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Aktuell Tierwohl

Wirbel um Elefanten im Reutlinger Weihnachtzirkus

Tierschützer protestieren gegen den Auftritt von Elefanten im Reutlinger Weihnachtszirkus. Zu Recht? Was die Veranstalter, ein Zoo-Direktor und die Behörden dazu sagen.

Elvis Errani ist Tierdompteur in dritter Generation und tritt ab Freitag im Reutlinger Weihnachtszirkus auf. Foto: PR
Elvis Errani ist Tierdompteur in dritter Generation und tritt ab Freitag im Reutlinger Weihnachtszirkus auf.
Foto: PR

REUTLINGEN. Die Welt ist in den wenigsten Fällen eindeutig schwarz oder weiß, gut oder böse, entweder oder. Nein, die Welt ist sowohl als auch, voller menschlicher Schwächen oder, um es in einer Farbe auszudrücken - ein Grau, das mal in helleren, mal in dunkleren Schattierungen daher kommt. Grau, wie ein Elefant, dieses große, sensible Tier, der Dickhäuter, der klug und gesellig ist. Womit wir auch schon bei dem Fall wären, der momentan in Reutlingen für Wirbel sorgt. Im diesjährigen Weihnachtscircus der Familie Sperlich, der am Freitag Premiere hat, ist eines der angepriesenen Highlights der Artist Elvis Errani und seine drei Elefantendamen Mala, Baby und Yumba. In den sozialen Medien kochen die Emotionen hoch, es werden Verbote gefordert, Tierschützer haben für Freitag und Samstag Demonstrationen angekündigt. Doch stimmt es, dass alle Wildtiere im Zirkus leiden? Der GEA hat mit Experten, aber auch dem Tierhalter und dem Veranstalter des Weihnachtscircus gesprochen.

Die Tierschützer

Seit Bekanntwerden, dass in diesem Jahr Elefanten an das Areal an der Kreuzeiche kommen, melden sich immer wieder Tierschutzorganisationen, aber auch Leser in der Redaktion, und verleihen ihrer Bestürzung Ausdruck. So fordert beispielsweise der Verein von Menschen für Tierrechte Baden-Württemberg aus Stuttgart: "Tiere gehören nicht in die Manege!" Der Verein "appelliert daher eindringlich an die Stadt Reutlingen, die Zirkus-Sponsoren, den Gemeinderat und das Veterinäramt, sich klar zu positionieren und die Fortführung des Reutlinger Weihnachtscircus zu hinterfragen beziehungsweise zu stoppen. Noch eindrücklicher schildert die Tierschutzorganisation Peta den Zustand von Zirkustieren: "Die meisten dieser Tiere sind Wildfänge und grausamst gebrochen worden, um überhaupt so zu einer völlig unnatürlichen Dressur gezwungen werden zu können! Alle diese gewaltsam zur Dressur abgerichteten Tiere leiden entsetzlich!"

Der Elefanten-Experte

Wilhelma-Direktor Dr. Thomas Kölpin leitet im Europäischen Zooverband EAZA die Expertengruppe für Elefanten. Er erklärt im Gespräch mit dem GEA, warum die Wildtiere nichts in Zirkusmanegen verloren haben. »Elefanten sind hochkomplexe soziale Lebewesen, die selbstbestimmt leben können und wollen. In der freien Natur sind sie oft viele Stunden am Tag unterwegs, um Futter zu suchen – eine Beschäftigung, die ihnen im Zirkus fehlt. Das Leben dort unterscheidet sich komplett von ihrer natürlichen Sozialstruktur, ihr Sozialverhalten in freier Natur ist viel komplexer.« Das Fahren in den engen Behältnissen stellt eine weitere Belastung für die Tiere dar. »Das Modell herumreisender Tiere muss hinterfragt werden. Aus meiner Sicht gehören Elefanten nicht mehr in die Zirkusse. Es ist schwierig für die Psyche der Tiere. Es ist nicht das, wie ein Elefant üblicherweise lebt.«

Um die Dickhäuter zu Kunststücken zu bringen, »braucht es eine Dominanz durch den Dompteur. Das geht nur mit einem Brechen der Tiere, man nötigt ihnen etwas auf, das sie von sich aus nie machen würden.« Natürlich sei es so, dass Tiere etwas lernen wollen, aber keine Kunststücke. »Es handelt sich um reine Unterhaltung, ohne einen didaktischen Hintergrund oder einen Beitrag für den Artenschutz – das finde ich aus ethischer und wissenschaftlicher Sicht nicht mehr angemessen«, so Dr. Thomas Kölpin. Für ihn ist es außerdem aus »lernpädagogischer Sicht fragwürdig«, welches Bild man den Zuschauern von einem Elefanten vermittelt, der in einer Manege auftreten muss. Zoo-Direktor Kölpin will nicht den Zirkus an sich in Frage stellen, wie er betont, sondern ihm gehe es darum, das Tierwohl zu erhöhen. Es sei möglich, Wildtiere in besseren Umständen zu halten, etwa in Zoos oder Wildparks. Wildtiere, die einen Großteil des Jahres auf Reisen sind, um Dressuren zu zeigen: »Das kann ich als Tier- und Artenschützer nicht befürworten« - so sein Fazit.

