REUTLINGEN. Es läuft was schief beim Nachwuchs-Fußball! Auf Initiative der TuS Metzingen und der Reutlinger Juniors setzen sich deshalb die Jugendabteilungen einiger Vereine aus dem Bezirk Alb für einen fairen Umgang miteinander ein. Ziel ist es, dem zunehmenden Konkurrenzdenken entgegenzuwirken und gemeinsam Lösungen für gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen zu finden. Die Jugendleiter Antonio Grimaldi (TuS Metzingen) und Josip Micic (Reutlinger Juniors) haben zum regelmäßigen Austausch einen Stammtisch ins Leben gerufen. Es geht ihnen darum, den Nachwuchs-Fußball in der Region zu stärken.
- Um was geht es den beiden Initiatoren konkret?
Als zentrales Thema dieser Treffen sehen die beiden Initiatoren aktuell das Problem des immer rücksichtsloser werdenden Abwerbens von Jugendspielern und Trainern. Zum Teil wechseln sogar fast komplette Mannschaften den Verein. Meistens bedienen sich dabei größere Clubs aus höheren Ligen bei den kleineren, unterklassigen Clubs. Und dies immer öfter auf unmoralische Art und Weise. »Der Umgang von Nachwuchs-Trainern und Jugendleitern untereinander muss sich schleunigst wieder ändern«, fordert Grimaldi und stellt fest: »Das ist alles - bloß kein schönes Miteinander.«
»Der Umgang von Nachwuchs-Trainern und Jugendleitern untereinander muss sich schleunigst wieder ändern.«
So informiert der eine Jugendleiter zwar ab und an seinen Kollegen, wenn Spieler von dessen Verein zum Probetraining eingeladen werden. Allerdings ist dann von ein oder zwei Spielern die Rede. De facto sind es jedoch nicht selten ein Dutzend Nachwuchskicker, die vom meist höherklassigen Club zum Vorspielen angefragt wurden. Teilweise werden halbe oder sogar fast ganze Mannschaften inklusive deren Trainer abgeworben. Eine eher neue Unart ist es, dass sich Coaches anderen Clubs anbieten. Sie haben nicht nur ein oder zwei Spieler im Schlepptau, sondern im Extremfall eine ganze Horde. Wenn der umfangreiche Wechsel zustande kommt, hat dies zur Folge, dass der abgebende Verein fortan möglicherweise keine Mannschaft mehr stellen kann und sich somit vom Spielbetrieb zurückziehen muss.
- Was sind die Folgen?
Was derzeit im Jugendfußball abgeht, ist Teufelskreis: Große Vereine, deren Talente sich in die Nachwuchsleistungszentren der Proficlubs verabschieden, werben Spieler von mittelgroßen Clubs ab. Diese wiederum greifen auf Talente von den kleinen Vereinen zurück. Am Ende bleibt niemand verschont. Und geholfen ist damit unterm Strich auch keinem. Denn dieses Verhalten schwächt das Fundament des gesamten Jugendfußballs in der Region. Einhergehend mit der Tatsache, dass es wegen der geburtenschwächeren Jahrgänge künftig ohnehin weniger potenzielle Nachwuchs-Kicker geben wird, könnte dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel unter Umständen sogar dramatische Folgen für die gesamte Sportart nach sich ziehen: Kleine und mittelgroße Vereine müssten dadurch nicht nur wegen der immer weiter fortschreitenden Tendenz, dass mindertalentierte Kinder und Jugendliche mehr und mehr vor Spielekonsolen und ins Internet abwandern, früher oder später die Segel streichen.
»Dieses Vorgehen gefährdet nicht nur den fairen Wettbewerb, sondern auch die Existenz kleinerer Vereine«
Das Wegbrechen von Mannschaften hätte auch zur Folge, dass begeisterte, durchschnittlich talentierte Kinder wegen ausblutender Jugendabteilungen immer weniger Möglichkeiten hätten, ihrem Hobby nachzugehen. Nicht auszumalen, wenn Fußball eines Tages im Extremfall nur noch hochtalentierten sowie finanziell gut situierten Kindern in großen Vereinen angeboten werden könnte.
