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Der SSV Reutlingen muss noch zehn Tage zittern

6:0 gegen Mutschelbach gewonnen - und dennoch ist der SSV Reutlingen weder gerettet noch abgestiegen aus der Oberliga. Die Nullfünfer dürfen am 11. Juni den Klassenverbleib feiern, wenn dem 1. Göppinger SV der Aufstieg in die Regionalliga gelingt. Falls es Göppingen nicht schafft, muss der SSV in die Verbandsliga runter.

Freuen oder nicht? Tom Schiffel und seine Mitspieler wussten nach dem Abpfiff nicht so recht, was sie fühlen sollten.
Freuen oder nicht? Tom Schiffel und seine Mitspieler wussten nach dem Abpfiff nicht so recht, was sie fühlen sollten. Foto: Frank Pieth
Freuen oder nicht? Tom Schiffel und seine Mitspieler wussten nach dem Abpfiff nicht so recht, was sie fühlen sollten.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. 6:0 gewonnen, eine starke Leistung gezeigt, aber freuen konnten sich die Spieler des SSV Reutlingen nach ihrem Erfolg im letzten Saisonspiel der Oberliga gegen den ATSV Mutschelbach nicht. Stattdessen bildete sich eine Traube aus Fußballern um ein kleines Smartphone, um die Ergebnisse auf den anderen Sportplätzen zu checken. Den ganzen Verein und 1.450 Fans im Stadion an der Kreuzeiche in Reutlingen interessierte nach 90 Minuten nur eines: Hat sich der SSV nach dem Sieg in der Oberliga gehalten, oder ist nach 14 Jahren Schluss und muss der Weg in die Verbandsliga angetreten werden?

- Die Lage
Da die Oberliga auch in der Spielzeit 2024/25 mit 18 Mannschaften bestückt sein soll, müssen fünf Mannschaften aus dem baden-württembergischen Oberhaus absteigen. Falls der Tabellenzweite 1. Göppinger SV in der Aufstiegsrunde den Sprung in die Regionalliga schafft, wird in der Oberliga ein Platz frei - dann müssen nur vier Teams runter. Neben dem Tabellenzwölften ATSV Mutschelbach, der sich freiwillig zurückzieht, müssen der Tabellen-18. Offenburger FV, der 17. FC Denzlingen und der 16. FC Holzhausen ihre Planungen für die Verbandsliga forcieren. Der Tabellen-15. SSV Reutlingen drückt nun den Göppingern die Daumen. Steigt Göppingen auf, darf sich der Kreuzeiche-Club weiterhin in der Oberliga tummeln, scheitert Göppingen in der Aufstiegsrunde, muss sich der SSV auf Derbys in der Verbandsliga gegen die Young Boys Reutlingen, den VfL Pfullingen und die TSG Tübingen einstellen.

- So läuft die Aufstiegsrunde
Der 1. Göppinger SV (Zweiter in der Oberliga Baden-Württemberg), Türk Gücü Friedberg (Vize in der Hessenliga) und SV Gonsenheim (Zweiter in der Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar) ermitteln in einer Einfach-Runde einen Regionalliga-Aufsteiger. Am Mittwoch spielt Friedberg gegen Gonsenheim. Göppingen bestreitet seine Begegnungen am Samstag, 8. Juni, und Dienstag, 11. Juni. Am 11. Juni gegen 20.50 steht fest, in welcher Liga der SSV nächste Runde Farbe bekennen muss.

- Das Fast-Wunder
»Wir brauchen ein Wunder«, sagte der Sportliche Leiter Christian Grießer vor dem Spiel. Denn der als Tabellenvorletzte gestartete SSV musste gleich drei Teams überholen, um sicher in der Oberliga zu bleiben, zwei Teams, um noch nicht endgültig abzusteigen. Hoffnung, dass genau das klappen könnte, hatten wohl die wenigsten. Denn nicht nur mussten die vor dem Anpfiff seit sieben Spielen sieglosen Reutlinger selbst mal wieder gewinnen, auch musste auf den anderen Plätzen alles für den Club laufen. Was dann aber passierte, war das Fast-Wunder des ehemaligen Zweitligisten. Denn nicht nur legten die Spieler von Trainer Philipp Reitter los wie die Feuerwehr und ließen keinen Zweifel daran, ihren Pflichtteil zu erfüllen. Auch auf den Nebenplätzen lief alles für den SSV. Im Stadion entwickelte sich eine euphorische und kämpferische Aufbruchstimmung. Dass bis in die letzten Spielminuten das Wunder greifbar blieb, lag auch daran, dass lange unklar war, ob Bissingen genau wie Denzlingen und Holzhausen günstig für Reutlingen spielte. Erst während der letzten Aktionen wurde klar: Das taten sie nicht. Und so blieb es beim Fast-Wunder und damit als Wackelkandidat die Hoffnung auf den Oberliga-Verbleib.