Der Kreisveterinär

Dr. Thomas Buckenmaier ist der Leiter des Kreisveterinär- und Lebensmittelüberwachungsamts, und er ist daher auch immer zugegen, wenn ein Zirkus mit Tieren in die Stadt kommt. »Wir schauen uns die Tiere an, kontrollieren die Haltungsbedingungen, die Pflege und Ernährung.« Immer wieder komme es bei Zirkussen zu Beanstandungen, aber meist werden Dinge schnell behoben, wenn sie vom Veterinär-Amt angemahnt werden. Mit dem Reutlinger Weihnachts-Circus habe er in all den Jahren noch keine schlechten Erfahrungen gemacht, betont der Tierarzt. Das war auch in diesem Jahr nicht anders. Die notwendige Erlaubnis nach Paragraf 11 des Tierschutzgesetzes wurde bereits vor Anreise der Tiere vorgelegt. Am Mittwochmorgen kam Dr. Buckenmaier unangekündigt mit einer Kollegin in den Zirkus, um sich die Elefanten sowie die Katzen anzuschauen. »Das Ergebnis war sehr positiv«, fasst er zusammen.

Die friedlichen Riesinnen  Mala, Baby und Yumba sind an der Reutlinger Kreuzeiche untergebracht.
Die friedlichen Riesinnen Mala, Baby und Yumba sind an der Reutlinger Kreuzeiche untergebracht. Foto: Frank Pieth
Die friedlichen Riesinnen Mala, Baby und Yumba sind an der Reutlinger Kreuzeiche untergebracht.
Foto: Frank Pieth

Dabei sei es durchaus schwierig, den Bedürfnissen von Elefanten gerecht zu werden. Ihre Pflege ist anspruchsvoll, sie brauchen viel Bewegung und Nahrung. »Aber hier ist es gelungen«, betont der Tierarzt nach der Inspektion. Er habe zudem gesehen, wie die Tiere auf die Menschen reagiert haben, da habe man eine Vertrautheit spüren und beobachten können. Ein generelles Verbot von Wildtieren im Zirkus sieht Buckenmaier daher nicht als notwendig an - »wenn das der Zirkus hinkriegt, ist es in Ordnung und man muss es nicht verbieten«. Müsste er eine Prioritätenliste aufstellen, würde er eher für strengere Regeln im Nutztierbereich plädieren, etwa bei Tiertransporten. Und auch sonst kommen die Veterinäre immer wieder zu Tieren, die in unwürdigen Zuständen leben müssen. Dies sei bei Elvis Erranis Elefanten nicht der Fall gewesen. Eine Fehlprägung liege bei den meisten Tieren vor, die von klein auf von Hand aufgezogen und für die Manege trainiert werden - das steht auch für Buckenmaier außer Frage. Diese Bezogenheit auf den Menschen sei unnatürlich, »aber das heißt nicht automatisch, dass das schlecht ist«.

Die Stadt Reutlingen

Zurück zur Forderung von Peta und Co., den Auftritt von Wildtieren generell zu verbieten. Ginge das überhaupt? Nein, schreibt die Pressestelle der Stadt und erklärt: »Reutlingen hat keine eigene Veterinärzuständigkeit. Die Frage, ob und in welcher Ausgestaltung Tiernummern in Zirkussen tierschutzgerecht sind, entscheidet für Reutlingen das Kreisveterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt. Die Stadt hat selbst keine Experten, die dies beurteilen können.«

Am Freitag feiert der diesjährige Weihnachtszirkus Premiere. Tierschutzorganisationen haben schon Demonstrationen angekündigt.
Am Freitag feiert der diesjährige Weihnachtszirkus Premiere. Tierschutzorganisationen haben schon Demonstrationen angekündigt. Foto: Frank Pieth
Am Freitag feiert der diesjährige Weihnachtszirkus Premiere. Tierschutzorganisationen haben schon Demonstrationen angekündigt.
Foto: Frank Pieth

Damit liegt der Ball wieder beim Kreisveterinäramt, allerdings kann dies nur tätig werden, wenn Verstöße vorliegen - was nicht der Fall ist. Aber wie wäre es, wenn die Kommune vorsorglich jeden Zirkus verbietet, der plant, Tiere in der Manege auftreten zu lassen? »Den Gemeinden steht kein Regelungsspielraum für den Erlass eines Wildtierverbots in Zirkussen oder ähnlichen Veranstaltungen zu«, schreibt das Presseamt der Stadt. Und belegt dies mit Gerichtsurteilen und einem Schreiben des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, in dem auf die engen Grenzen für einen Ausschluss hingewiesen wird.