»Dieses Vorgehen gefährdet nicht nur den fairen Wettbewerb, sondern auch die Existenz kleinerer Vereine, die ihre Jugendabteilungen dadurch nicht mehr aufrechterhalten können«, beklagt Grimaldi und erklärt in diesem Zusammenhang: »Uns ist es wichtig, dass wir miteinander reden, statt gegeneinander zu arbeiten.«
- Was bedeutet das für den Spielbetrieb?
»Es ist ein Hauen und Stechen«, beschreibt Gökhan Sakarel, ebenfalls Jugendleiter der Reutlinger Juniors. Vereine mit höherklassigen Mannschaften haben zum Teil so viele junge Kicker zusammengehamstert, dass mancherorts bis zu vier Teams einer Altersklasse ins Rennen geschickt werden können. Auf der anderen Seite nehmen kleinere Vereine zum Teil nur noch in der F-Jugend und bei den Bambinis am Spielbetrieb teil. In der Region ist bei den A-Junioren schon seit längerer Zeit nicht mehr die Kreisstaffel, sondern die Leistungsstaffel die unterste Spielklasse. Hier gibt's im gesamten Bezirk Alb gerade einmal 21 Mannschaften. »Irgendwann werden wir dieses Problem auch bei der B-Jugend haben«, prophezeit Sakarel.
»Wir brauchen eine faire Basis für alle Vereine, damit Kinder und Jugendliche weiterhin wohnortnah Fußball spielen können.«
Beim ersten Jugendleiter-Stammtisch Mitte Mai wurde deshalb schon offen über eine Ausbildungsentschädigung diskutiert, die der Bayerische Fußball-Verband für Wechsel ab dem älteren D-Jugend-Jahrgang bereits eingeführt hat. Der Württembergische Fußballverband (WFV) gibt seinen Vereinen ab der C-Jugend die Möglichkeit zur Hand, wechselwilligen Spielern eine »Nicht-Freigabe« zu erteilen. Auch dies war Thema bei der Auftakt-Veranstaltung im Sportheim des FC Reutlingen. Aus Sicht der Vereinsvertreter werden dadurch nämlich kleinere Vereine von Opfern zu Tätern gemacht. Zum Beispiel bekommt der Sportliche Leiter des TSV Sondelfingen, Peter Slavic, den Schwarzen Peter zugeschoben, weil er diese drastische Maßnahme konsequent anwendet, um den Spielbetrieb für seine Nachwuchs-Teams zu sichern.
- Welche Ziele werden verfolgt?
Vertreter von sechs Clubs kamen zur Stammtisch-Premiere. Auch der Verbandsjugend- und Bezirksjugendausschuss des WFV war vor Ort, um sich die Sorgen und Nöte, aber auch die Vorschläge der Vereine anzuhören und mögliche Lösungswege mitzugestalten. Ziel sei es, die Kräfte in der Region zu bündeln nach dem Motto »Fußball im Verein leben und andere Vereine am Leben lassen«, so Micic. Rivalität gehöre zum Sport, »aber sie darf nicht auf leeren Versprechungen basieren, die Träume von Kindern und Jugendlichen zerstören sowie die Existenz der kleineren Vereine gefährden«, erläutert der schwäbische Kroate.
Die beiden Initiatoren wollen weder einzelne Vereine noch deren Jugendleiter oder Trainer an den Pranger stellen. Es geht ihnen vielmehr darum, den auch im Bezirk Alb zum Teil darbenden Nachwuchs-Fußball zu stärken. »Wir brauchen insbesondere im Jugendbereich eine faire Basis für alle Vereine, damit Kinder und Jugendliche weiterhin wohnortnah Fußball spielen können«, macht Micic deutlich. Die Idee: ein »Ehrenkodex« oder »Gentlemen’s Agreement«. Insbesondere für den sensiblen Bereich der Spielerwechsel fordert der Juniors-Funktionär klare Richtlinien.
Für den nächsten Termin an diesem Dienstag haben sich mittlerweile zehn Vereine angemeldet. Die Tür der Veranstaltung steht weiteren Interessenten offen; der Austausch soll künftig in regelmäßigen Abständen stattfinden. Grimaldi und Micic Mit ihrem Appell hoffen auf ein Miteinander im Jugendbereich und damit verbunden eine gesunde Entwicklung des Fußballs in der gesamten Region. (GEA)