GEA: Was war es für ein Gefühl, zu wissen: Das war das letzte Mal?
Knut Kircher: Das Gefühl nach 90 Minuten war nicht wild. Klar schießen dir in der letzten Spielminute nochmal ein paar Gedanken durch den Kopf. Aber es war viel emotionaler beim Warmmachen. Da hast du mehr Zeit nachzudenken.
Über was?
Kircher: Du hörst deinen Namen. Du wirst ausführlich vorgestellt. Da gehst du in Erinnerung schon nochmal das ein oder andere Spiel oder Highlight, die ein oder andere Erinnerung durch. Es war ein viel bewegender Moment als die 90 Minuten danach. In denen bist du im Tunnel und versuchst alles nochmal so zu machen, dass du nach 90 Minuten sagen kannst: Hey komm, da ist heute nix angebrannt in deinem letzten Spiel. Du kannst also genüsslich und gemütlich in den Ruhestand gehen.
»Wenn alles über den Dialog mit den Spielern geht, dann war es ein perfektes Spiel«Das war sonst noch anders?
Kircher: Ich bin beim Rauslaufen nochmal Menschen wie Uli Hoeneß oder Franz Beckenbauer, Olli Kahn begegnet. Beim Reinlaufen nach dem Warmmachen habe ich noch mehr Legenden des FC Bayern gesehen. Und du merkst, mit denen allen standest du mal auf dem Platz. Michael Ballack, Mark van Bommel, Makaay, Lizarazu, Salihamidzic – mit denen hast du dich gemessen und duelliert. Duelliert im positiven Sinne. Jeder wollte sein Bestes auf dem Platz bringen.
Wie war die Gemütslage nach dem Schlusspfiff?
Kircher: Beim Gang in die Kabine wurde schon die ein oder andere Träne verdrückt. Dann gab’s ein Gläschen Sekt. Und nachdem es mir in 15 Jahren nie gelungen war, bei einem Meisterball am letzten Spieltag dabei zu sein, haben wir die Chance genutzt und haben uns die Feierlichkeiten angeschaut. Später in der Kabine waren dann Familie und Freunde da. Es war eine nette, runde Sache.
Sie sind mit Ihrem Team Arm in Arm noch während der Münchener Bierduschen zur Gegengerade gegangen. Dort gab’s viel Applaus von den Fans!
Kircher: Da saßen die Familien und Freunde vom kompletten Schiri-Team. Da haben wir uns nochmal kurz bedankt. Dass die Tribüne aufgestanden ist und applaudiert hat, war nett. Das war so gar nicht gewollt, dass wir quasi unsere Extra-Ehrenrunde drehen. Aber es war ein nettes Feeling, dass dich die Fans so wahrgenommen und verabschiedet haben.
Vom FC Bayern gab’s vor dem Spiel schon Blumen.
Kircher: Das empfand ich als sehr schöne Geste. Spieler und Trainer werden immer auf offener Bühne verabschiedet. Schiedsrichter bekommen einen Händedruck. Karl-Heinz Rummenigge kam in die Kabine und hat es sich aber anschließend nicht nehmen lassen, auch auf dem Platz ein paar persönliche Worte an uns zu richten und den Blumenstrauß zu übergeben. Auch mit der Reaktion des Publikums, das applaudiert hat. Das hatte etwas Wertschätzendes und ist etwas, worauf man am Ende stolz zurückblicken kann. Die Blumen hab ich dann meiner Frau geschenkt, nachträglich zum Muttertag.
Würden Sie heute wieder Schiedsrichter werden wollen?
Kircher: Ja. Es war einfach gigantisch mit den vielen Erfahrungen, den vielen Reisen, den vielen Erlebnissen über den normalen Tellerrand des Fußballs hinaus. Ich habe Flecken dieser Erde gesehen, die ich wahrscheinlich niemals sonst bereist hätte. Man konnte viel genießen, jetzt zum Ende der Karriere noch viel mehr, weil man auch mehr Gelassenheit hatte und sich eine Akzeptanz erarbeitet hatte. Ich würde den Weg wieder so gehen wollen.
Gab es in Ihrer langen Schiedsrichterkarriere das perfekte Spiel?
Kircher: Ein perfektes Spiel war das Bundesligaspiel Dortmund gegen Bayern 2012, als Dortmund 1:0 gewonnen hat. Robben hat damals noch einen Elfmeter verschossen. Das war ein Highlight. Da ging ein Spiel über die Bühne, Erster gegen Zweiter. Es war fast klar, der Gewinner wird am Ende Deutscher Meister, so ist es dann auch gekommen. Die ganze Fußballwelt hat auf dieses Spiel geschaut. Wenn man dann ohne Gelbe Karte auskommt, wenn alles über die Persönlichkeit im Dialog mit den Spielern geregelt werden kann, dann sagt man: Das war das perfekte Spiel. (GEA)