REUTLINGEN. »Sein Potenzial ist irre.« Wenn ein Trainer solche Worte über einen seiner Spieler verliert, dann muss aufgrund der Fallhöhe mehr als ein Funken Wahrheit dran sein. Sicher, Potenzial ist immer subjektiv. Doch Aufstiegscoach Volker Grimminger vom Verbandsliga-Aufsteiger Young Boys Reutlingen hat in seiner Spieler- und Trainerkarriere schon vieles gesehen. Begeistert spricht der 44-Jährige über seinen Schützling Thomas Michael Diescher. Doch bevor der 44-Jährige erklärt, was ihn zu dieser Lobeshymne bewegt, muss zunächst eine andere Frage geklärt werden: Wer ist dieser offenbar sehr talentierte 20-jährige Flügelspieler?
Diescher, der einen US-Amerikanischen Vater hat und dessen Vorname deshalb englisch ausgesprochen wird, wurde 2004 in Stuttgart geboren. In der baden-württembergischen Landeshauptstadt ist er auch aufgewachsen. Die Jugend-Stationen von Diescher lassen aufhorchen. Zu den Stuttgarter Kickers wechselte er in den U 11-Bereich und war im Anschluss unter anderem für die B-Jugend zwei Jahre in der U 17-Bundesliga am Ball. In der U 19 zog es ihn dann weiter zum VfR Aalen - für die erste Mannschaft, die damals in der Regionalliga auf Punktejagd ging, stand er auch in Testspielen auf dem Rasen - und schlussendlich zum SGV Freiberg, die beide jeweils in der A-Junioren-Oberliga an den Start gingen. Im vergangenen Sommer folgte schließlich der Wechsel in den Aktivenbereich zu den Young Boys.
»Er hat ein extremes Tempo. Das ist mehr als nur schnell«
Warum er sich für den ambitionierten Reutlinger Club entschieden hat? »Ich war auf der Vereinssuche, weil ich in Freiberg entgegen der Absprache doch keinen Vertrag bekommen habe. Der Kontakt kam über meinen Berater zustande. Es ist ein Verein mit Perspektive, der wert darauf legt, dass Fußball gespielt wird. Das hat mir sehr gut gefallen«, berichtet er.
Zurück in die Gegenwart, in der Diescher seinen Gegenspielern regelmäßig davonsprintet. Genau das ist neben seinen Qualitäten im Eins gegen Eins sein größtes Pfund. »Er hat ein extremes Tempo. Das ist mehr als nur schnell. Auch physisch ist Thomas extrem stark. Er kann das Tempo gut über 90 Minuten gehen«, betont Grimminger, der den 20-Jährigen bislang in allen fünf Ligapartien für seine Startelf nominiert hat. Diescher selbst berichtet, dass er die 100 Meter vor zwei oder drei Jahren in 10,8 Sekunden gelaufen sei. Das ist eine richtige Ansage. »Ich habe gute Gene von meinem Vater, der ebenfalls sehr sportlich war. Aber ich habe bei den Kickers auch sehr viel Krafttraining im Schnelligkeitsbereich gemacht. Gleichzeitig habe ich mir privat auch Input beim dortigen Leichtathletik-Coach in Sachen Lauftechnik geholt.«
»Thomas ist oft noch ein bisschen hektisch. Das fehlt ihm noch, um eine Karriere in Richtung Profi-Fußball in ein, zwei oder vielleicht sogar noch höheren Ligen zu starten«
Dass es bei einem so jungen Kicker in seinem zweiten Jahr bei den Aktiven noch einige Aber gibt, dürfte keine große Überraschung sein. Was genau »die Aber« bei Diescher sind? »Der letzte Ball und sein Abschluss. Thomas ist oft noch ein bisschen hektisch. Das fehlt ihm noch, um eine Karriere in Richtung Profi-Fußball zu starten«, meint Reutlingens Trainer Grimminger. Dagegen hätte Diescher nichts einzuwenden. »Das ist schon der mittel- und langfristige Plan. Aber dafür muss die Leistung stimmen. Der Fokus liegt nur auf das Hier und Jetzt bei den Young Boys.«
Apropos Tor-Abschluss: Es ist genau die Achillesferse, von der der Coach aktuell im Prinzip nach jeder Partie spricht. Die Leistungen stimmen seit Wochen. Doch: »Ich glaube aktuell sind wir mit einem Fluch vor dem Tor belegt«, sagte Grimminger erst am Sonntag nach dem respektablen 1:1 gegen Aufstiegs-Mitfavorit SF Dorfmerkingen. Da reiht sich auch der 20-Jährige ein, der noch auf seinen ersten Saisontreffer wartet.
»Er hat eigentlich zu wenig Selbstvertrauen für das Riesen-Potenzial, das er besitzt«
Zwar ist der Stuttgarter rasant und blitzschnell auf dem Feld unterwegs, als Mensch setzt er allerdings eher auf die leisen Töne. »Thomas ist ein ganz ruhiger, zurückhaltender Typ und manchmal fast schon ein Stück weit zu lieb. Er hat eigentlich zu wenig Selbstvertrauen für das Riesen-Potenzial, das er besitzt«, meint der Young-Boys-Coach. Wohl wissend, dass sich Diescher erst am Anfang seiner Entwicklung befindet. Der 20-Jährige erklärt: »Ja, das lerne ich noch, da bin ich mittendrin in einem Prozess. Ich finde es aber sehr gut, dass ich mich auf dem Feld ausleben kann, er mir die Freiheiten gibt und ich auch Fehler machen darf. Das war und ist bei anderen Coaches nicht immer der Fall.« (GEA)