REUTLINGEN. Als Imme Wendrich im Herbst 2017 studienbedingt aus dem badisch-kurpfälzerischen Mannheim ins schwäbische Tübingen zog, hatte die heute 26-Jährige noch keinen Bezugspunkt zu American Football. An viele Sportarten muss man seit Kindheitstagen ran geführt werden und dran bleiben, um sie auf Leistungsniveau zu betreiben. Durch ihr Durchhaltevermögen und ihren Biss konnte die gebürtige Heidelbergerin sich ihren Traum vom Adler auf der Brust dennoch innerhalb weniger Jahre erfüllen. Wendrich spielt als Defensive End bei der SG Tübingen/Reutlingen, am Wochenende steht zudem das Finale um die deutsche Zweitliga-Meisterschaft auf dem Programm (siehe Box). Trotz Kreuzbandrissen in beiden Knien hat sich die Sportlerin immer wieder zurück aufs Spielfeld zurückgekämpft. Und sagt: »Es ist kein Sport, den viele Frauen machen.«
Übers Ausprobieren hängengeblieben
Mit Aufnahme des Studiums in Tübingen suchte Wendrich nach sozialem Anschluss in neuer Umgebung. Über den Hochschulsport ist die heutige Master-Studentin im Fach Geoinformatik auf American Football gestoßen. »Ich war schon immer eine kräftigere Persönlichkeit und wollte das einfach mal ausprobieren«, blickt die Athletin, die 1,74 Meter groß ist und rund 80 Kilogramm wiegt, zurück. Zu Schulzeiten spielte sie auch kurzzeitig Eishockey. Gesagt, getan. Gleich das erste Training bei den Red Knights Tübingen auf dem Holderfeld hatte Spuren bei Wendrich hinterlassen. »Ich fand es richtig gut, wurde mit offenen Armen empfangen und habe gleich eine gute Rückmeldung bekommen«, berichtet die Studentin über die Kooperation des Vereins mit dem Hochschulsport der Universität Tübingen. Auch der damalige Trainer Michael Valdez hatte ein Auge auf die Newcomerin geworfen. »She`s looking like a D-line«, sagte der US-Amerikaner. Wendrich war total perplex und wusste nicht, was gemeint war. »Ich wollte einfach nur ein paar Leute im Training umrennen«, witzelt die 26-Jährige. Dies war der Beginn einer nachhaltigen Verbindung mit American Football.
SG Tübingen/Reutlingen im Finale um die Zweitliga-Meisterschaft
Gelingt den Footballerinnen der große Wurf mit dem Gewinn der Zweitliga-Meisterschaft? Die SG Tübingen/Reutlingen spielt am Samstag (15 Uhr) in Köln das Finale gegen die SG Ronin Vampires, eine Spielgemeinschaft aus Köln und Aachen. Für die Mannschaft von Trainer Moritz Lindmeier geht es am Spieltag bereits um sechs Uhr in der Früh mit dem Bus in Richtung Köln, unterstützt von zahlreichen Fans. »Trotz einiger Ausfälle können wir mit über 30 Spielerinnen die Partie bestreiten«, sagt Lindmeier. Seine Mannschaft geht nach zuletzt sieben Siegen in Serie ins Finale, insgesamt hat die Spielgemeinschaft nur ein Spiel in der Saison verloren. Der Gastgeber hat bisher acht von zehn Begegnungen gewonnen. »Unser Gegner ist stark und bringt viel Physis auf das Feld. Dazu kommen einige Nationalspielerinnen, das Team wird zudem gut gecoached«, blickt Lindmeier auf das Finale. Unterstützung bekommt das Team von Trainern aus der Regionalliga-Mannschaft der Herren, da einige Trainer auf einer Coachingreise in den USA weilen. Unabhängig vom Spielausgang wird die erst in diesem Jahr gegründete Spielgemeinschaft nicht den Schritt in die erste Liga wagen. »Wir wollen lieber die sichere Route gehen und in ein bis zwei Jahren aufsteigen, wenn wir einen größeren und erfahrenen Kern haben«, so Lindmeier. Der Aufstieg in die erste Liga ist grundsätzlich freiwillig (tob)
Doch der Anfang war nicht leicht. »Es gab zu wenige Trainer und zu wenige Teams. Somit haben wir zunächst viel trainiert«, berichtet Wendrich. Tübingen bildete eine Spielgemeinschaft mit den Crailsheim Hurricanes. Im Jahr 2019 ging es dann in den Spielbetrieb, leider riss sich die 26-Jährige das Kreuzband im rechten Knie. Ein Dämpfer für die Studentin, die sich jedoch entschied, weiterzumachen. »Ich bin nach meinem Bachelor auch wegen des Sports in Tübingen geblieben«, erklärt die Footballerin. Es folgten Monate der Rehabilitation. Aufgrund von Corona gab es in den Jahren 2020 und 2021 keinen Ligabetrieb. Ein Jahr später folgte dann die erste volle Saison für die Quereinsteigerin der Sportart. Mit Tübingen wurde die Vize-Meisterschaft in der zweiten Liga gefeiert.
Beim Vereinssport sollte es für die 26-Jährige aber nicht bleiben. »Mit ein paar anderen Teamkolleginnen haben wir uns Anfang 2023 für die Tryouts der Nationalmannschaft angemeldet. Da kann jeder mitmachen, am Ende wurde ich in den Kader berufen«, sagt Wendrich. Als Defensive End attackiert die 26-Jährige den Quarterback des Gegners. »Ich bin schnell, für meine Position etwas schmal, aber flink und wendig. Dazu habe ich bereits Erfahrung und weiß, was auf dem Feld passiert«, charakterisiert sich die Sportlerin selbst, die in Justin James (JJ) Watt, einst bei den Houston Texans in der NFL aktiv, ihr sportliches Vorbild hat und die Nummer 26 aufgrund ihres Geburtstags am 26. Februar trägt.
Wechsel nach Reutlingen
Doch ihr Debüt mit dem Adler auf der Brust musste noch warten. Im Frühjahr 2023 riss sich Wendrich erneut das Kreuzband, nun im linken Knie. Inzwischen war sie nach Reutlingen zu den Eagles gewechselt, wo die Unterstützung bei den Frauen größer war. »Wir können hier umsonst ins Fitnessstudio gehen und werden sonst auch maximal gefördert«, so die 26-Jährige über ihren Wechsel. Erneut ließ sich die Sportlerin operieren und kam zurück. Am 24. Mai des aktuellen Jahres absolvierte sie ihr erstes Länderspiel. In Helsinki unterlag das deutsche Team gegen den Gastgeber mit 7:20. »Es war eine tolle Erfahrung. Der baden-württembergische Verband hat die Kosten für die Spielerinnen aus dem Land übernommen«, sagt Wendrich und verweist gleichzeitig darauf, dass sich American Football in Deutschland bei den Frauen noch in den Fußstapfen befindet. So wurde die Europameisterschaft auch über zwei Jahre bei nur fünf Teams gespielt. Deutschland wurde Vierter, das Erlebnis und die Erfahrung waren aber riesig. Nun will sich Wendrich die Meisterschaft holen, getreu nach ihrem Vornamen. »Imme heißt Biene, und ich werde zustechen«, blickt die 26-Jährige auf das Finale am Samstag gegen die SG Ronin Vampires. (GEA)