STUTTGART. Die Metzingerinnen haben sich ihren Traum vom Titelgewinn erfüllt. Sieben Jahre nach dem letzten Pokal-Finale und im insgesamt vierten Finale ihrer Club-Geschichte nutzten sie ihre Chance und stürzten den großen Favoriten SG BBM Bietigheim mit 30:28 (15:17) vom Thron. Es gab Küsse auf den Pokal, Freudentränen flossen, selbst bei Trainer Werner Bösch, Geschäftsführer Ferenc Rott und den Betreuern. Die zahlreichen nach Stuttgart gekommenen Fans feierten die Mannschaft, die eine sensationelle Leistung gezeigt hatte, damit im nächsten Jahr im Europapokal spielt und auch im Supercup-Spiel am 31. August in Düsseldorf antreten wird.
»Von uns hat keiner etwas erwartet. Wir wussten, dass alle denken, dass wir keine Chance gegen Bietigheim haben. Dann haben wir uns gegenseitig und die Fans haben uns gepusht«, sagte Jana Scheib, die in der zweiten Halbzeit förmlich explodierte und von der SG-Abwehr nie zu stoppen war. »Oh, wie ist das schön«, jubelten die Anhänger, die mit ihrer lautstarken Unterstützung ihren Teil zum großen Coup beigetragen hatten. Dasselbe sang auch später das Team, als es in die Sieger-Pressekonferenz stürmte und Bösch und Maren Weigel dort mit Sekt bespritzte. »Wir sind überglücklich, etwas Einmaliges geschafft zu haben«, sagte Bösch.
Erster Handball-Titelgewinn in der Vereins-Geschichte
Im Moment des großen Triumphs - des ersten Handball-Titelgewinns in der Metzinger Vereins-Geschichte überhaupt - taten sich alle schwer, das Unglaubliche zu erklären. Der David hatte den übergroßen Goliath in die Knie gezwungen. »Es ist nicht möglich, das Ganze in Worte zu fassen«, sagte nicht nur Nationalspielerin Maren Weigel, für die es der glänzende Höhepunkt ihrer im Sommer zu Ende gehenden Karriere war. »So viele haben noch nie so nah am Wasser gebaut«, fügte die 29-Jährige hinzu.
Die Erwartungen vor dem Finale waren bei vielen in der Stuttgarter Porsche-Arena ganz andere. Völlig daneben mit seinem Endspiel-Tipp lag Trainer Herbert Müller vom viertplatzierten Thüringer HC, der eine Metzinger Niederlage mit zehn Toren Differenz getippt hatte. Weit gefehlt. Hätte er nur mal bei Julia Behnke vor der Endrunde nachgefragt, was die Metzinger Co-Mannschaftsführerin dem Team zutraute. Sie habe ein »gutes Gefühl« vor dem Wochenende gehabt, sagte die Kreisläuferin und Abwehrchefin, die als beste Spielerin des Turniers ausgezeichnet wurde. Da auch Marie Weiss als beste Torhüterin geehrt wurde, sahnten die »TusSies« zwei der drei zusätzlichen Ehrungen ab. Lediglich beste Torschützin wurde mit Toni Reinemann vom drittplatzierten VfL Oldenburg eine Nicht-Metzingerin.
Nervöser Start
Das Finale hatten die Metzingerinnen nervös begonnen. Leichte Ballverluste luden Bietigheim zu einfachen Konter-Toren, vor allem über Rechtsaußen Jenny Behrend ein. Nach zehn Minuten lagen die »TusSies« mit 3:7 zurück. Doch zwölf Minuten später stand es 8:8 und das hochkarätig besetzte Team aus Bietigheim hatte seine Überlegenheit verloren. Sehr gute TuS-Abschlüsse vor allem aus dem Rückraum, der gegen Oldenburg noch einen schweren Stand hatte, setzten dem Favoriten zu. Die zweite Metzinger Reihe traf auch in bedrängten Situationen. Egal, wer auf dem Feld stand - alle lieferten ein begeisterndes Spiel ab.
Die TuS spielte sehr diszipliniert, die Wurfauswahl war exzellent, die »TusSies« agierten sehr mutig, auch Spielerinnen wie Verena Oßwald oder Viktoria Woth, die im bisherigen Saisonverlauf meist Einwechselspielerinnen waren, übernahmen Verantwortung beim Wurf, nutzten ihre Torchancen und wuchsen über sich hinaus. Ein weiterer Faktor war wie schon im gewonnenen Halbfinale Torhüterin Kamilla Kantor, die zwei SG-Siebenmeter parierte. Bietigheim hatte so großen Respekt vor ihr, dass der Meister zwei weitere Versuche über das Tor setzte.
Rot verwandelt alle Siebenmeter
SG-Coach Jacob Vestergaard haderte hinterher mit den vergebenen Siebenmetern, hob aber auch die »überragende Metzinger Leistung« hervor, das »sehr verdient« den Titel geholt habe. »Wir haben nicht nur das Torhüter-Duell verloren«, stellte der frühere Bundestrainer fest. Im Angriff kam die TuS über den Kreis immer wieder zu Siebenmetern, die Rebecca Rott allesamt verwandelte. Das Pressing und die Aggressivität in der Verteidigung »schmeckten« Bietigheim überhaupt nicht. Scheib: »Sie haben sich an unserer Abwehr aufgerieben.« Lediglich dank zweier Metzinger Zeitstrafen Ende der ersten Halbzeit ging Bietigheim noch einmal mit drei Toren in Führung 14:17(30. Minute).
Nach dem Seitenwechsel kippte die Partie. Scheib markierte vor den Augen von Bundestrainer Markus Gaugisch den Ausgleich (19:19/36.) und auch die erste Metzinger Führung in dieser Partie zum 22:21 (41.). Torhüterin Weiss stach ihr Gegenüber Gabriela Moreschi auf Bietigheimer Seite aus. Der große Favorit wurde nervös, leistete sich unerklärliche Fehlabspiele. Beim 28:25, das Behnke erzielte, schien Bietigheim bereits geschlagen zu sein, kam aber, als die TuS überhastet abschloss, wieder auf ein Tor heran (28:27/56.).
Nötiges Quäntchen Glück
Aber am Sonntagnachmittag lief alles für die Pink Ladies. Sie hatten auch das nötige Quäntchen Glück, als der Gegner Pfosten und Latte traf und die Schiedsrichterinnen bei 50:50-Situationen zugunsten Metzingens entschieden. Scheib, die insgesamt neun Tore markierte, erzielte in Überzahl das 29:27, Weiss vereitelte eine »Freie« des Favoriten, 23 Sekunden vor Schluss traf wiederum Scheib zum 30:28. Als 15 Sekunden vor Schluss dann Weiss gegen Dorttya Faluvegi Siegerin blieb, ließen die Metzingerinnen in Ballbesitz die letzten Sekunden herunterlaufen, während die fassungslosen Bietigheimerinnen am Schluss gar nicht mehr attackierten.
Kurz darauf begann der Metzinger Feier-Marathon. Scheib: »Das war über 60 Minuten eine überragende Kraft- und Energieleistung - auch von der Bank, den Trainern und Physiotherapeuten.« Behnke sprach das Schluss-Wort: »Ich bin unfassbar stolz, wie wir das gesamte Wochenende aufgetreten sind.« Ein Wochenende, das in die Metzinger Club-Geschichte eingehen wird. (GEA)