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Aktuell Handball-WM

Kurz und gut

DOHA. Bundestrainer Dagur Sigurdsson kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, als er am Tag nach dem Achtelfinaleinzug der deutschen Handballer bei der WM in Doha und 30 Stunden vor dem finalen Vorrundenspiel an diesem Samstag Gegner Saudi-Arabien charakterisiert: »Sie spielen untypisch für europäische Verhältnisse. Sie wechseln ständig in der Abwehr und ihre Positionen. Alles ist sehr flexibel und nicht einfach zu analysieren.« Die Gesichtsregung des 41 Jahre alten Isländers hat nicht ihren Grund darin, dass er sich lustig macht über den Außenseiter der Gruppe D, die das deutsche Team nach dem zu erwartenden Schützenfest als Staffelsieger beenden wird. Sigurdsson amüsieren vielmehr die Parallelen, die er zieht und sieht – zu sich selbst. »Er lässt sich immer mal was Neues einfallen«, sagt Patrick Groetzki.

Sigurdsson, seit September im Amt des Bundestrainers ist ein Taktik-Fuchs, offen fürs Ungewöhnliche und passt in kein Schema. Er lässt in Unterzahl gerne mit Kreisläufer spielen und verzichtet dafür lieber auf den Rechtsaußen.

Eine weltmeisterreife Leistung zeigte der ehemalige Spielmacher der isländischen Nationalmannschaft beim 30:30 gegen den Goldkandidaten Dänemark. Das deutsche Team überrumpelte zu Beginn den Favoriten mit einer 4:2-Abwehr. Sigurdsson sagt, die Idee sei ihm spontan auf dem Rückweg vom Training gekommen.

Während des Spiels ersetzte der Mann, der laut eigener Aussage viele Entscheidungen aus dem Bauch heraus trifft, dann überraschend Torhüter Carsten Lichtlein durch Silvio Heinevetter. Der Berliner hielt prompt überragend, um dann wieder Platz machen zu müssen. Lichtlein sicherte den Punkt, spielte darauf gegen Argentinien durch und wurde beim 28:23 zum Matchwinner. Der 34-Jährige ist Senior der Mannschaft, wurde unter Heiner Brand 2007 Weltmeister und verpasste unter Martin Heuberger die sportliche Qualifikation für die WM. Lichtlein sagt: »Der größte Unterschied zu seinen Vorgängern sind die Ansprachen. Bei Heiner und Martin waren sie immer sehr ausufernd. Bei Dagur sind sie knapp und präzise.« Kurz und gut. Lichtlein: »Vielleicht braucht es die heutige Generation so.« Es ist die Generation Twitter. Sigurdsson hat zwar auch einen eigenen Account, unterwegs in den sozialen Medien ist er aber selten. Die digitalen Welten des Mannes, der seit zehn Jahren nach Old-School-Art in den Auszeiten Anweisungen erteilt mittels seiner blauen und abgegriffenen Taktiktafel, sind Videoaufzeichnungen von den Spielen der Gegner. Die studiert er minutiös und stundenlang.

Auch seine Saudi-Erkenntnisse fußen visueller Analyse, doch der Aufwand diesmal ist so überschaubar, dass Sigurdsson am Freitag nicht nur für seinen allmorgendlichen Dauerlauf Zeit findet, sondern mit der Mannschaft auf Wüsten-Safari gehen kann. Ein bisschen Abwechslung tue allen gut, sagt Sigurdsson, der zum Rundenabschluss die Stamm-Kräfte ein wenig schonen möchte. Schließlich wolle man auch in den K.o.-Runden weiter »angreifen«.

Teamgeist ist der Schlüssel

Von einer optimalen Ausgangsposition ins Achtelfinale zu starten, war nicht einmal zu träumen, als Sigurdsson das verunsicherte Team übernahm. »Er hat das richtige Maß gefunden, um die Mannschaft neu zu formieren und neu zu motivieren. Er hat ihre eine neue Philosophie verinnerlicht. Sie hat neue Abwehrvarianten eingeübt und ist im Angriff in der Lage, wunderbare Spielzüge durchzuführen«, lobt Verbandspräsident Bernhard Bauer. Aber der Schlüssel sei der »Teamgeist«, den Sigurdsson geformt habe. Zum Beispiel mit einem Mannschaftsabend auf der Islandreise Anfang Januar, wo die Spieler in dem spartanisch eingerichteten Hostel mit Vierbettzimmern übernachteten. Jede Vierergruppe musste unter künstlerischer Anleitung schauspielern. »Das war Teambuilding, wie ich es noch nie erlebt habe«, sagt Oliver Roggisch. Der heutige Teammanager hat immerhin die Erfahrung von 205 Länderspielen. (GEA)