bausch aus der Taufe gehobene Reutlinger Gesundheits- sowie Design- und-Kunst-Akademie und die Reportageschule.
Der heute 65-Jährige spricht in diesem Zusammenhang von der Schaffung eines »Sub-Marken-Konzepts« und davon, dass es eben dieses Konzept war, das der Bildungsstätte Jahr für Jahr zu schwarzen Zahlen und Rücklagen verholfen hat. So lange, bis die Corona-Lockdowns kamen und mit ihnen ökonomisch existenzbedrohliche Wochen.
Doch auch diesmal glückte der »Turnaround«. Bausch: »Wir haben uns sofort dazu entschlossen, auf digital umzuschalten. Not macht ja bekanntlich erfinderisch.« Vom Töpfern für Kinder bis hin zu Fremdsprachenkursen - »wir haben das durchgezogen und konnten unsere Kundschaft tatsächlich halten. 500 Web-Kurse liefen damals parallel, und wir benötigten keine Sondermittel zur Bewältigung der Pandemie.«
Wieder war es Bausch und seiner Crew gelungen, das Ruder rumzureißen. Um exakt zu sein: zum dritten Mal innerhalb von 28 Jahren. Denn zwischen Millennium und Corona war da noch ein weiterer Klops, den es zu verdauen galt: die Brandschutz-Ertüchtigung und Generalsanierung des VHS-Hauptgebäudes in der Spendhausstraße. »Die lag uns wirklich schwer im Magen.« Denn bei laufendem Betrieb seien Baumaßnahmen einer solchen Größenordnung nicht darstellbar gewesen. Weshalb Tausende Umzugskartons gepackt und Ausweichquartiere für sage und schreibe 1.200 Kurse gefunden werden mussten. Das war im Januar 2017 - und hätte ruinös enden können.
Vier Millionen Euro investiert
Tat es aber nicht. Denn als nach drei Ertüchtigungsabschnitten und rund vier Millionen von der Stiftung Volksbildung und der Stadt Reutlingen aufgebrachten Investitionseuros im September 2017 zum »Re-Opening« geladen wurde, hatten sich schlimme und schlimmste Befürchtungen glücklicherweise nicht bewahrheitet. Alles war gut gegangen.
Jetzt, siebeneinhalb Jahre nach diesem logistischen Kraftakt, blickt Ulrich Bausch zufrieden auf sein berufliches Lebenswerk, das er bei seinem Nachfolger Philipp Marquardt in kompetenten Händen weiß. Auf den Ruhestand freut sich der 65-Jährige. Wiewohl er der bevorstehenden »enormen Veränderung« durchaus mit Respekt begegnet. »Wie wird es sich anfühlen?«, dieses vom Termindruck befreite, selbstbestimmtere Leben, das ihm unter anderem mehr Raum fürs Tennis lässt.
Vorgenommen hat sich Ulrich Bausch, der am 28. Mai von Politprominenz und Wegbegleitern offiziell verabschiedet wird, zunächst »eine Pause einzulegen und Abstand zu gewinnen« - ohne indes einen knallharten Cut zu vollziehen. Denn sein aktuelles Herzensprojekt, die Erneuerung des Reutlinger Planetariums, »die will ich noch weiterbegleiten«. Ist die der VHS angeschlossene Sternwarte für den 65-Jährigen doch so etwas wie »ein Rohdiamant, der zum Glänzen gebracht werden sollte«. (GEA)