KREIS REUTLINGEN. »Es gibt mindestens vierzig Hotspots auf der großen Gemarkung von Münsingen, an denen jeweils hunderte Katzen leben. Denen geht es gar nicht gut«, sagt Svenja Große-Kleffmann, Vorsitzende des Tierschutzvereins Mensch und Tier Region Schwäbische Alb (MuT). Sie nennt ein krasses Beispiel. An einem Bauernhof bei Eningen hat ihr Verein etwa 580 Katzen entdeckt: »300 erwachsene Tiere und 280 Kitten.« Es gebe im gesamten Landkreis Reutlingen zu viele Streuner, die teilweise schwer krank seien, sich aber dennoch stark vermehrten. Ihre Zahl müsse dringend begrenzt werden.
Deshalb hat sie einen Aufruf gestartet. In der Woche vom 7. bis zum 11. April plant der Verein eine Aktion, bei der in Münsingen möglichst viele von den Streunern eingefangen und erstversorgt werden sollen. Im Anschluss sollen die Tiere kastriert sowie gechippt oder tätowiert werden. Die unkontrollierte Vermehrung wäre so gestoppt und die Katzen wären gleichzeitig registriert. Im Aufruf des Vereins steht das Ziel, »sämtliche freilebende und verwilderte Katzen in der Region zu kastrieren«. Dafür brauche der Verein Unterstützung. Fahrer und Fahrzeuge wie Sprinter, Versorgungsteams und Fangteams werden im Aufruf gesucht.
Enorm wichtig sei vor allem die Kastration: »Denn Katzenweibchen können bis zu dreimal im Jahr trächtig werden und vier bis sechs Katzenbabys zur Welt bringen. Da kann sich jeder ausrechnen, dass die Zahl der Streuner von alleine nicht zurückgehen wird, im Gegenteil«, so Große-Kleffmann. Sie setze auf rege Teilnahme an der geplanten Aktion und freue sich, dass die Stadt Münsingen sie unterstütze. Das bestätigte Ordnungsamtsleiter Marcel Claß dem GEA.
Heidi Renner, Leiterin des Reutlinger Tierheims, hält solche Einfang- und Kastrations-Aktionen für unerlässlich. Sie bestätigt, dass es auch in Reutlingen mehrere Hotspots gibt, an denen sich vermehrt Streunerkatzen aufhalten und sich vermehren: »Wir organisieren solche Einfang-Aktionen seit Jahren regelmäßig. Hauptsächlich an Wochenenden, denn montags ist bei uns im Tierheim Kastrationstag.« Sie erklärt das Vorgehen an den Streuner-Hotspots in Reutlingen so: »Wir statten die Fallen mit Katzenfutter als Lockmittel aus. Die Streunerkatze geht hinein und die Klappe geht automatisch zu. Danach kommen die Tiere zu uns ins Tierheim.« Mit dieser Vorgehensweise hat das Tierheim laut Renner bereits mehr als 1.100 Katzen im Landkreis kastriert.
»Mehrfach musste ich chronisch entzündete Augen oder Schwänze amputieren«
Seit 2023 ist Tierärztin Dorothee Wiest Teil dieser Aktionen und kastriert reihenweise Streunerkatzen a auch im Reutlinger Tierheim. Sie berichtet dem GEA von schlimmen Schicksalen der verwahrlosten und verwilderten Tiere: »Sehr viele haben Parasiten, kaputte Zähne und eitrige Abszesse. Mehrfach musste ich chronisch entzündete Augen oder Schwänze amputieren.« Die Streunerkatzen hätten nicht selten panische Angst vor Menschen: »Oft werden sie erst gesichtet, wenn sie Welpen haben oder krank sind. Viele sterben im Verborgenen.«
Heidi Renner setzt sich seit Jahren dafür ein, dass Städte und Kommunen im Kreis Reutlingen eine Katzenschutzverordnung erlassen. Darin wird verbindlich vorgeschrieben, dass die Halter ihre Katzen fachgerecht kastrieren lassen müssen. Außerdem müssen die Tiere mit einem Mikrochip oder einer Ohrtätowierung gekennzeichnet und registriert werden. Ein Standard, der die Zahl der Streunerkatzen reduzieren und viel Elend bei ihnen verhindern dürfte, ist die Tierheim-Chefin überzeugt.

Eningen hat mittlerweile eine solche Verordnung. Der Gemeinderat stimme erst im vergangenen November mehrheitlich für das Regelwerk. Hechingen hat seit dem 5. Februar seine Katzenschutzverordung. In Reutlingen hatten die Grünen im September 2021 einen Vorstoß in diese Richtung gemacht und einen Antrag in den Gemeinderat eingebracht. Unterstützt wurden sie dabei von der Tierschutzbeauftragen der Landesregierung, Dr. Julia Stubenbrod, die einen Entwurf für eine kommunale Katzenschutzverordnung gleich mitlieferte. Eningen hat sich an dieser orientiert und Hechingen hat sie in der Gemeinderatsvorlage nahezu wörtlich übernommen.
Doch der Vorstoß der Reutlinger Grünen scheiterte noch vor der Abstimmung vor vier Jahren im Gemeinderat. In einer Einschätzung der Stadtverwaltung hatte Ordnungsamtsleiter Albert Keppler eine Verabschiedung einer Katzenschutzverordnung nicht für notwendig erachtet und unter anderem geschrieben: »Die Aufzeichnungen des Tierheims über Fundtiere deuten nicht auf ein wachsendes ‚Katzenproblem‘ in Reutlingen hin.« Keppler machte auch deutlich, dass die Regeln einer Katzenschutzverordnung nicht kontrolliert werden könnten: »Zu bedenken ist auch, dass Verstöße gegen die Pflichten einer solchen Katzenschutzverordnung nicht geahndet werden können, da hierfür keine Bußgeldnorm enthalten ist«, heißt es in seiner Stellungnahme. Im Reutlinger Rat kam es seinerzeit dann nicht mehr zu einer Abstimmung.
»Ich werde nicht müde, eine solche Katzenschutzverordnung für Reutlingen einzufordern«
Für Tierärztin Wiest ist diese Haltung vieler Gemeinden typisch, denn: ». Rechtlich werden besitzlose Katzen dem Fundrecht zugeordnet und dementsprechend sind Gemeinden dazu verpflichtet, sich um diese Katzen in ihrem Gemeindegebiet zu kümmern. Auch müssen sie tatsächlich Futterstellen organisieren und bezahlen.« In Zeiten klammer Gemeindekassen werde das Problem kleingeredet, so Wiest.
Tierheim-Chefin Heidi Renner will sich jedenfalls damit nicht abfinden: »Ich werde nicht müde, eine solche Katzenschutzverordnung für Reutlingen einzufordern, denn das Problem mit Streunerkatzen wird nicht weniger, im Gegenteil.« Auch die Vorsitzende des Lichtensteiner Tierschutzvereins, Svenja Große-Kleffmann, setzt darauf, dass weitere Kommunen dem Beispiel von Eningen folgen: »Vielleicht ist es ja bald in Münsingen so weit.« (GEA)