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Tübinger Läuferin Hanna Klein: »Schmerzen waren normal«

Die Tübingerin Mittelstreckenläuferin Hanna Klein spricht vor ihrem Kaltstart bei der EM in Rom über Medaillenchancen, ihre schwere Verletzung und ein Hobby, das sie während der Zwangspause für sich entdeckte.

Hanna Klein erwartet bei der EM ein spannendes Rennen über 5.000 Meter.
Hanna Klein erwartet bei der EM ein spannendes Rennen über 5.000 Meter. Foto: Gladys Chai von der Laage/dpa
Hanna Klein erwartet bei der EM ein spannendes Rennen über 5.000 Meter.
Foto: Gladys Chai von der Laage/dpa

ROM. Hanna Klein befindet sich auf der Zielgeraden zur Europameisterschaft in Rom (7. bis 12. Juni). Für die 31 Jahre alte Vorzeigeläuferin der LAV Stadtwerke Tübingen ist es ein besonderer Wettkampf, denn in gewisser Weise ist es ein Kaltstart. Die Hallen-Europameisterin aus dem Jahr 2023 musste nur kurz nach ihrem Triumph einen herben Rückschlag hinnehmen und fiel mit einem Achillessehnenanriss neun Monate aus, verpasste sogar die Hallensaison im Frühjahr. Nach den ersten Rennen geht es nun direkt in die Vollen. Im GEA-Interview spricht die Tübingerin über Medaillenchancen, Lehren aus ihrer schweren Verletzung und ein Hobby, das sie während ihrer Wettkampfpause für sich entdeckte.

GEA: Frau Klein, letzte Woche sind Sie über 5.000 Meter Saisonbestleistung gelaufen, wenige Tage zuvor lief es über 1.500 Meter nicht gut. Sie fühlten sich müde. Wo stehen sie vor der EM?
Hanna Klein: Ich bin mit meiner aktuellen Form super zufrieden. Ich habe drei Bahnrennen nach der langen Verletzungspause gemacht. Endlich wieder in die Wettkampfroutine reinzukommen, war für mich schon ein großer Schritt. Ich merke aber, dass ich einfach noch ein bisschen brauche, um mich wieder an die Belastungen zu gewöhnen. Aber alles in allem bin ich sehr glücklich.

Ihre Trainerin Isabelle Baumann hat zuletzt gesagt, dass sie hofft, dass Sie in Rom bereit sind, alles zu riskieren. Was meint sie damit?
Klein: Ich denke, sie meint, dass ich mir im Rennen die Chancen gebe. Das heißt: Jede Attacke mitzugehen und nicht zu früh abreisen zu lassen. Nach der langen Pause ist auch noch ein bisschen Unsicherheit da. Aber ich freue mich total auf das Rennen und spüre eine innere Bereitschaft.

Was heißt das konkret? Ist eine Medaille über die 5.000 Meter möglich?
Klein: Ich habe mir heute die Starterliste angeschaut. Wir Mädels sind alle dicht beieinander. Ich glaube, das wird ein super spannendes Rennen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich das nicht beantworten kann. Ich gehe mit viel Demut an den Start, weil ich nach neunmonatiger Pause nicht weiß, wie meine Form ist. Aber der Wunsch ist natürlich da und in meinem Hinterkopf. Aber ich bin ehrlich, ich freue mich einfach so sehr, laufen zu können. Das ist für mich das Wichtigste.

Was fehlt noch zur Top-Form?
Klein: Ich habe das Gefühl, dass ich auf den letzten Metern noch nicht so spurtstark bin wie sonst, da ich in dem Bereich noch nicht so viel trainieren konnte. Von daher würde ich mir ein zügiges Rennen mit einem langen Endspurt wünschen. Das würde mir entgegenkommen.

Welche Rolle spielt der Kopf nach so einer schweren Verletzung?
Klein: Eine sehr entscheidende natürlich. Für mich war es wichtig, dass ich im Vorfeld zwei Mal über 5.000 Meter gelaufen bin, damit ich genau weiß, was ich mir zutrauen kann und wie ich es schaffe, negative Gedanken in positive umzuwandeln.