- Reutlinger Torfestival
»Heute haben wir alles gezeigt, was wir die letzten Spiele haben vermissen lassen«, brachte es Kevin Founes auf den Punkt. »Tore, Kombinationen und Kampfgeist.« Gegen wehrlose Mutschelbacher spielten die Reutlinger tatsächlich wie ausgewechselt. Auf einmal war fast jede Chance ein Tor. Tom Schiffel schoss aus 20 Metern locker ein, Nils Staiger verwandelte einen direkten Freistoß aus spitzem Winkel und legte dann noch per Traumpass für Luca Meixner auf. Die weiteren Treffer erzielten Riccardo Gorgoglione (Foulelfmeter), Jonah Adrovic und einmal mehr Schiffel.

Denis Lübke (Mitte, links) und Tom Schiffel werden vom ersten SSV-Vorsitzenden Joe Yebio (links) bei der Verabschiedung von den
Denis Lübke (Mitte, links) und Tom Schiffel werden vom ersten SSV-Vorsitzenden Joe Yebio (links) bei der Verabschiedung von den Fans zurückgepfiffen. Foto: Frank Pieth
Denis Lübke (Mitte, links) und Tom Schiffel werden vom ersten SSV-Vorsitzenden Joe Yebio (links) bei der Verabschiedung von den Fans zurückgepfiffen.
Foto: Frank Pieth

- Eklat bei Fan-Verabschiedung
Normalerweise bauen sich die SSV-Akteure nach den Spielen vor ihren Fans auf und verabschieden sich. Nach dem letzten Saisonspiel geschah das allerdings nicht. Obwohl es von den Zuschauerrängen »Vorstand-raus«-Rufe gab, wollte die Mannschaft wie gewohnt zu den Fans hingehen. Das erklärten Trainer Philipp Reitter sowie die Spieler Stefan Ilic und Denis Lübke. Kapitän Lübke fügte hinzu: »Der Vorsitzende Joe Yebio hat gesagt, wir sollen in die Kabine gehen.« Dafür, dass die Mannschaft nach dem Schlusspfiff relativ lange auf dem Platz einen Kreis bildete, gab es eine simple Erklärung: »Wir haben auf das Ergebnis aus Holzhausen gewartet. Falls Holzhausen noch ein Tor erzielt hätte, wäre unser Abstieg perfekt gewesen«, berichtete Lübke. Von der Reutlinger Fan-Szene E kam später der Hinweis, dass die »Vorstand-raus«-Rufe nicht aus ihren Reihen kamen. Diese könnten aus den Reihen der Fan-Gruppe Blocksport 11 gekommen sein. Auf die Frage nach dieser in der Vergangenheit nicht oder kaum in Erscheinung getretenen Anhängerschaft Blocksport 11 sagte Yebio: »Wir haben keinen Kontakt mit denen.«

- Spieler-Verabschiedung
Vor der Partie verabschiedete der Sportliche Leiter Christian Grießer mit Lübke, Staiger, Marvin Jäger und David Zenner vier Akteure. Jäger und Zenner wechseln (wie vermeldet) zur TSG Balingen, bei Lübke und Staiger steht noch nicht fest, für welchen Club sie nächste Runde ihre Kickstiefel schnüren. Lübke, der 13 Jahre für den SSV im Einsatz war, ist enttäuscht über die Art und Weise seines Abschieds. Im Winter habe er mit Grießer ein Gespräch gehabt, danach habe er monatelang nichts mehr vom Verein gehört. Erst am vergangenen Freitag, einen Tag vor dem Mutschelbach-Spiel, sei Grießer auf ihn zugekommen. Vor etwa vier Wochen sei bei ihm der Entschluss gereift, den SSV zu verlassen. Lübke: »Ich wäre auch nicht böse gewesen, wenn man mir schon vor längerer Zeit gesagt hätte, dass der Verein nicht mehr mit mir plant. Man hätte Klartext sprechen können, man hat aber nicht geredet.« Die fehlende Wertschätzung, die Lübke beklagt, vermissen übrigens auch einige Mitarbeiter auf ehrenamtlicher Basis.

- Trainerfrage
»Ich habe meinen vollen Fokus auf den letzten Spieltag gelegt«, sagte Philipp Reitter, der im Januar beim SSV auf die Kommandobrücke gestiegen war. Reitter hatte zuletzt immer wieder betont, dass er seine Trainer-Zukunft in dieser kniffligen Tabellensituation hinten anstellen müsse. Diese Woche soll es Gespräche mit den Verantwortlichen geben. Möglicherweise kann dieser Termin gecancelt werden, denn: Wie der GEA am Wochenende in Erfahrung brachte, steht mit Denis Epstein ein neuer Trainer in den Startlöchern. Der 37 Jahre alte Epstein, der einst für den 1. FC Köln in der Bundesliga spielte, führte in dieser Saison die TSG Balingen II zur Meisterschaft in der Landesliga-Staffel 4.

- Spielerkader
Mit Moritz Kuhn, Tim Wöhrle, Marcel Binanzer und Jonas Meiser (alle kommen vom Regionalliga-Absteiger TSG Balingen) hat der Verein vier Verpflichtungen vermeldet. Möglicherweise heißt der nächste Neue Yannick Toth. Der 26-Jährige, der für Bissingen 145 Oberligaspiele absolvierte, war zuletzt studienbedingt ein Jahr in den USA. (GEA)