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Aktuell INTERVIEW

»Spitzensport steht unter Generalverdacht«

ROTTENBURG. Hansjörg Kofink kämpft seit 45 Jahren wie kaum ein anderer in Deutschland einen unermüdlichen Kampf gegen Leistungsmanipulation im Sport. Für die ehemalige DDR-Sprinterin Ines Geipel, aktuell Präsidentin der Doping-Opfer-Hilfe, ist der ehemalige Kugelstoß-Bundestrainer aus Rottenburg dafür verantwortlich, dass Baden-Württemberg »ein Ort des Widerstandes gegen Doping geworden ist«. Hansjörg Kofink (79) über Leistungsmanipulation, Weltrekorde und die Zukunft des Spitzensports.

GEA: Die Diskussion bei der Tour de France drehte sich um die Sauberkeit von Christopher Froome, auch bei der bevorstehenden Leichtathletik-Weltmeisterschaft muss man kein Prophet sein, um positive Dopingfälle zu erwarten.

Hansjörg Kofink: Die Doping-Szene hat kein öffentliches Publikum. Was sich dabei abspielt, ist nicht öffentlich, nur Athleten, Trainer und Ärzte bekommen es mit. Die ARD-Recherche zur Situation in Russland und Kenia zeigt, dass sich Doping hinter verschlossenen Türen abspielt.

Ein unglaublicher Hammerwurf-Weltrekord durch die Polin Wlodarczyk und die Dopingenthüllungen der ARD am selben Tag. Ist das Zufall?

Kofink: Die ARD kann ihren Beitrag planen, einen Weltrekord sicher nicht. Ob es dem Kampf gegen Doping hilft, wird sich zeigen. Nach einem halben Jahr sind alle Enthüllungen wieder vergessen. Aufklärung braucht einen langen Atem.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Szene?

Kofink: Spitzensport heute steht unter Generalverdacht, Misstrauen prägt sein Personal. Spitzensport fasziniert, doch pädagogisch, gesundheitlich, ethisch-moralisch ist er ohne Wert. Junge Athleten wie Jackie Baumann oder Alina Reh, in Nürnberg deutsche Meister, müssen mit dem Erbe ihrer Vorgänger leben. Ihre Entscheidung auf dem Weg nach oben, Erfolg um jeden Preis oder persönliche Integrität, wird den Spitzensport der Zukunft prägen. Der Weg zu Weltmeisterschaften oder Olympischen Spiele führt durch dopingverseuchtes Gelände.

Sie haben die Heidi-Krieger-Medaille des Doping-Opferhilfevereins erhalten. Sind sie stolz darauf?

Kofink: Ich will, dass man im Sport Regeln einhält. Dieser Preis muss nicht nur mich sehr nachdenklich stimmen. Wenn man ausgezeichnet wird für etwas, was selbstverständlich ist, Regeln einzuhalten, dann ist etwas nicht mehr in Ordnung.

Im Westen wurde Doping in Verbindung mit den Erfolgen der DDR diskutiert.

Kofink: Ende 1977 wollten NOK und DLV ein Ende der öffentlichen Doping-Diskussion. Doping sollte nur noch intern besprochen werden.

Aus den vielen Dopingfällen entwickelte sich der Generalverdacht, man unterstellt allen Spitzenleistungen einen Dopinghintergrund. Ist dies aus Ihrer Sicht berechtigt?

Kofink: Ja. Spitzensport und Doping gehören zusammen wie Topf und Deckel. Nahezu alle Weltrekorde der Leichtathletik stehen unter Verdacht.

Was hat Sie veranlasst, sich jahrzehntelang im Anti-Dopingkampf zu engagieren?

Kofink: Unmittelbar vor Beginn der Olympischen Spiele 1972 in München, als drei der von mir als Bundestrainer betreuten Kugelstoßerinnen, darunter auch meine Frau Sigrun, trotz erfüllter Olympianorm nicht für die Spiele nominiert wurden, bin ich von meinem Posten als Bundestrainer zurückgetreten. Ich wusste, dass ohne Doping die plötzlichen Leistungssteigerungen der Ostblock-Konkurrentinnen von bis zu drei Metern nicht möglich waren. Ich habe das NOK gefragt, ob unsere Athletinnen verbotener Weise Anabolika zu sich nehmen müssen, um die Leistungen zu erreichen, an denen sie gemessen werden. Ich bekam keine Antworten. Und lernte aber ein Prinzip kennen: Wegsehen und Weghören.

Immer wieder tauchen Sportmediziner im Zusammenhang mit Doping auf.

Kofink: Eine kleine, aber prominente Gruppe von Sportmedizinern hat das Thema Doping befördert und bis heute am Leben erhalten, weil man damit auch viel Geld verdienen kann. Ohne den Einsatz der Sportmediziner hätte es das Thema Doping, so wie es sich heute darstellt, nicht gegeben.

Welche Zukunft geben Sie dem Spitzensport?

Kofink: Jeder junge Sportler hat Anrecht auf einen Wettkampf nach Regeln. Das ist im Spitzensport nicht mehr gegeben. Man muss den Heranwachsenden sagen, was läuft und wie man sich schützt. Der Sport ist nur ein Teil des Lebens. Die Entwicklung des Spitzensports, wie wir ihn aktuell erleben, steht für den absoluten Niedergang der Werte, die der Sport für sich reklamiert. (GEA)