BOCHUM. Eigentlich war alles anders geplant. Eigentlich hätte nicht Tigers-Sportdirektor Eric Detlev am Samstagabend in Bochum die Tübinger coachen sollen. Und eigentlich wäre General Manager Philipp Reinhart privat verhindert und bei der Auswärtsreise nicht dabei gewesen. Doch weil an der Entlassung von Trainer Domenik Reinboth kein Weg mehr vorbei geführt hatte, waren beide Club-Verantwortlichen nun mittendrin. Der Eine als Interimstrainer und Kommandogeber an der Seitenlinie. Der Andere als lautstarker Unterstützer auf der Bank, weil er nach dieser turbulenten Woche unbedingt bei der Mannschaft sein wollte.
So oder so: Beide werden die zweitägige Reise in den Ruhrpott nicht bereut haben. Mit 103:92 setzten sich die Raubkatzen gegen die sechstplatzierten Bochumer durch. Damit zogen die Neckarstädter auch den direkten Vergleich gegen den Play-off-Konkurrenten auf ihre Seite. Ach ja: 103 Punkte bedeuten nebenbei die beste Offensivausbeute in der bisherigen Saison. Und das alles im ersten Spiel unter Detlev, der erst seit Dienstag das Ruder an der Seitenlinie in seinen Händen hält. Noch Fragen?
Zwischen diese Mannschaft passt kein Blatt Papier
»Es war ein guter Spirit auf dem ganzen Trip zu spüren. Ich glaube einfach, dass die Jungs Spaß am Basketball gehabt haben«, berichtete Reinhart nach der Partie dem GEA und erzählte eine spannende Anekdote: »Kurz vor dem Spiel hat Till Jönke nochmal in die Runde gesagt: Lacht jetzt einfach mal. Wir spielen jetzt Basketball.« Es hätte sich anders als in den vergangenen Wochen angefühlt, es sei ein anderer Vibe gewesen.
Der 35 Jahre alte Reinhart betonte weiter: »Man hat heute eine große Lust gespürt. Im ganzen Team. Von Eric über jeden Spieler bis zu Markus unserem Mannschaftsbetreuer.« Das stimmt: Es war beeindruckend, wie die Spieler auf der Bank ihre Kollegen auf dem Parkett unterstützen. Jeder erfolgreiche Wurfe und jede gelungene Aktion wurde mit frenetischem Applaus und lauten Jubelschreien begleitet. Da zeigte sich einmal mehr, dass zwischen diese Mannschaft kein Blatt Papier passt.
Detlev erteilte seinen Spielern Grünes Licht. Sie dürfen wieder machen
Und das, obwohl die Tigers wieder einmal schleppend in die Partie fanden. Etwas mehr als fünf Minuten waren gespielt, da hatten die Tübinger erst sechs Pünktchen auf das Scoreboard gebracht. Sie blickten nach sechs Zeigerumdrehungen einem 8:14-Rückstand entgegen. Was folgte war ein sagenhafter 17:0-Lauf, der eine 25:14-Führung nach dem ersten Viertel für die Gäste zur Folge hatte. Und genau an dieser Stelle lohnt sich ein Blick zurück. Auf die Amtszeit von Ex-Coach Reinboth.
Defensiv hatte bei den Tigers über einen Großteil der bisherigen Saison vieles gestimmt. Aber man konnte die gegnerischen Schwächephase meistens nicht zu seinem Vorteil nutzen. Die Spiele blieben eng. Das war in Bochum in den ersten zehn Minuten nun komplett anders. Und nein: Es liegt nicht daran, dass Interimscoach Detlev innerhalb von vier Tagen 74 neue Offensiv-Plays einstudieren ließ und den Laden einmal komplett auf links drehte. Der kleine, aber am Ende doch so große Unterschied: Der 49-Jährige erteilte seinen Spielern Grünes Licht. Sie dürfen wieder machen und selbstständig Entscheidungen auf dem Feld treffen. Das sorgt für Spaß und schafft Selbstvertrauen. Und Selbstvertrauen versetzt nicht nur im Sport bekanntlich Berge.
Nagle und Oriane wie ausgetauscht
Dafür reicht ein Blick auf Flügelspieler Jay Nagle, der am Ende auf die persönliche Saisonbestleistung von 13 Punkte kam. 40 Sekunden nach seiner Einwechslung verwandelte der 24-Jährige direkt einen schwierigen Wurf aus dem Dribbling. In den vergangenen Wochen hatte man noch das Gefühl, dass der US-Amerikaner beinahe Angst vor dem Werfen hatte und den Ball lieber zum Mitspieler passte. Oder Youngster Silas Oriane, der seit dem 1. Februar die Spiele nur noch von der Ersatzbank verfolgen durfte und nun in Bochum seinen Gegenspielern mit seiner unbändigen Energie in der Verteidigung das Leben zur Hölle machte.
Die Tübinger präsentierten sich wie ausgetauscht. Das gilt jedoch nicht für Center-Talent Vincent Neugebauer. Aber nur deshalb, weil der 22-Jährige bereits in den vergangenen Spielen stark aufspielte. In Bochum kam der Big Man in nur 15 Minuten Einsatzzeit auf sage und schreibe 15 Punkte, neun Rebounds und drei Blocks. Das ist überragend. Mit ihm auf dem Feld erzielten die Tigers 19 Zähler mehr als Bochum. »Richtig stark«, lobte Reinhart den gebürtigen Oldenburger. »Der Junge macht gute Fortschritte. Seine Leistung ist umso stärker einzuschätzen, weil er den ganzen Tag zuvor über Schmerzen im Arm geklagt hatte.«
Vorsicht mit einem vorschnellen Urteil. Aber diese Begegnung zeigte eindrucksvoll, was ein Trainerwechsel bewirken kann. (GEA)