REUTLINGEN. Platz sechs, 25 Punkte nach 16 Spielen und ungeschlagen in den letzten fünf Spielen vor der Winterpause. Diese starke Ausbeute hatten Verbandsliga-Aufsteiger Young Boys Reutlingen vor der Saison nur die Wenigsten zugetraut. Vor dem Auftakt ins neue Pflichtspieljahr am Sonntag (15.00 Uhr) vor heimischer Kulisse im Medica Logistik Park gegen die TSG Hofherrnweiler spricht Trainer Volker Grimminger im GEA-Interview über den Erfolg seiner Mannschaft und die Frage: Kann die Rückrunde sogar noch besser werden?
GEA:Mit welchen Gedanken blicken Sie auf die vergangenen Monate?
Volker Grimminger: In den ersten fünf Spielen haben wir Lehrgeld bezahlt. Wir waren zwar immer gut. Doch gut alleine reicht in der Verbandsliga oft nicht. Man muss auch effizient sein. Das hat uns gefehlt. Nach dem Heilbronn-Spiel Mitte Oktober erfolgte die Kehrtwende. Da wurde auch unser Spiel gegen den Ball deutlich besser. Das ist extrem wichtig. Denn wenn du mehr Ballgewinne hast, kommst du automatisch zu mehr Chancen. An dieser Stelle ein Riesenlob an meine Mannschaft.
Wofür genau?
Grimminger: Egal, ob ich auf meine Trainerstation beim SSV Reutlingen oder in Pforzheim zurückblicke: So schnell wie hier bei den Young Boys hat keine Mannschaft gelernt und versucht Verbesserungen umzusetzen.
Zur Person
Volker Grimminger wurde am 1. Oktober 1979 in Heidenheim geboren. Zwischen 2005 und 2009 lief Grimminger als Rechtsverteidiger für den SSV Reutlingen in der Regionalliga auf, ehe er im Anschluss seine Karriere bei den Young Boys Reutlingen ausklingen ließ. Als Trainer sammelte er seine ersten Erfahrungen bei den Nullfünfern in der Oberliga. Zunächst als Co-Trainer von Teodor Rus zwischen 2017 und 2019, nach dessen Entlassung war Grimminger dann in fünf Partien Interimscoach. Seine erste Cheftrainerstelle trat er im Dezember 2021 beim ambitionierten Oberligisten 1. CfR Pforzheim an, den er bis September 2022 coachte. Seit Dezember 2023 trainiert Grimminger die Young Boys Reutlingen. Der 45-Jährige ist Gründer und Leiter der »11 Freunde Fußballschule« in Reutlingen. (ott)
Das Narrativ um den Club in den vergangenen Jahren war: Die Young Boys verfügen über starke Einzelkönner. Doch für Erfolg muss auch der Kopf mitspielen.
Grimminger: Ganz genau. Das ist mehr wert als das fußballerische Können. Wenn du weißt, was du in welcher Situation zu tun hast, dann bist du vielen Spielern, die fußballerisch vielleicht besser sind, überlegen.
Wie schaffen Sie es, diese talentieren Jungs bei Laune zu halten?
Grimminger: Zunächst durch harte Arbeit. Als ich angekommen bin, habe ich bei verschiedenen mannschaftstaktischen Dingen teilweise bei Null begonnen. Deshalb hat es auch in der Landesliga zunächst ein bisschen gedauert, bis die Jungs verstanden haben, was wir als Trainerteam wollen. Doch das ist die Arbeit eines Coaches, da eben hartnäckig dranzubleiben. Und wenn man 50 Videos zeigt oder 50 Mal die gleiche Situation trainiert. Irgendwann haben die Jungs dann im Spiel gemerkt, dass es funktioniert, wenn sie es umsetzen.
»Ich bin nicht überrascht, sondern eher stolz, dass sich die Mannschaft nicht aus der Ruhe bringen lassen hat.«
Welche Rolle spielt die menschliche Komponente als Trainer?
Grimminger: Du musst natürlich auch jedem Spieler das Gefühl geben, dass er wichtig ist. Auch wenn ein Spieler mal weniger zum Einsatz kommt. Diese Situationen gibt es im Fußball immer wieder. Mal passt es nicht zum Gegner, mal stimmt die Form nicht. Trotzdem ist ein Spieler, der drei Partien nicht spielt, nicht unwichtiger als derjenige, der gerade spielt.
