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Wissenschaftler: Hagelgefahr für Reutlingen und Region wächst

Gewitterzellen können sich über Reutlingen, Tübingen oder der Alb gut bilden, sagen Experten. Und: Die Gewittergefahr ist in unserer Region am höchsten in ganz Deutschland.

Größtes Hagelkorn Deutschlands
Dies ist das angeblich größte Hagelkorn Deutschlands. Aufgenommen am 6. August 2013 in Sonnenbühl-Undingen. Foto: Marco Kaschuba
Dies ist das angeblich größte Hagelkorn Deutschlands. Aufgenommen am 6. August 2013 in Sonnenbühl-Undingen.
Foto: Marco Kaschuba

REUTLINGEN/TÜBINGEN/ROTTENBURG. Während vielerorts die Aufräumarbeiten nach dem schweren Hagelunwetter noch andauern, haben Wissenschaftler und Wetterexperten darauf hingewiesen, dass Reutlingen und die Region besonders gefährdet sind für solche gefährlichen Wetterereignisse. Gerade der Bereich südlich von Stuttgart, vom Neckartal bis zur Schwäbischen Alb, werde als Gefährdungsgebiet betrachtet, hieß es. Davon geht auch Dr. Jan Handwerker aus. Er untersucht mit Radartechnik unter anderem Gewitterwolken darauf, wie groß ihre Hagellast ist. 

Der Wissenschaftler vom Karlsruher Institut für Technologie betreibt mit Kolleginnen und Kollegen eine Wetterstation zwischen Rottenburg und Wurmlingen. Die Meteorologen haben kurz vor dem Hagelunwetter am 22. Juni mit ihrer Technik erkennen können: Diese herannahende Gewitterzelle, die sich vom Neckartal in Richtung Reutlingen bewegte, bringt große Hagelmengen mit sich.

Das Ziel: Bessere Vorhersagen

Jan Handwerker geht davon aus, dass solche Gefährdungslagen mit den entsprechenden Schäden zunehmen werden: »Die Zahl der Gewitter, auch der schweren Gewitter in dieser Region, werden zunehmen. Die Perioden, in denen Gewitter die Wetterlage bestimmen, werden länger andauern. Ebenso wie auch Trockenperioden länger andauern werden.« Das sei eine erkennbare Folge des Klimawandels. 

Sein Kollege, Professor Michael Kunz, ist sich mit Blick auf die Region sicher: »Es ist das Gebiet in Deutschland, das am häufigsten von Gewittern betroffen ist.« Die Wucht des jüngsten Unwetters und die Größe der Hagelkörner seien dagegen außergewöhnlich gewesen. Michael Kunz forscht unter anderem daran, wie solche Unwetter besser und früher vorhersagbar werden können. Denn die Tücke bei solchen gewaltigen Gewitterzellen sei: Ihr Weg und ihre Zerstörungskraft lassen sich eben schwer vorherberechnen. So sei die gewaltige Gewitterzelle vom 23. Juni ziemlich überraschend »nach rechts abgebogen - in Richtung Reutlingen«.

»Unser Ziel ist es, in wenigen Jahren eine Vorhersage zu berechnen, die wir zwölf oder 24 Stunden vorher treffen können.« Wie wichtig dieses Ziel erachtet wird, zeigt sich auch daran, dass seine Forschung von der Sparkassenversicherung gefördert wird. »Das hat etwas mit Risikoberechnung zu tun«, so Kunz, »die Versicherer wollen wissen, wie hoch der Schaden sein kann, der rein statistisch berechnet, nur alle 200 Jahre eintreffen kann.« Diese Vorgabe scheint angesichts der Unwetter von 2013 und jetzt für die Region überholt zu sein.

Superzelle TÜ
Der Deutsche Wetterdienst rechnet mit Unwettern auch in Reutlingen. Foto: Gerd Ruoß
Der Deutsche Wetterdienst rechnet mit Unwettern auch in Reutlingen.
Foto: Gerd Ruoß

Auch der Wetterexperte Roland Hummel aus Engstingen erklärt: »Die sommerlichen Hitzegewitter nehmen eindeutig zu. Sie ziehen von Südwesten Richtung Nordosten und laden sich bei geringer Windgeschwindigkeit über den Tag mit Feuchtigkeit und Energie auf. Schon am Mittag sind regelrechte Wolkentürme zu sehen, die sich am Nachmittag und Abend entladen können.«

Versicherungswirtschaft geht von zunehmenden Schadensfällen aus

Die Versicherungen gehen jedenfalls inzwischen davon aus, dass die Schäden zunehmen werden. Denn von Naturgefahren ist Baden-Württemberg im Vergleich zu den meisten anderen Bundesländern besonders betroffen. Nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) haben Sturm, Hagel, Blitz und Überschwemmungen im Südwesten im  Jahr 2019 rund 28.000 Schäden in Höhe von 73 Millionen Euro allein an Kraftfahrzeugen verursacht. Mit vier Schadensmeldungen auf 1.000 kaskoversicherten Fahrzeugen liege Baden-Württemberg hinter Bayern auf Platz zwei der bundesweiten Naturgefahrenbilanz, teilte der GDV mit. (GEA)

Hagelunwetter
Mittelstadt war vom Hagel besonders betroffen. Die Mengen stuften Meteorologen als außergewöhnlich ein. Foto: Markus Niethammer
Mittelstadt war vom Hagel besonders betroffen. Die Mengen stuften Meteorologen als außergewöhnlich ein.
Foto: Markus Niethammer