Logo
Aktuell Fussball

Nach Transfers: VfL Pfullingen sauer auf Young Boys?

Der Verbandsliga-Aufsteiger schlägt erneut in Pfullingen zu und hat gleich drei Leistungsträger des VfL für die kommende Saison verpflichtet. Was das für das Verhältnis der beiden Clubs bedeutet.

Laufen ab Sommer für die Young Boys Reutlingen auf: Martin Welsch, Marco Digel und Matthias Dünkel (von links).
Laufen ab Sommer für die Young Boys Reutlingen auf: Martin Welsch, Marco Digel und Matthias Dünkel (von links). Foto: GEA
Laufen ab Sommer für die Young Boys Reutlingen auf: Martin Welsch, Marco Digel und Matthias Dünkel (von links).
Foto: GEA

PFULLINGEN. Der Blick in Richtung des Sportparks am Markwasen schmerzt alle, die es mit dem VfL Pfullingen halten, gerade doppelt. Nicht nur haben die Young Boys Reutlingen die Echazstädter in der Fußball-Verbandsliga bereits in Jahr eins nach dem erstmaligen Aufstieg klar überflügelt. Für die Reutlinger glänzen auch zwei Akteure, die im vergangenen Sommer vom Ahlsberg in den nur wenige Luftkilometer entfernten und neu gebauten Medica-Logistik-Park gewechselt sind.

Routinier Kevin Haußmann zieht auf der Sechser-Position des Überraschungsdritten souverän und gekonnt die Fäden. Christos Chatzimalousis kam vor wenigen Monaten als Außenverteidiger zu den Young Boys, wurde von Erfolgstrainer Volker Grimminger zum Zehner umgeschult und präsentiert sich seitdem in der Form seines Lebens. Während die Reutlinger das Team der Stunde sind, drohen in Pfullingen nach zuletzt drei deutlichen Niederlagen in Folge am Saisonende nach sechs Jahren die Verbandsliga-Lichter auszugehen.

Noch bitterer: Die Leistungsträger Martin Welsch und Marco Digel, beides VfL-Eigengewächse, sowie Kapitän Matthias Dünkel verlassen den Verein und wechseln im Sommer zum finanzkräftigeren Rivalen aus der Nachbarschaft. Das führt zur Frage: Sind sich die beiden Clubs nun spinnefeind? Und machen die Pfullinger den ambitionierten Verein von Präsident Thorsten Bauer verantwortlich für die sportliche Misere?

Guter, immer fairer und transparenter Austausch

»Auf keinen Fall«, betont Jan Herrmann im GEA-Gespräch. »Mir ist schon klar, dass es für Außenstehende eine extreme Brisanz darstellt. Das als Ausrede zu suchen, wäre aber viel zu billig«, ergänzt der Sportliche Leiter des VfL. Er würde den Young Boys nie einen Vorwurf machen. Der Austausch mit den Reutlinger Verantwortlichen sei gut und immer fair sowie transparent gewesen. Auch der 33 Jahre alte VfL-Funktionär weiß ganz genau: »Wenn ich die Möglichkeit habe, vor der Haustüre an solche Spieler ranzukommen, die schon seit drei, vier Jahren auf diesem Niveau performen, dann wäre es ja fahrlässig, es nicht zu tun.«

Zur ganzen Wahrheit gehört auch, dass nach dem Abstieg der Young Boys in die Bezirksliga 2018 mit Matthias Kunst, Götz Gaiser und Fatmir Karasalihovic ebenfalls drei Spieler damals den Weg in die andere Richtung nach Pfullingen gegangen sind. Adi Semere, der beim Aufsteiger in derselben Position wie Herrmann beim VfL tätig ist, entgegnet mit Blick auf die Debatte: »Natürlich wollen wir den VfL Pfullingen nicht gezielt schwächen. Unsere Transfers werden völlig losgelöst vom Verein der Spieler getätigt. Die Fragen, die wir uns stellen, sind eher: Welcher Spieler macht Sinn? Und passt er auch zu uns?« Was jeder VfL-Fan, ob er's gut findet oder auch nicht, anerkennen muss: Die Young Boys machen für aufstrebende Spieler wie Welsch und Digel tatsächlich Sinn. Warum das der Fall ist?

Das Pfullinger Alleinstellungsmerkmal ist weg

In Reutlingen lässt sich einerseits mehr Geld als in Pfullingen verdienen. Das sind aber bei weitem nicht solch astronomische Summen, wie häufig auf den Sportplätzen der Region gemunkelt wird. Und das ist auch längst nicht der entscheidende Faktor. Sonst wären Chatzimalousis, Haußmann, Dünkel und Co. bereits in den weniger erfolgreichen Landesliga-Jahren zu den Young Boys gewechselt. Was am Ende am meisten zählt, ist vor allem eines: die sportliche Perspektive. Über die Hälfte der letzten Dekade konnte der VfL noch mit dem Pfund Verbandsliga wuchern. Mit dem Aufstieg der Reutlinger ist dieses Alleinstellungsmerkmal des VfL in der Region nun endgültig Geschichte. Die TSG Tübingen fährt mit ihren sehr vielen Studenten ein anderes Konzept und steht deshalb bei der Spielersuche nicht unmittelbar in Konkurrenz.

Der Status quo ist eindeutig. Am Ahlsberg geht es in jeder Saison im württembergischen Oberhaus nur um den Ligaverbleib. Die finanziellen Nachteile sind aktuell einfach zu groß, um dauerhaft zumindest im oberen Mittelfeld problemlos mitspielen zu können. Die Young Boys machen dagegen keinen Hehl daraus, dass ihr Weg weiter nach oben gehen soll. Dafür investiert der Verein von Bauer auch kräftig in die Infrastruktur. Zum Beispiel mit der kleinen, aber feinen neuen Arena mit kleinen Tribünen und einer VIP-Lounge samt Hütte. Damit hat der Verein nach vielen rastlosen Jahren eine Heimat bekommen.