Überrascht es Sie selbst, wie weit die Mannschaft schon ist?
Grimminger: Überrascht bin ich nicht. Ich bin eher stolz, dass sich die Mannschaft nicht aus der Ruhe bringen lassen hat. Es gibt Teams, die auseinanderbrechen, wenn sie mal drei oder vier Spiele verlieren. Das ist bei uns überhaupt nicht der Fall gewesen. Ich wusste, was die Jungs können. Und ich wusste, wenn dieses letzte Quäntchen im Spiel gegen den Ball da ist, oder besser gesagt, die Gier, den Ball nach Ballverlust sofort nach einem Plan wiederzuerobern, dass dann der Knoten platzen und der Erfolg kommen wird.
»Das war von den Voraussetzungen unterirdisch. Da haben wir wieder einmal gemerkt: Da entsteht wirklich ein geiler Haufen«
Was war ihr persönliches Highlight der bisherigen Saison?
Grimminger: Das letzte Spiel vor der Winterpause. Auswärts beim TSV Berg. Das war von den Voraussetzungen unterirdisch. Das Wetter war katastrophal, der Platz unter aller Sau. Das kam uns als spielstarke Mannschaft überhaupt nicht entgegen. Da habe ich gemerkt, dass die Jungs gelernt haben. Sie sind weg vom Fokus des schönen Spiels gegangen und haben sich auf die einfachen Dinge konzentriert. Ballgewinne und schnelle Pässe in die Spitze. Wir haben Berg am Ende mit 2:0 geschlagen. Mit einem Sieg in die Winterpause zu gehen, ist für die Psyche extrem wichtig. Da haben wir wieder einmal gemerkt: Da entsteht wirklich ein geiler Haufen.
Kann die Rückrunde sogar noch besser werden?
Grimminger: In erster Linie geht es darum, den Abstand nach hinten zu halten. Da darf man sich nicht blenden lassen. Wir sind immer noch ein Aufsteiger. Fakt ist aber auch: Wenn wir an die Hinrunde anknüpfen, in den ersten Spielen noch cleverer agieren, werden wir zu keinem Zeitpunkt etwas mit dem Abstieg zu tun haben. Dann können wir uns möglicherweise sogar noch um ein, zwei Plätze in der Tabelle nach oben verbessern. Aber jedes Spiel beginnt wieder bei Null (schmunzelt). Ich bin mir aber sicher, dass die Jungs am Sonntag gegen Hofherrnweiler den Rasen brennen lassen. Oder den Kunstrasen schmelzen (lacht).
»Schön wäre es, mindestens den sechsten Platz zu halten und sich vielleicht ein, zwei oder drei Plätze nach oben zu verbessern. Das wäre das Optimum«
Was kann man sich noch für Ziele für die restlichen 14 Spiele stecken?
Grimminger: Ich wäre nicht Ich, wenn ich nicht nach vorne schielen würde. Nach vorne heißt in diesem Jahr aber nicht Platz eins oder zwei. Türkspor Neckarsulm und Holzhausen sind zu weit weg. Aber schön wäre es, mindestens den sechsten Platz zu halten und sich vielleicht ein, zwei oder drei Plätze nach oben zu verbessern. Das wäre das Optimum. Aber dafür müssen die Jungs vom ersten Tag an wissen, wie wir stark geworden sind. Sie dürfen nicht ihr Spiel spielen, sondern das Spiel der Mannschaft spielen. Wenn da jeder wieder seinen Job macht, dann sind wir ganz schwer zu schlagen.
Wird die Mannschaft im Sommer nochmals verstärkt?
Grimminger: Ja, klar. Das hat aber nichts mit den aktuellen Jungs zu tun. Aber wenn du 18 oder 20 gleichwertige Spieler zur Verfügung hast, dann kommt ein Konkurrenzkampf auf. Und das pusht eine funktionierende Mannschaft nach vorne. Das hat uns in der Vorrunde manchmal gefehlt. Da hat sich das Team oftmals von alleine aufgestellt. Wir wollen künftig noch ein paar Prozent mehr rausholen. (GEA)