Die Veranstalter

Michael Sperlich war bereits im Vorfeld klar, dass der Auftritt der drei Dickhäuter für Proteste sorgen wird. Denn egal, welche Tiere in der Manege sind, ob Ponys, Katzen oder Tauben - Tierschützer demonstrieren regelmäßig vor ihren Zelten. Was auch ihr gutes Recht sei, wie Sperlich betont. »Viele Kollegen haben mich für verrückt erklärt, aber ich muss nicht auf jeden Zug aufspringen«, erklärt er, warum sein Weihnachtszirkus nicht tierfrei ist, wie manch andere es schon sind. Er sei immer gesprächsbereit, signalisiere dies auch den Demonstranten, die allerdings kaum einmal das Gespräch mit ihm suchen. Für ihn sei es wichtig, dass die Tiere in guter Obhut sind. Ist dies der Fall, gehören Tiere für Sperlich nach wie vor zum Zirkus. Wobei die Nummern mit Groß- und Wildtieren rückläufig sind.

Umfrage (beendet)

Sollte es ein generelles Wildtierverbot in Zirkussen geben?

Nicht nur im Reutlinger Weihnachtszirkus: Wildtiere gehören nach wie vor fest zum Programm mancher Zirkusse. Tierschützer und Politiker fordern schon seit geraumer Zeit ein Verbot der Wildtierhaltung im Zirkus.

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Elefanten werden wahrscheinlich das letzte Mal in Reutlingen auftreten, denn es gibt keine weiteren, die die Kriterien der Gomaringer Zirkusfamilie erfüllen. Er bietet Elvis Errani und seinen Tieren dieses Jahr gerne die Möglichkeit für einen Auftritt. Schließlich muss der Besitzer für den Unterhalt der Tiere aufkommen, was allein bei einem täglichen Nahrungsbedarf von 130 Kilogramm pro Elefant nicht gerade wenig ist. »Hier wird ihnen alles gestellt«, sagt Michael Sperlich: Essen, ein beheiztes Zelt, aufgewärmtes Wasser und eine große Wiese. Ob sich die Investition lohnt und mehr Besucher kommen, weil Elefanten im Programm sind, lasse sich vorab nicht einschätzen. Allerdings gebe es auch viel positive Rückmeldung und Interesse aus der Bevölkerung.

Der Dompteur

Elvis Errani ist Tierdompteur in dritter Generation: Mala, Baby und Yumba waren schon im Besitz seiner Familie, als er auf die Welt gekommen ist. »Ich bin mit ihnen aufgewachsen, wir haben eine sehr enge Bindung, sie sind wie eine Familie«, erzählt er. In diesem Jahr hat er mit seiner Nummer in Monte Carlo den Goldenen Clown gewonnen. »Das ist wie der Oscar für Zirkusartisten«, sagt er stolz. Er achte darauf, dass die drei Dickhäuter in seiner Show keine unnatürlichen Bewegungen, wie einen Kopfstand machen müssen, sondern dass » wir mit einer romantischen Darbietung die Herzen der Zuschauer berühren«.

Elvis Erranie und seine drei Elefantendamen treten dieses Jahr im Reutlinger Weihnachts-Circus auf.
Elvis Errani und seine drei Elefantendamen treten dieses Jahr im Reutlinger Weihnachts-Circus auf. Foto: Frank Pieth
Elvis Errani und seine drei Elefantendamen treten dieses Jahr im Reutlinger Weihnachts-Circus auf.
Foto: Frank Pieth

Elf Monate verbringen die Tiere seit sechs Jahren in einem Park in Niedersachsen, einmal pro Jahr geht es auf Tournee, wie in diesem Jahr nach Reutlingen. Etwas, worauf sich seine Tiere freuen, davon ist Errani überzeugt. »Sie sind in keinem Zoo geboren und langweilen sich dort.« Über die Proteste nachzudenken, habe er keine Zeit, sagt er, er brauche seine ganze Energie für seine Tiere und die Arbeit. »Ich halte mich an die Regeln und schaue danach, dass es meinen Tieren gut geht«. Einmal ist er von einem Veterinäramt angezeigt worden: 2015 hatte er die Elefanten über Nacht nicht artgerecht in einem Lkw untergebracht und wurde zu einer Geldbuße von 150 Euro verurteilt. (GEA)