REUTLINGEN. 23. Juli – der Tag, an dem die Olympischen Spiele in Tokio starten sollen, rückt näher. Dieses Jahr soll die größte Sportveranstaltung der Welt klappen. Das hatten sich Athleten und Organisatoren fest vorgenommen. Doch die Welt bekommt die Pandemie nicht in den Griff und die Luft für das Organisationskomitee der Olympischen Spiele wird dünner – denn der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Im Januar sprachen sich 80 Prozent aller Japaner in einer Umfrage der Nachrichtenagentur Kyodo für eine Absage oder Verschiebung der Spiele aus. Letzte Woche veröffentlichte das Beratungsunternehmen Kekst CNC eine weitere Studie: Im Vereinigten Königreich sind demnach 55 Prozent aller Menschen gegen die Olympischen Spiele in diesem Sommer. Hierzulande ist es jeder Zweite. Anders in den USA: Dort sind 33 Prozent aller Menschen laut der Studie für und 33 Prozent gegen die Spiele. Der GEA hat Menschen in der Reutlinger Fußgängerzone nach ihrer Meinung befragt. Die meisten Befragten denken differenziert über die Sache mit Corona und den Olympischen Spielen.
Endrit Kastrati (20) und Malik Qasem (20) müssen erst einmal überlegen. Die beiden Metzinger hatten bisher keine klare Meinung. »Irgendwie finde ich es ethisch nicht vertretbar, wenn die Spiele in Pandemiezeiten liegen«, sagt Qasem. Die Infektionsrate steige an – da ginge das einfach nicht. »Aber schau mal: Auf der anderen Seite sitzen wir doch gerade eh nur auf der Couch«, entgegnet Kastrati. Ein bisschen Ablenkung durch Olympia könne nicht schaden. Andererseits müssten die Sportler natürlich getestet werden: »Das Geld, das man dafür braucht, könnte man für etwas anderes benutzen«, sagt Kastrati. Die beiden sind unschlüssig.
Entschieden gegen Olympia 2021 ist dagegen Frank Dietrich aus Reutlingen. Der 59-Jährige antwortet mit Druck in der Stimme: »Auf Olympia und die Sportler nimmt das Virus doch keine Rücksicht.« Klar, wenn ein Hygienekonzept sicherstelle, dass niemand krank werde, könnten die Spiele stattfinden. »Ich bezweifle aber, dass es so ein Konzept geben kann, weil die Mutationen so ansteckend sind.« Für ihn habe die Bekämpfung der Pandemie höchste Priorität. »Es kommt einfach darauf an, wie die Lage im Sommer aussehen wird.«
Tuncay Ötztürk (43) ist optimistischer: »Wir sehen, dass die Zahlen bei einem guten Konzept nicht steigen.« Er sei daher für die Spiele. Natürlich brauche es Hygienevorgaben. Aber die gebe es ja. Ötztürk sagt: »Für mich gehören die Spiele einfach dazu. Ich bin daher auch dafür, dass Athleten früher geimpft werden.«
Claudia Gebhardt kann diese Haltung nicht verstehen. Die 55-Jährige denkt über die Frage nach den Olympischen Spiele nur kurz nach, dann sagt sie: »Das halte ich für gar keine gute Idee.« Sie glaube nicht, dass sich die Situation bis zum Sommer entspanne. »Ich befürchte, dass die Athleten das Virus großflächig verbreiten.« Problematisch könne auch sein, dass Sportler aus Ländern mit hohen Infektionszahlen gar nicht oder mit schlechteren Voraussetzungen an den Spielen teilnehmen könnten als Sportler aus Ländern, die die Pandemie besser im Griff hätten. »Dann wäre der Wettbewerbscharakter verzerrt« – und das sei ja auch nicht gut. Gebhardt verzieht schließlich das Gesicht: »Natürlich verstehe ich aber auch, dass die Sportler sich Jahre vorbereitet haben.« Die 55-Jährige zuckt mit den Schultern.
Richtig aufgeregt antwortet Julia Hörsch: »Also solange es in meinem Job noch keine Öffnungen gibt, sind solche Aktionen echt ein Schlag ins Gesicht«, sagt sie. Die 23-Jährige ist Fachangestellte für Bäderbetriebe. Auf den Einwand der Olympia-Befürworter, dass die Sportler sich doch Jahre vorbereitet hätten und nicht so enttäuscht werden dürften, antwortet sie: »Unsere Gäste sagen auch, dass Sport ihnen wahnsinnig wichtig ist« – dennoch dürften die Bäder nicht öffnen. Für eine vorgezogene Impfung der Athletinnen ist Hörsch auch nicht. »Ich finde, da gibt’s echt wichtigere Gruppen.«
Maike Hornburg (43) ist aus ganz anderem Grund gegen eine vorgezogene Impfung der Athleten. Sie befürchtet bei einer Immunisierung kurz vor den Olympischen Spielen Nebenwirkungen für die Sportler. »Die können dann Fieber bekommen und die Impfung kann sich auf ihre Leistung auswirken.« Prinzipiell halte er es aber für wichtig, dass die Olympischen Spiele stattfinden – auch wegen ihres Vorbildcharakters: »Sport ist wichtig für die Prävention, weil er das Immunsystem stärkt.« Mit einem Hygienekonzept sollte den Spielen nichts im Wege stehen.
Auch Roberta Stranos (18) erster Gedanke ist: »Na, wenn die alle getestet werden und negativ sind, dann könnte man das doch erlauben.« Freundin Dilay Akcay aus Reutlingen entgegnet: »Ich fänd’s halt trotzdem dumm. Wir können nicht mal einkaufen gehen und die wollen so etwas machen?« Auch eine bevorzugte Impfung der Sportler lehnt die 18-Jährige ab: »Das wäre doch egoistisch.« Strano gibt schließlich noch zu bedenken: »Das sind immerhin 15 000 Athleten.« Würde man die alle testen wollen, bräuchte es auch dementsprechend viele Schnelltests. »Die fehlen dann irgendwo.«
»Am Ende kämpft doch gerade jeder ums Überleben«, sagt schließlich die Reutlingerin Katerina Költsidou (22). Sie finde es einfach nicht tragbar, in so einer Situation eine solche Großveranstaltung abzuhalten. »Ich befürchte, dass die Zahlen so wieder steigen werden.« Költsidou wirkt verständnisvoll, als sie auf die Sportler angesprochen wird, die sich ewig auf die Olympischen Spiele vorbereitet haben. »Letztendlich geht es aber um die Sicherheit der Leute«, sagt sie dann. »Wir alle müssen doch auf viel verzichten und kürzertreten.« (GEA)