REUTLINGEN. »Das war ein Wechselbad der Gefühle«, atmete der Sportliche Leiter Christian Grießer tief durch. »Kompliment an meine Mannschaft, wie sie nach dem 0:1-Rückstand zurückgekommen ist«, freute sich Trainer Alexander Strehmel. »Dass wir in Unterzahl noch das Tor zum 4:1 machen, war eine starke Leistung«, betonten unisono Kapitän und Torhüter Marcel Binanzer sowie Linksverteidiger Tom Schiffel. Die Oberliga-Fußballer des SSV Reutlingen gewannen nach fünf sieglosen Spielen, zuletzt gab es sogar drei Niederlagen am Stück, gegen die TSG Backnang mit 4:3 (3:1).
Die 1.050 Zuschauer im Kreuzeiche-Stadion - damit wurde bereits zum sechsten Mal in dieser Saison die Tausender-Marke geknackt - erlebten einen kuriosen Spielverlauf. Erst geriet der SSV mit 0:1 ins Hintertreffen, ging dann mit drei Toren innerhalb von acht Minuten mit 3:1 in Führung, legte das 4:1 nach, kassierte aber in der Endphase noch zwei Gegentreffer und musste bis zum Schlusspfiff um den Dreier zittern. Die Mannen um Kapitän Binanzer dürfen nach diesem Erfolg gegen die in den vergangenen Wochen mächtig auftrumpfenden Backnanger durchatmen, an ein Aufatmen im Kampf um den Klassenverbleib ist allerdings nicht zu denken. »Wir müssen am Samstag in Ravensburg nachlegen«, stellt Grießer zurecht fest. Denn: Die Reutlinger rangieren weiterhin auf dem 13. und sechstletzten Platz. Und nach wie vor muss man von sechs Absteigern ausgehen.
Gelb-Rote Karte für Puseljic
In Ravensburg muss Strehmel seine Abwehr einmal mehr umstellen, da Innenverteidiger Sladan Puseljic gegen Backnang in der 77. Minute mit der Gelb-Roten Karte bedacht wurde. Stichwort Umstellungen: Der Reutlinger Kommandogeber nahm bei seiner Startelf gegenüber der 1:2-Niederlage in Essingen vier Änderungen vor. Riccardo Gorgoglione fehlte wegen eines Muskelfaserrisses, Leander Vochatzer musste zunächst auf der Bank Platz nehmen und die Youngster Marko Zrilic und Manuel Walz waren am Sonntag mit den Bundesliga-A-Junioren in Sandhausen im Einsatz. Für dieses Quartett rückten Jonah Adrovic, Carson Hodgson, Tom Ruzicka und Jonas Vogler in die Anfangsformation. Strehmel setzte auf ein 4:4:2-System mit den beiden Spitzen Konstantinos Markopoulos und Ruzicka.
Von Beginn an war spürbar, dass der SSV nach der jüngsten Misserfolgsserie das Ruder herumreißen wollte. Dass in diesen Tagen die Leichtigkeit im Spiel fehlt, war allerdings auch deutlich zu sehen. Andernfalls wären die Gastgeber früh in Führung gegangen. Nach 56 Sekunden kam Yannick Toth nach einem verunglückten Zuspiel von Backnangs Keeper Marcel Schleicher an den Ball. Das Tor war leer, doch Toth schoss vorbei. In der vierten Minute eine ähnliche Szene: Schleicher verdribbelte sich außerhalb des Strafraums, Markopoulos schnappte sich den Ball, schloss aber zu überhastet ab und verfehlte das Ziel. Mit etwas mehr Ruhe hätten sowohl Toth als auch Markopoulos ihre Farben in Führung bringen können.
Umstrittener Strafstoß
»Wir haben zu Beginn viele unsaubere Bälle gespielt, haben uns dann aber gefangen«, ließ später Backnangs Trainer Mario Marinic die Partie Revue passieren. Nach etwa 20 Minuten zeigten die Gäste, die in den ersten acht Spielen im Jahr 2025 nur eine Niederlage einstecken mussten, weshalb sie derzeit zu den stärksten Teams in der Oberliga gehören. Der SSV verlor den Zugriff zum Spiel. Schiffel (24. Minute) rettete in allerhöchster Not kurz vor der Torlinie, ehe Backnang ein umstrittener Strafstoß zugesprochen wurde, den Gentian Lekaj (33.) verwandelte. »Das war nie ein Foulelfmeter. Ich bin sehr unzufrieden mit der Schiedsrichter-Leistung«, meinte Binanzer.
Im Gegensatz zu den vergangenen Wochen ließen sich die Reutlinger von diesem 0:1-Rückstand nicht aus der Bahn werfen. Im Gegenteil: Der SSV kam grandios zurück. Nach einer sehenswerten Kombination über Markopoulos und Ruzicka traf Toth mit einer Direktabnahme aus zwölf Metern - 1:1 (36.). Dann war Markopoulos per Kopfball nach einer Ecke von Jonas Meiser erfolgreich - 2:1 (43.). Schließlich hämmerte Luca Plattenhardt das Spielgerät mit einem scharfen Flachschuss aus zwölf Metern in die Maschen - 3:1 (44.).
Exzellente Grätsche von Plattenhardt
Für die Balleroberungsaktion des Spiels sorgte Plattenhardt in der 55. Minute. Der ehemalige Homburger Regionalliga-Akteur luchste Flavio Santoro mit einer exzellenten Grätsche den Ball ab, schlug einen 45-Meter-Pass auf Vochatzer, doch dessen Heber über den herausstürzenden Schleicher verfehlte das Ziel. Schließlich vergab Schiffel (70.) eine gute Gelegenheit, ehe Vochatzer (81.) nach einer punktgenauen Flanke von Tobias Dierberger per Direktabnahme zum 4:1 traf. Die Entscheidung? Denkste. Backnang verkürzte durch ein weiteres Strafstoßtor von Lekaj (83.) und einen Treffer von Shaban Veselaj (88.) auf 3:4. Dann war Zittern angesagt. »Am Ende hat Reutlingen verdient gewonnen«, traf Marinic mit seiner Einschätzung den Nagel auf den Kopf. Etwas weniger nervenaufreibend hätte es aus SSV-Sicht am Ende aber schon sein dürfen. (GEA)