ECHTERDINGEN. Wir schreiben den 5. Oktober 2025. Es ist 16.59 Uhr. Schiedsrichter Dominik Wegert greift nach sechs Minuten Nachspielzeit zu seiner Pfeife. Dann ertönt der Schlusspfiff. Damit ist amtlich, was irgendwann einmal eintreten musste: Die Young Boys Reutlingen verlieren ein Spiel in der Fußball-Verbandsliga. Passiert am Sonntagmittag. Passiert gegen das Tabellenschlusslicht Calcio Leinfelden-Echterdingen. Passiert, nachdem die Elf von Trainer Volker Grimminger zuvor neun Spiele lang ungeschlagen blieb.
»Das war eine Riesenchance heute«, haderte Vereinspräsident Thorsten Bauer nach der 1:2 (0:2)-Auswärtsniederlage gegen den Oberliga-Absteiger, der in den bisherigen vier Heimspielen vier Pleiten kassiert hatte. Denn weil der schärfste Verfolger FC Holzhausen am Samstag überraschend gegen den SSV Ehingen-Süd patzte und zu Hause mit 0:1 verlor, hätten die Young Boys mit einem weiteren Sieg auf fünf Punkte vor dem vermutlich größten Konkurrenten davonziehen können. Diese Top-Gelegenheit ist dahin.
Young Boys fehlt jegliches Durchsetzungsvermögen
Und genau deshalb war der ultra-ehrgeizige Reutlinger Coach auch mächtig angefressen und stürmte nach seiner Ansprache im Mannschaftskreis nach der Partie postwendend in die Kabine. »Vielleicht war es zu viel Druck. Vielleicht haben wir den Sieg aber auch nicht so sehr gewollt wie Calcio«, fragte sich Grimminger wenige Minuten später und ergänzte: »In den entscheidenden Momenten waren wir einfach nicht entschlossen genug. Gleichzeitig ist es schwierig zu gewinnen, wenn du gegen 14 Mann spielst.« Der 46-Jährige meinte damit das Schiedsrichter-Gespann, das einige strittige Entscheidungen in einer hitzigen Schlussphase traf.
Zunächst verschlief seine Mannschaft die erste Hälfte aber komplett. Es war in den ersten 45 Minuten die bist dato schwächste Darbietung des Spitzenreiters in dieser Saison. Nichts war zu sehen von der Spielfreude, die es über einen Großteil der bisherigen Saison für Zuschauer so attraktiv gemacht hat, den Sonntagmittag für Spiele der Young Boys zu opfern. Stattdessen fehlte den Reutlingern jegliches Durchsetzungsvermögen gegen die physisch starken und groß gewachsenen Hausherren - darunter die 1,98 Meter große Stürmerkante Pero Mamic. Im Spiel nach vorne hagelte es viel zu viele Ballverluste.
Calcio-Doppelpack binnen vier Minuten
So gab es auf dem Sportplatz in Echterdingen, der direkt in der Ein- und Abflugschneise des Stuttgarter Flughafens liegt, mehr verschiedene Wetterlagen und noch deutlich mehr Airbus- und Boeing-Maschinen in der Luft als gefährliche Torannäherungen der Young Boys. Und hinten wurde es Leinfelden-Echterdingen deutlich zu leicht gemacht. Philipp Seemann durfte - einmal nach einer Flanke, beim zweiten Mal nach Ecke - binnen vier Minuten per Doppelpack auf 2:0 für Calcio stellen (32. Minute/36.).
Schmerzhaft vermisst wurde insbesondere Angreifer und Top-Scorer Adil Iggoute (fünf Tore, fünf Vorlagen) mit seiner Präsenz im Sturmzentrum. Der 26-Jährige weilte auf einer Hochzeit in den USA. »Diese vielen Ausfälle sind irgendwann auch schwierig zu kompensieren«, meinte der Trainer zurecht. Die Liste der Fehlenden ist prominent und lang. Mit Matthias Dünkel, Marco Digel und Marko Drljo fallen ohnehin drei Leistungsträger mit schweren Verletzungen aus. Gefehlt haben auch die beiden Ergänzungsspieler Batuhan Tasdögen und Shaka Pouhé. Dazu kommt, dass Mittelfeldmann Marco Gaiser nach einer Zwangspause am Sonntag nur als Einwechselspieler in die Begegnung kam. Eine alles andere als einfache Situation.
Nun das absolute Schlagerspiel gegen den FC Holzhausen
Das Gute: Der zweite Durchgang konnte nur besser werden und das tat er auch. Alles sah - wieder einmal - nach einem Comeback der Young Boys aus, als Stürmer Ante Galic sechs Minuten nach dem Wiederanpfiff nach einem schönen Angriff über mehrere Stationen am kurzen Pfosten zum 1:2 einschob. Das Momentum schien auf die Seite der Gäste zu kippen, die sich nun auch immer mehr Spielanteile sicherten. Allerdings, wie von Grimminger angesprochen, im letzten Drittel eben deutlich zu unentschlossen agierten. Weil entweder ein Spieler hier noch den Extra-Schlenker machte, der Mitspieler dort die Flanke nicht richtig in den Strafraum schlug oder ein anderer Akteur da mal wieder am Gegenspieler hängen blieb.
Fast hätten die Reutlinger durch ihren »Freistoß-Gott« Christos Chatzimalousis kurz vor Schluss doch noch ausgeglichen. Allerdings landete der Freistoß des Spielmachers aus 20 Metern nur in der Mauer. »Wir tun uns immer am schwersten, wenn wir gegen Mannschaften spielen, die hinten in der Tabelle stehen«, teilte Grimminger noch eine spannende Erkenntnis. Gleichzeitig zeigte sich der Trainer abschließend doch noch versöhnlich mit seiner Mannschaft: »Die Jungs haben bislang großartiges geleistet. Darauf können sie stolz sein. Diese Niederlage ist kein Beinbruch, aber natürlich ärgerlich. Jetzt schütteln wir uns und dann muss Holzhausen im Spitzenspiel am Freitag drunter leiden.« Ansage. (GEA)