Bekanntes Gesicht unterstützt im Jugendbereich

Weitere Großprojekte werden in der nahen Zukunft folgen. Auf vier ehemaligen Tennisplätzen des SSV Reutlingen wird nun auch noch ein schickes Vereinsheim mit Platz für 140 Personen entstehen sowie eine dringend benötigte Umkleidekabine, ein Kraft- und Athletikraum sowie zwei Padelplätze gebaut werden. Auch im Jugendbereich soll die Entwicklung vorangetrieben werden. Unter anderem haben die Reutlinger mit dem ehemaligen Profi-Trainer Wolfgang Geiger (früher U19-Trainer VfB Stuttgart, Co-Trainer in Köln und Augsburg, Chefscout bei Hoffenheim, Berater des Managements von RB Leipzig und Leiter der Nachwuchsabteilung des kasachischen Topclubs Kairat Almaty) einen absoluten Fachmann an Bord, der sich um die Aus- und Weiterbildung der YB-Jugendcoaches kümmert. Kurzum: Auch abseits des Feldes läuft bei den Young Boys vieles in die richtige Richtung. 

»Sie haben in den vergangenen Jahren einfach sehr, sehr gute Arbeit gemacht«, zollt Herrmann dem Lokalrivalen Respekt und fügt selbstkritisch an: »Auf die Young Boys zu schimpfen, ist der falsche Ansatz. Wir müssen uns als VfL eher fragen: Wo können wir uns verbessern, um wieder eine Konkurrenzfähigkeit herzustellen?« Man landet dabei automatisch bei den Amateurspielverträgen, die im höherklassigeren Amateurfußball-Bereich bei vielen Vereinen längst Praxis sind, bei anderen Clubs wiederum nicht großflächig angewendet werden und manchmal sogar nur bei einigen wenigen Spielern zum Einsatz kommen.

Das Problem für den VfL mit den Amateurspielerverträgen

Zur Erklärung: Vertragsamateure erhalten seit Februar 2024 eine monatliche Mindestvergütung von 350 Euro (zuvor 250 Euro). Weil der jeweilige Verein obendrauf noch Sozialabgaben zahlen muss, kostet ein solcher Spieler einen Amateurclub unter dem Strich (»Circa 30 Prozent Nebenkosten«, so Herrmann) mindestens rund 455 Euro. Das sind keine Summen, die ein Verein wie der VfL mal locker für das gesamte Team aus der Hosentasche schütteln kann. Was das jetzt alles mit der schwierigen Situation in Pfullingen zu tun hat? Ohne Amateurspielerverträge ist der Handlungsspielraum für einen Club deutlich begrenzt.

Ein Amateurkicker, der bei seinem neuen Club einen Vertrag als »Berufsspieler« unterschreibt, kann ablösefrei wechseln. Ein abgebender Club kann für einen Vertragsspieler dagegen eine Ablösesumme verlangen. Und da sind schnell einmal Summen im Bereich zwischen 3.000 und 5.000 Euro möglich. Bedeutet: Der VfL schaut in diesem Fall doppelt doof aus der Wäsche. Er muss seine Jungs für einen »Nullinger« ziehen lassen und bei der Suche nach einem Ersatzmann selbst häufig Kohle auf den Tisch legen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass die Pfullinger noch mehr versuchen müssen, ihre talentiertesten Kicker mit einem Amateurspielervertrag auszustatten. Ansonsten bleibt eine dauerhafte Zugehörigkeit in der höchster Liga Württembergs nur ein Traum. Für dieses Vorhaben müssen aber auch die Sponsorengelder ansteigen.

Große Hoffnungen in Neu-Coach Lennerth

Pfullingens Sportlicher Leiter bringt es auf den Punkt: »Wir können kein neues Stadion hinbauen oder wie Heilbronn einen eigenen Mannschaftsbus kaufen. Wir müssen auf die Kernwerte des Vereins schauen. Auf Innovationen und ein Entwicklungsprojekt, wo dann die Jungs auch dabei bleiben.« Dabei setzt der VfL große Hoffnungen auf Neu-Coach Albert Lennerth, der einst den Oberligisten SSV Reutlingen trainierte und nach dem Rücktritt von Jörg Kluge bereits am Dienstag das Traineramt beim Drittletzten übernommen hat.

»Albert hat eine absolut klare Philosophie, trainiert modern und bringt auch ein Netzwerk mit. Zudem geht er sehr in die innovative Schiene. Zum Beispiel mit genauer Datenerfassung. Das ist das, was die Jungs heutzutage vielleicht auch eher anspricht. Du musst dich als Verein erstmal so auf diesem Weg attraktiv machen«, berichtet der 33-Jährige. Was Hoffnung macht: In dieser Woche hat der VfL trotz der misslichen Lage im Kampf um den Klassenerhalt die Vertragsverlängerungen von zahlreichen Spielern bekanntgegeben.

Darunter talentierte Youngster und Club-Eigengewächse wie Nico Rall, Max Bieller, Philipp Kendel, Benny Riehle, Filip Djakovic, Tom Ankele, Roman Schubmann  oder Aris Dragulin. Das sind allesamt Spieler, die gemeinsam mit arrivierten Kräften wie Innenverteidiger Sven Packert eine neue und erfolgreiche Ära in Pfullingen prägen könnten. Über eine gute Jugendarbeit verfügt der VfL schon lange. Darauf kann man aufbauen. So oder so: Zeit, sich über die aufstrebenden Young Boys aufzuregen, bleibt da keine. Es gibt einiges zu tun in der Echazstadt. (GEA)