REUTLINGEN. Apfelbutzen, Orangenschalen, Laub oder Gartenschnitt, all das landet (idealerweise) in der braunen Biotonne. Deckel auf, Biomüll rein, Deckel wieder zu. Das sind für viele Menschen in Reutlingen nahezu die Berührungspunkte mit ihrem organischen Abfall. Doch erst danach wird's spannend.
Nachdem der Bioabfall, nach der Leerung der Tonne, in den großen Bäuchen der Mülllaster der Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR) geplumpst ist, geht er auf eine Reise, eine recht lange sogar. Dass weiterhin zu viele sogenannte Störstoffe, wie Plastik, Glas oder Metall, da hineinfliegen, obwohl diese da nichts zu suchen haben, ist ein anderes Thema und spielt hier nur ganz am Rande eine Rolle.
Pro Kopf etwa 80 Tonnen Biomüll im Jahr
Zunächst transportieren die TBR-Lkw den Bioabfall zur Umschlagstation auf die Reutlinger Deponie Schinderteich und er wird dort für den Weitertransport fertiggemacht. Von dort es geht an den Bodensee, in die Vergärungsanlage nach Singen. Das sind immerhin etwa 140 Kilometer - einfach. Die Strecke treten viele Tonnen Biomüll in Richtung Süden an. Pro Jahr sind es laut TBR-Chef Dirk Kurzschenkel insgesamt etwa 10.000 Tonnen. In den letzten zwölf Jahren haben die Reutlinger übrigens ziemlich gleichbleibend viel Biomüll in ihre Tonnen gegeben - etwa 80 Kilo pro Kopf und Jahr. So steht es im Abfallwirtschaftskonzept der TBR.

Auf dem Gelände der Firma Reterra kommt der Reutlinger Biomüll auf Förderbänder. Dort werden die genannten Störstoffe aussortiert, erklärt Dirk Kurzschenkel. Das entsprechend gefilterte Material kommt anschließend in Gärbehälter. Das sind große Räume aus Beton oder Edelstahl, die auch Fermenterboxen genannt werden. »Diese werden geschlossen und der Vergärungsprozess beginnt, und zwar ohne Luft«, so Kurzschenkel. »Das funktioniert anders als die klassische Kompostierung, die alle aus dem Garten kennen. Diese Vergärung holt mehr raus.«
Für den Vergärungsprozess sind spezielle Bakterien verantwortlich, die den Biomüll zersetzen und daraus ein Gas produzieren - das Vergärungsgas. Mit diesem Gas lässt sich eine ganze Menge Energie erzeugen: »Es kann als Rohbiogas genutzt und beispielsweise verbrannt werden. Dann kann daraus Fernwärme entstehen. Oder es wird zur Stromproduktion genutzt«, weiß Kurzschenkel. Umgerechnet gilt in der Branche die Formel: Eine 120 Liter-Biotonne hat so viel Energie wie etwa vier Liter Heizöl - nur eben Bio und nicht fossil.
Biogas, Dünger oder Substrate für die Landwirtschaft
Bleiben also noch die festen Bestandteile des Biomülls übrig. »Die verrotten noch einige Zeit weiter und kommen später als fester Kompost auch zum Einsatz«, so Kurzschenkel. In Anlagen wie der in Singen machen sie aus diesem festen Kompost unter anderem Biodünger sowie Substrate für die Landwirtschaft, den Garten oder den Obstanbau. Die Produkte kann jeder direkt vor Ort abholen oder sie werden - bei größeren Mengen - auch per Lkw angeliefert.
Dieser Weg und die Verarbeitung des Reutlinger Biomülls in Singen fußt laut TBR auf einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderates und funktioniert seit vielen Jahren. Für die nächsten vier Jahre ist er außerdem vertraglich so gesichert. Das Landesumweltministerium empfiehlt genau diese Art der Weiterverarbeitung von Biomüll. Doch TBR-Chef Kurzschenkel findet: »Singen liegt ja nicht gerade um die Ecke und allein durch den langen Transport bleibt leider viel Energieverbrauch auf der Straße. Eine Biomüllvergärung hier in der Nähe von Reutlingen wäre viel besser. Es muss überall mehr solcher Anlagen zur Energiegewinnung geben.«
Eigene Vergärungsanlage in der Region
Die Landkreise Reutlingen und Tübingen sowie die Stadt Reutlingen haben demnach vor, eine solche Anlage wie in Singen auch in der Region zu bauen. Andere Landkreise sollen dabei mit ins Boot genommen werden. »Wie eine Biomüllaufbereitung hier in der Region funktionieren könnte, hat die Hochschule Reutlingen bereits untersucht. Ich denke, in ein bis zwei Jahren könnte eine solche Anlage auf den Weg gebracht und in vier bis fünf Jahren bereits betrieben werden«, blickt Dirk Kurzschenkel in die Zukunft. Dann könnte vor den Toren Reutlingens nicht nur Biogas, Fernwärme sowie Kompost und Flüssigdünger produziert, sondern auch die Herstellung von Wasserstoff aus Biomüll angegangen werden, ist er überzeugt. Sollte eine Vergärungsanlage wie die in Singen in der Region in Betrieb gehen, würden viele tausend Tonnen Biomüll nicht mehr auf die Reise gehen und damit Energie »auf der Straße liegenbleiben«, sondern Bio-Energie würde in der Region produziert. (GEA)