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Fußballer Abdoulie Drammeh aus Gambia: »Anadolu Reutlingen ist meine Familie«

Nach seiner dramatischer Flucht aus Gambia lebt Abdoulie Drammeh seit nun neun Jahren in Reutlingen.

Innenverteidiger beim Anadolu SV Reutlingen: Abdoulie Drammeh.  FOTO: BAUR
Innenverteidiger beim Anadolu SV Reutlingen: Abdoulie Drammeh. FOTO: BAUR
Innenverteidiger beim Anadolu SV Reutlingen: Abdoulie Drammeh. FOTO: BAUR

REUTLINGEN. Abdoulie Drammeh lacht. »Ich bleibe beim Anadolu SV Reutlingen bis zur Rente.« Er fühlt sich wohl beim A-Ligisten, für den er seit Beginn dieser Saison die Fußballschuhe schnürt und mittlerweile bereits die Kapitänsbinde trägt. Der im westafrikanischen Gambia geborene Drammeh verströmt eine Leichtigkeit des Seins. »Ich versuche immer, die Menschen zum Lachen zu bringen. Ich bin immer positiv.«

Drammeh lacht viel, obwohl ihm in seinem Leben häufig nicht zum Lachen zumute war. 2012 trieb ihn ein furchtbarer familiärer Konflikt in die Flucht. Seine Wege führten den Jugendlichen von Gambia in den angrenzenden Senegal über Mali nach Libyen. Dort sei er immer wieder geschlagen worden, »weil die Leute Geld von mir wollten«. Er schaffte es schließlich an Bord einer Fähre – mit 200 anderen Flüchtlingen. »Es war alles ganz eng«, erzählt der Schlaks. Und nimmt, wie damals auf dem Schiff, eine Kauerhaltung ein. »Ich dachte, ich sterbe jetzt«, erinnert er sich an die Überfahrt nach Italien.

Fußball spielt eine zentrale Rolle

Das Flüchtlings-Aufnahmelager in Mailand ähnelte einem Gefängnis mit beinahe menschenunwürdigen Lebensverhältnissen. Nach einigen Monaten gelang ihm ein Ausreißversuch nach Deutschland. Zunächst hielt er sich drei Wochen in der zentralen Flüchtlingsannahmestelle in Mannheim auf. Dann ging es für ein paar Tage nach Karlsruhe. Im August 2013 wurde er nach Reutlingen geschickt. »Ich verstand und sprach kein Wort Deutsch«, berichtet er von schwierigen Anfängen.

Der Fußballsport hatte schon zuvor in Gambia eine zentrale Rolle in seinem Leben gespielt. Drammeh wurde in der Fußballschule der gambischen Großstadt Serekunda ausgebildet. In Reutlingen fand »Abdu« bei den Young Boys eine neue Heimat. Drammeh gehörte zunächst zum Kader der zweiten Mannschaft in der Kreisliga A. »Das erste Spiel war gegen Pliezhausen. Wir haben 0:4 verloren.« Er erinnert sich an weitere Details seiner Anfangszeit in der Achalmstadt: »Von Daniel Kahsai habe ich die ersten Fußballschuhe erhalten.« Vier Mal sei er für die Zweite im Einsatz gewesen, danach hatte er als Innenverteidiger seinen Platz in der ersten Mannschaft.

Im Herbst 2015 musste der Muslim noch einmal eine schwierige Situation durchstehen. Dem gambischen Flüchtling drohte die Abschiebung. Young-Boys-Chef Thorsten Bauer setzte sich für ihn ein. Drammeh durfte bleiben. Und hat sich danach in Deutschland im Sinne des Wortes durchgekämpft. »Finanziell bin ich unabhängig«, betont der 26-Jährige. In seiner Anfangszeit in Reutlingen teilte er sich mit zwei anderen Gambiern eine Stube in der ehemaligen Ypern-Kaserne am Ringelbach. Später wohnte er in einer Wohngemeinschaft in Sondelfingen, dann mehrere Jahre mit seiner damaligen Freundin zusammen. »Momentan habe ich eine Ein-Zimmer-Wohnung in Reutlingen.« Eine Arbeitsstelle, und darauf ist er stolz, hat er auch. Drammeh hat eine Ausbildung zum Gebäudereiniger abgeschlossen und wurde von der Firma Salscheider in Betzingen mit einem Arbeitsvertrag ausgestattet.

Traum vom Profi geplatzt

Drammehs Vater lebt nicht mehr, seine Mutter habe er »seit neun Jahren nicht mehr gesehen. Ab und zu telefonieren wir«. Beim Thema Gambia, einem der ärmsten Länder der Welt, wird Drammeh schmallippig. Offensichtlich sitzen die Wunden der Vergangenheit immer noch tief. Das Thema Profifußball hat er bis vor einigen Jahren verfolgt. »Es war immer mein Traum, Profi zu werden.« Der Abwehrspieler, der den Spanier Sergio Ramos als Vorbild hat, kann nicht verstehen, weshalb er in Deutschland nicht in einer der Profiligen gelandet ist. »Ich bin schnell, kopfballstark und technisch gut.« Während seiner Zeit bei den Young Boys hätten die Stuttgarter Kickers, der SSV Reutlingen und Calcio Leinfelden-Echterdingen Interesse an einer Verpflichtung angemeldet. Konkret wurde ein Wechsel aber nie.

Vor einem Jahr schloss sich Drammeh dem Anadolu SV an. Spielertrainer Ercan Acar, den er von seiner Zeit bei den Young Boys kannte, und Fatih Türkyilmaz haben den Wechsel über die Bühne gebracht. »Abdu ist bei uns nicht nur ein absoluter Leistungsträger, sondern auch die Stimmungskanone und ein ganz feiner Mensch«, erzählt Türkyilmaz. »Der Typ ist der Wahnsinn. Er ist immer gut gelaunt«, formuliert Acar. Drammeh gibt die Komplimente zurück: »Der Anadolu SV ist mehr als ein Verein. Anadolu ist meine Familie.« Abdoulie Drammeh lacht. Wie fast immer. (GEA)