Was haben Sie aus der Verletzungszeit mitgenommen?
Klein: Eine ganze Menge. Zuerst, dass ich mehr nach meinem Körper schaue und noch mehr darauf achte, was mir guttut. Sicher auch eine große Demut und Dankbarkeit, wieder das machen zu können, was ich liebe. Und dann habe ich gelernt, geduldig zu bleiben. Das ist manchmal echt schwer (lacht). Aber so wichtig! Ich musste die Hallensaison im Frühjahr absagen, obwohl ich unbedingt starten wollte. Aber es war richtig. Jetzt bin ich schmerzfrei. Ein Zustand, den ich so schon seit Jahren nicht mehr kannte. Schmerzen waren normal. Nach den Wettkämpfen hat eigentlich immer etwas wehgetan.

Das ist doch auch eine wichtige Erkenntnis ...
Klein: Finde ich auch. Ach...und ich habe die Leidenschaft zum Radfahren für mich entdeckt. Ich bin ein sehr sozialer Mensch und mache zum Ausgleich gerne viel mit meinen Freunden und der Familie. Da kann ich richtig Kraft tanken. So eine Tour ist da perfekt, weil man nebenher noch ein bisschen mehr sehen kann als beim Laufen und auch mal eine nette Café-Pause einlegen kann. Das macht richtig Spaß!

Ihr großes Ziel ist aber nach wie vor, die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris zu schaffen ...
Klein: Ja, das wäre toll.

Wie stehen die Chancen?
Klein: Um ehrlich zu sein, beschäftige ich mich noch nicht so ganz genau damit, weil ich mich erst auf die EM konzentrieren will. Für die Direktnorm müsste ich eine Zeit von 14,52:00 Minuten laufen und unter den ersten drei bei den deutschen Meisterschaften stehen. Aktuell fehlen neun Sekunden. Sonst geht es, sich über das World-Ranking zu qualifizieren. Aber ich denke, da lohnt sich ein Blick eh erst, wenn Rom gelaufen ist. Aber generell ist dieses Verfahren echt kompliziert.

Bislang starteten Sie meist über 1.500 Meter. Nun gehen sie über 5.000 Meter an den Start. Warum?
Klein: Im Hinblick auf die Olympischen Spiele haben wir uns eher die 5.000 Meter vorgenommen. Dort sind die Chancen, wenn ich die Qualifikation schaffe, höher, in ein Finale zu kommen. Natürlich laufe ich aber gerne weiter 1.500. Das bleibt im Herzen.

Wie ist ihre Leidenschaft fürs Laufen entstanden?
Klein: Meine Eltern haben mich schon als Kind zur Leichtathletik angemeldet. Mein Bruder hat das auch gemacht, ist aber fünf Jahre älter und durfte schon Wettkämpfe machen. Ich habe ihn bewundert und wollte das Gleiche machen. Ich weiß noch: Wenn er 1.000 Meter gelaufen ist, wollte ich auch. Ich bin dann außen um die Bahn mitgerannt. Das hat mich inspiriert. Außerdem waren immer meine Schulfreunde dabei. Wir waren eine gute Gruppe. Das schätze ich übrigens auch in Tübingen, dass wir ein tolles Team sind und uns alle so gut verstehen.

Einen älteren Bruder zu haben, dem man nacheifert, ist wahrscheinlich gar nicht so schlecht, um einen gewissen Ehrgeiz zu entwickeln, oder?
Klein (lacht): Ja. Auf jeden Fall! Ich habe immer versucht, so schnell zu laufen wie er.

Wann haben Sie ihn das erste Mal abgehängt?
Klein (muss erneut lachen): Dann als er eigentlich gar nicht mehr gelaufen ist. Er hat aber schon relativ früh aufgehört, weil er auch Fußball gespielt hat. Heute fährt er auch Rad. Wir sind dann als Familie gerne unterwegs. (GEA)