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SSV Reutlingen gegen VfR Aalen: Ein 0:0, das die Zuschauer von den Plätzen reißt

Warum das Match zwischen dem Fußball-Oberligisten SSV Reutlingen und dem VfR Aalen trotz keines Torerfolges und weniger Chancen viele der 1.150 Fans im Stadion an der Kreuzeiche von den Sitzen reißt.

Riccardo Gorgoglione (rechts) kommt im Strafraum zu Fall, einen Strafstoß gibt es aber nicht.
Riccardo Gorgoglione (rechts) kommt im Strafraum zu Fall, einen Strafstoß gibt es aber nicht. Foto: Joachim Baur
Riccardo Gorgoglione (rechts) kommt im Strafraum zu Fall, einen Strafstoß gibt es aber nicht.
Foto: Joachim Baur

REUTLINGEN. Am Ende steht ein 0:0. Keine Tore, wenig Chancen: Es klingt nach fußballerischer Magerkost. Dieser Aussage ganz vehement widersprechen dürften allerdings die 1.150 Zuschauer im Stadion an der Kreuzeiche, die am Samstagnachmittag ein denkwürdiges Spiel zwischen dem SSV Reutlingen und dem VfR Aalen verfolgten.

Es läuft die 36. Spielminute. Stefan Wächter rennt nach einem Stellungsfehler der SSV-Defensive alleine auf Torwart Marcel Binanzer zu, doch von hinten stürmt Verteidiger Sladan Puseljic heran und berührt den offensiven Mittelfeldspieler im Vollsprint mit dem Oberkörper. Wächter fällt kurz vor der Strafraumgrenze, Schiedsrichter Timon Ulrich pfeift und greift zur Tasche. Die Teamkollegen des 19-jährigen SSVlers fassen sich an den Kopf, die Fans raunen. Jeder ahnt, was nun kommt: Die Rote Karte blitzt auf, Puseljic tritt bedröppelt den Gang in die Kabine an. Das Team von Trainer Alexander Strehmel muss gegen den klaren Favoriten rund 60 Minuten mit einem Kicker weniger spielen – es macht sich kollektive Ernüchterung auf den Rängen breit.

»Manche Schiedsrichter geben da nicht mal Foul«

Schon drei Mal ereilte die Nullfünfer davor dasselbe Schicksal mit der Roten Karte in dieser Spielzeit. Zwei Mal ging man als Verlierer vom Platz. Und nun wieder dieser Rückschlag - ausgerechnet gegen den Tabellenfünften und auch noch so früh.

Doch es kommt alles anders. Zuerst rettet die Truppe das 0:0 nach einer ausgeglichenen ersten Halbzeit in die Pause. Es folgt das Unglaubliche. In den zweiten 45 Minuten hat der VfR zwar mehr Ballbesitz, doch unter dem Strich sind die Reutlinger mindestens ebenbürtig. Daniel Breuninger und Jonas Meiser haben sogar die Führung auf dem Fuß beziehungsweise dem Kopf. Auf der Gegenseite verpasst Luigi Campagna mit einem Distanzschuss knapp.

»Einfach jeder hat Gas gegeben und gekämpft«

Doch jede vergangene Minute, jedes Tackling euphorisiert. Nicht nur die Spieler um den starken Luca Plattenhardt auf dem Platz, sondern vor allem die Zuschauer auf den Rängen. Nachdem sich der in die Innenverteidigung gerückte Defensivmann in der 60. Minute mit vollem Einsatz in einen Schuss schmeißt, stehen auch die Fans in der letzten Zuschauerreihe auf und tun es damit vielen weiteren gleich. Im Stadion herrscht eine elektrisierende Stimmung, jeder merkt: Dieses Spiel ist trotz der Underdog-Rolle plus Rot nicht verloren. Und so motivieren sich Fans und Spieler gegenseitig, puschen sich zur Höchstleistung.

Am Ende bleibt es beim Unentschieden. Statt Tristesse gibt es von den SSV-Spielern vereinzelt Fäuste und Grüße ins Publikum. Dieser Zähler fühlt sich wie mehr an. »Wenn man so lange Zeit in Unterzahl spielt und dann noch einen Punkt gegen eine gute Mannschaft holt, da kann man schon ein bisschen stolz sein. Einfach jeder hat Gas gegeben und gekämpft«, lobt Yannick Toth. »Ich bin sehr stolz. Das habe ich dem Team gerade gesagt«, berichtet Strehmel.

Sieben Festnahmen bei Hochrisikospiel

Aufgrund des bekannten, rivalisierenden bis feindschaftlichen Verhältnisses mancher Fangruppen und Erfahrungen aus vergangenen Begegnungen wurde das Oberliga-Spiel zwischen dem SSV Reutlingen und dem VfR Aalen von der Polizei als »High-Risk-Spiel« eingestuft.

Um mögliche Auseinandersetzungen bereits im Ansatz zu verhindern, legte die Polizei den Fokus auf die konsequente Trennung der Fanlager. Dieses Konzept ging auf. Die An- und Abreise der Fangruppierungen und sonstigen Zuschauer verlief wie das Spiel selbst - bis auf das Abbrennen von Pyrotechnik im Gästeblock zu Beginn der Partie - störungsfrei.

Insgesamt sieben Personen, darunter vier Anhänger der Heimmannschaft und drei der Gastmannschaft, die sich auf dem Weg zum Stadion oder bei der Abreise vermummt und teils auch Protektorenhandschuhe angelegt hatten, wurden vorübergehend festgenommen und nach Durchführung der erforderlichen polizeilichen Maßnahmen wieder auf freien Fuß gesetzt. Teilweise kam es dabei zu Beleidigungen gegenüber der Einsatzkräfte. Entsprechende Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. (pol)

Und wenn man es genau nimmt, war vielleicht sogar noch mehr drin. Denn als Riccardo Gorgoglione im gegnerischen Strafraum zu Fall kommt, bleibt die Pfeife des Referees stumm. »Man hört einen kleinen Schlag und wenn es da einen Elfmeter gibt, dürfen sie sich auch nicht beschweren«, analysiert Toth. »Dann gehen wir vielleicht sogar als glücklicher Sieger raus.« Nicht unumstritten war außerdem der Platzverweis. »Manche Schiedsrichter geben da nicht mal Foul. Ich weiß nicht, ob er das überhaupt pfeifen muss«, meint Toth. Auch Coach Strehmel befindet: »Es war ein bisschen hart. Er hat das ganze Spiel sonst kein Foul gemacht.«

Am Ende aber überwiegt die Freude, dem Top-Team mit einer überzeugenden Vorstellung einen Punkt geraubt zu haben. Mit 21 Zählern und Rang elf verabschieden sich die Reutlinger langsam von den ganz wackligen Plätzen im Tabellenkeller. Viel wichtiger aber ist, dass zuletzt nicht nur die Punkteausbeute gestimmt hat, sondern auch die Leistung auf dem Platz. Der SSV ist wieder ein Team, das begeistert und die Zuschauer von den Plätzen reißt. (GEA)