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Rücktritt nicht ausgeschlossen

MARSEILLE. Die Größe eines Menschen zeigt sich bekanntlich erst in der Niederlage. Joachim Löw hat diese Größe am Ende vermissen lassen. Zumindest unmittelbar nach dem 0:2 (0:1) gegen Frankreich im Halbfinale der Europameisterschaft. Was denn schief gelaufen sei gegen die Equipe Tricolore, wird der Bundestrainer gefragt. »Es ist wenig schief gelaufen, wir waren die eindeutig bessere Mannschaft, mit einer machtvollen Körpersprache, Fehler habe ich kaum gesehen, nur das Glück hat uns gefehlt«, sagt Löw nach Mitternacht in den Katakomben des Stade Vélodrome zu Marseille. Eine ziemlich überraschende Erkenntnis des bis zu diesem Zeitpunkt in Frankreich überaus souverän wirkenden Badeners.

War nach dem EM-Aus völlig bedient: Bundestrainer Joachim Löw.
War nach dem EM-Aus völlig bedient: Bundestrainer Joachim Löw. Foto: dpa
War nach dem EM-Aus völlig bedient: Bundestrainer Joachim Löw.
Foto: dpa
Die Niederlage gegen Frankreich ändert das von einem Moment auf den anderen. Fragen nach seiner Zukunft mag Löw nicht beantworten: »Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt.« Er verabschiedet seine Mannschaft noch in der Nacht, der Tross ist längst wieder in Deutschland. Flüge nach München, Frankfurt und Düsseldorf, die EURO 2016, die in Saint-Denis am Sonntag mit dem deutschen Triumph enden sollte, ist nur noch eine Anekdote. Im Rückblick nicht besser als die 2012. Aus, vorbei, Ziel erneut nicht erreicht. Aber was macht Löw jetzt?
Das ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um über die Zukunft zu reden"
Ausgestattet mit einem Vertrag bis zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland, traut man diesem Löw auch zu, dass er hinwirft. Wahrscheinlich ist das aber nicht. Auch Löw müsse erst einmal zur Ruhe kommen, sagt der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Reinhard Grindel, in der Nacht in alle Mikrofone. Um ein Uhr in der Nacht rollt der Mannschaftsbus aus den Katakomben der Arena. Zu viele Fehler gegen Frankreich, ein vermeidbarer Elfmeter, und im zweiten Durchgang alle Chancen nicht genutzt. Und dann der »Todesstoß« durch den überragenden Antoine Griezmann (72.). Das Schicksal meinte es nicht gut mit Löw, sechs Wochen gemeinsamen Schaffens mit seiner Mannschaft endeten exakt ein Spiel zu früh. Wenn in Russland in zwei Jahren die Weltmeisterschaft angepfiffen wird, werden einige nicht mehr dabei sein. Bastian Schweinsteiger nicht, Lukas Podolski nicht, auch wenn der Kölner einen Rücktritt in Marseille rigoros ausschloss, von den Torhütern wird vermutlich nur Manuel Neuer übrig bleiben, die anderen sind austauschbar. Von den Angreifern wird man Mario Gomez vermutlich nicht mehr sehen, trotz einer überragenden Vorstellung in Frankreich. Die Gewichte werden sich verschieben, aber das ist nach einem Turnier normal.

Vielleicht schafft es Marco Reus doch noch einmal, Ilkay Gündogan vielleicht auch. Die sicheren Positionen neben Neuer sind für Russland Mats Hummels, Jerome Boateng, Jonas Hector, Toni Kroos, Thomas Müller und Mesut Özil. Joshua Kimmich, die Entdeckung dieser Europameisterschaft, dürfte auch in Russland bei normaler Entwicklung mehr als nur eine Option sein, wie Benedikt Höwedes, Emre Can, Sami Khedira, Leroy Sané, Julian Draxler und Julian Weigl. Bei Khedira ist die einzige wichtige Frage, ob ihn nicht immer wieder Verletzungen zurückwerfen.

Und was wird aus Löw? Vor dem Halbfinale erlebte man ihn entspannter als jemals zuvor. Der Mann, der die Nationalmannschaft in Rio de Janeiro zum Weltmeister machte, präsentierte sich in Frankreich wie einer, der ein konkretes Ziel vor Augen hat, aber zu keinem Zeitpunkt in Verdacht gerät, irgendwie abzuheben. Und dieser Löw hätte in Marseille erkennen müssen, dass die Niederlage gegen Frankreich sicher sehr unglücklich, aber nicht unverdient war. Auch wenn Toni Kroos davon sprach, die Mannschaft habe in Marseille »das beste Spiel dieser Europameisterschaft abgeliefert«. Am Ende waren die Verluste doch zu groß. Khedira verletzt, Gomez verletzt, Hummels gesperrt, Boateng verletzt, er wird einige Wochen pausieren müssen. Positionen, die nicht adäquat zu ersetzen sind. Die Franzosen hatten das Glück, ihre Leute ohne Schaden durch das Turnier zu bringen. Das hätte Löw in Marseille doch sagen können. Er sagte es nicht. Weil auch er nicht verlieren kann. Der Mann aus Schönau im Schwarzwald hat spätestens nach dem Titel von Brasilien eine spezielle Art von Souveränität entwickelt, die ihn selbst von den berühmten Kollegen zu unterscheiden schien, die vor ihm auch schon Weltmeister geworden sind. Sepp Herberger, Helmut Schön und Franz Beckenbauer, Persönlichkeiten, die Löw weit vorauseilten, sie hatten ihren Vorsprung schon eingebüßt, nach Löws Niederlage in Marseille aber nochmals bewiesen.

Joachim Löw, genannt Jogi, versuchte, dem Showdown gegen Frankreich vorher die Brisanz zu nehmen. Was gegen Italien noch funktionierte. Gegen Frankreich funktionierte es nicht mehr. Vielleicht wieder eine Niederlage, die ihm im Rückblick »wahnsinnig« weh tut, aus der er »wahnsinnig viel gelernt hat«.

»Wahnsinnig« sagt er immer noch wahnsinnig häufig, in Marseille nicht ein einziges Mal. Mats Hummels sagte: »Scheiße.« (GEA)