REUTLINGEN. Es war der Aufreger des Spiels: In der 63. Minute stürmte Yannick Toth aus zweiter Reihe mit vollem Tempo in den Fünfmeterraum, sprang höher als alle Gegenspieler und versenkte den Ball nach einer Freistoßflanke mit dem Kopf zur vermeintlichen 3:2-Führung für den SSV Reutlingen. Der Jubel hielt allerdings nur Sekunden an, denn der Linienrichter hob umgehend die Fahne - das Tor zählte nicht. Toth und seine Mitspieler schlugen sich ungläubig die Hände an den Kopf. Die selbige Reaktion war an diesem Samstagnachmittag noch einmal zu sehen. Nämlich genau in dem Moment, in dem Valerio Avigliano vom 1. FC Normannia Gmünd in der 89. Minute die Kugel aus 20 Metern im Tor versenkte. Wieder stand es 3:2. Dieses mal aber nicht für die Oberliga-Fußballer von der Kreuzeiche, sondern den Konkurrenten, der sich drei Zähler schnappte.
Große Fragezeichen blieben bei den SSV-Kickern. Zum einen fragten sie sich, wie das Match vor 871 Zuschauern trotz einer starken zweiten Halbzeit noch verloren gehen konnte, nachdem man den 1:2-Pausenrückstand weggemacht hatte. Zum anderen fragten sich alle: Wieso zählte eigentlich der Treffer von Toth, der lupenrein aussah, nicht. »Ich muss es mir anschauen. Ich will unbedingt wissen, was der Schiedsrichter da gesehen hat«, sagte Trainer Alexander Strehmel nach dem Schlusspfiff. »Ich habe nichts gesehen.« Auch Außenverteidiger Luca Plattenhardt konnte erst mal nichts erkennen. »Von hinten sieht es einfach so aus, als ob Yannick mit Wucht kommt und trifft. Ich weiß jetzt nicht, wo da ein Foul oder Abseits hätte sein sollen.«
»Es ist eine Frechheit. Skandalös«
Strehmels Verdacht erhärtete sich im Video-Studium. »Da war nichts. Gar nichts. Es ist eine absolute Frechheit. Skandalös«, sagte er im Gespräch mit dem GEA am Tag darauf. Übrigens reklamierte auf dem Spielfeld auch kein einziger Gmünder und auf den Video-Aufzeichnungen war weder ein Foulspiel noch eine Abseitsstellung zu erkennen.
Die 65. Minute war allerdings nicht die erste Szene, in der Schiedsrichter Christian Eiletz im Mittelpunkt stand und maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang nahm. In Minute 25 entschied der Referee auf Foulelfmeter für Gmünd, den Luca Molinari eiskalt zur 2:1-Halbzeitführung für die Gäste verwandelte. Strittig: die Vorgeschichte. Denn SSV-Mittelfeldmann Carson Hodgson, der später noch mit Gelb-Rot vom Rasen musste, war zeitgleich mit seinem Gegenspieler am Ball, touchierte ihn, wenn überhaupt, leicht.
»Ich bin mir sicher, dass der SSV Reutlingen die Klasse halten wird«
Bevor das ganze Theater um die Entscheidungen begann, sahen die Fans in Reutlingen eine zunächst wilde und zerfahrene Begegnung mit vielen langen Bällen und Tormöglichkeiten auf beiden Seiten. Den besseren Start erwischte der SSV. Nach fünf Zeigerumdrehungen schoss Daniel Breuninger einen direkten Freistoß aus spitzem Winkel zum 1:0 rein. In der zwölften Minute umkurvte Nico Molinari die halbe Heim-Abwehr, dann Torwart Binanzer und glich aus. Nach dem 1:2-Pausenrückstand war es der eingewechselte Stürmer Tom Ruzicka, der nur eine Minute Anlaufzeit brauchte, um die Nullfünfer zurück ins Match zu bringen.
Was man den Reutlinger Akteuren hoch anrechnen musste, war die Tatsache, dass sie die Fehler trotz der vielen fragwürdigen Entscheidungen bei sich selbst suchten. »Es ist schwierig gerade«, sagte Plattenhardt. »Drei Gegentore zu Hause gegen Gmünd: Das geht nicht.« Kritik übte er am Last-Minute-Tor. »Aus dem Rückraum darf man ihn nicht so schießen lassen.« Trainer Strehmel ärgerte sich derweil extrem über den ersten Rückschlag. »Dass er da alleine durchlaufen kann. Das ist viel zu einfach.«
Nach der dritten Niederlage in Serie innerhalb von sieben Tagen steckt der SSV wieder mitten im Abstiegskampf. "Wir hatten das immer im Hinterkopf, weil wir wissen, dass viele absteigen können. "Aber das hemmt uns nicht", meinte Plattenhardt. Durch das Resultat rutschte Reutlingen von Rang elf auf dreizehn und damit auf einen gefährdeten Platz. "Ich muss die Mannschaft jetzt wieder aufrichten. Es ist wichtig, dass wir die Ruhe bewahren. Wir werden den Karren aus dem Dreck ziehen", versicherte Strehmel. Als Absteiger sieht übrigens Gmünds Coach Zlatko Blaskic den ehemaligen Zweitligisten nicht. »Ich bin mir sicher, dass der SSV Reutlingen die Klasse halten wird«, sagte er nach dem Spiel, als dessen gerechtes Ergebnis er ein Unentschieden ausgemacht hatte. (GEA)