REUTLINGEN. Als Christos Chatzimalousis in der 94. Minute den Deckel auf die Partie machte, gab es kein Halten mehr im Medica-Logistik-Park. Ersatzspieler, Betreuer, Fans und Jugendspieler rannten alle zur Jubeltraube der Young Boys aufs Spielfeld. Auf der Tribüne stand der am Knie verletzte Angreifer Marko Drljo auf einer Sitzschale und schrie in den Reutlinger Nachthimmel: »Jamaaaaaaaaaaan.« Kurz darauf hallte es über den Sportpark Markwasen: »Spitzenreiter, Spitzenreiter, Spitzenreiter!«
Das konnte nur bedeuten: Die Young Boys haben das Verbandsliga-Spitzenspiel - Topspiele wie dieses hatte es im höheren Amateurbereich schon lange nicht mehr mit Beteiligung eines Reutlinger Clubs gegeben - gegen den FC Holzhausen gewonnen. Das Team von Erfolgscoach Volker Grimminger hat die Begegnung aber nicht nur irgendwie mit 4:2 (1:1) für sich entschieden. »Wir haben eine absolute Top-Mannschaft wie Holzhausen 90 Minuten lang an die Wand gespielt. Besser geht's fast nicht«, betonte der 46-Jährige, der einen Torhüter-Tausch vornahm (Nikolay Goranov für Martin Welsch). Es war vor der beeindruckenden Kulisse von 850 Zuschauern eine pure Machtdemonstration der Reutlinger. Sie haben ihren vermutlich größten Verfolger damit auf acht Punkte distanziert. Ein riesiger Schritt.
»Das war einfach eine super Leistung«, sagte auch Stürmer Adil Iggoute. Der Topscorer, der zuletzt bei der ersten Liga-Niederlage aufgrund einer USA-Geschäftsreise fehlte, zeigte einmal mehr seinen Wert für die Young Boys. Der 27-Jährige selbst blieb zwar ohne eigenen Treffer, legte den Teamkollegen aber zwei Tore auf. Damit steht der Topscorer nun bei fünf Toren und sieben Assists. Noch viel wichtiger: Iggoute verändert mit seiner Physis und Präsenz im letzten Drittel das Spiel. Auch gegen Holzhausen war er in jeder noch so aussichtslos erscheinenden Situation anspielbar und befreite sich spielerisch aus diesen Lagen. Note 1.
Einen Akteur herauszuheben wäre allerdings unfair. Es war eine überragende Mannschaftsleistung - von der ersten bis zur 95. Minute. Insbesondere im Spiel gegen den Ball grenzte der Auftritt der Young Boys an Perfektion. Schade, dass es im Amateurfußball keine Echtzeit-Statistiken wie in der Bundesliga gibt. Alle aussagekräftigen Zahlen hätten vermutlich für die Hausherren gesprochen.
Gefühlt jeder Zweikampf, bis auf die Duelle im gegnerischen Strafraum, gingen an die Young Boys, die mit einer extremen Intensität agierten und hochkonzentriert auftraten. Mit zwei Mini-Ausnahmen. »Die beiden Gegentore haben wir uns wieder selber eingeschenkt«, sagte Trainer Grimminger. Holzhausens Goalgetter Janik Michel (151 Tore in den letzten 152 Spielen) war eigentlich über die gesamte Spieldauer unsichtbar. Doch zweimal war der 33-Jährige eben zur Stelle, wie er es in jeder Partie ist. Fünf Minuten vor der Pause bestrafte Michel eine Unachtsamkeit in der Reutlinger Defensive mit einem Foulelfmeter zum 1:1. In der 73. Minute vollendete der Routinier dann einen blitzschnellen Gäste-Konter zum zwischenzeitlichen 2:2.
»Das kann doch gar nicht sein«, zeigten sich einige Zuschauer ungläubig über den Spielverlauf. Die Young Boys hatten Chancen wie am Fließband: Es war beinahe zum Verzweifeln für alle, die es mit der Mannschaft hielten, die erst in ihrem zweiten Verbandsliga-Jahr ist. Umso größer war die Erleichterung, als Stürmer Ante Galic kurz vor Ende der regulären Spielzeit (88.) nach einem Kopfball von Albert Silov richtig stand und den Abpraller mit dem Treffer zum 3:2 belohnte. Bemerkenswert: Der 30-Jährige lief mit einer Gesichtsmaske auf, nachdem er sich am vergangenen Sonntag eine Nasenverletzung zugezogen hatte (Haarriss und Nasenmuschel geplatzt). Das hinderte ihn nicht daran, im Topspiel einen Doppelpack zu schnüren. Bereits beim Führungstreffer stand Galic in bester Stürmermanier goldrichtig und verwertete einen Abpraller.
Witzige Anekdote: Sein Schwager Chatzimalousis sorgte nicht nur mit dem 4:2 für die Entscheidung, sondern setzte zum x-ten Mal einen direkten Freistoß in den Kasten. In diesem Fall zum 2:1 nach 68 Minuten. »Keine Ahnung, der wievielte Freistoß das jetzt schon war in den letzten zwei Jahren. Aber wenn sie so reingehen, kann's gerne so weitergehen«, lachte der feine Spielmacher und Doppeltorschütze. Sein Coach meinte abschließend: »Verdienter kann man nicht gewinnen.« Das stimmt. Jetzt ist endgültig klar: Die Young Boys sind das absolute Top-Team im württembergischen Oberhaus und kommen dem Oberligisten SSV Reutlingen sportlich immer näher. (GEA)



