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Aktuell Leerstand

Wie Reutlingen Lust aufs Vermieten machen will

»Beispielgebend« nennt der Reutlinger OB Keck die Modernisierung einer Altbau-Wohnung in der Fußgängerzone. Nachahmer könnten helfen, die Innenstadt zu beleben.

In der Wohnküche mit Retro-Charme und neuen, hochwertigen Geräten: Der Stuttgarter Eigentümer Fred Wagner und der Reutlinger OB
In der Wohnküche mit Retro-Charme und neuen, hochwertigen Geräten: Der Stuttgarter Eigentümer Fred Wagner und der Reutlinger OB Thomas Keck stellen eine beispielhaft sanierte Wohnung in der Innenstadt vor. Foto: Steffen Schanz
In der Wohnküche mit Retro-Charme und neuen, hochwertigen Geräten: Der Stuttgarter Eigentümer Fred Wagner und der Reutlinger OB Thomas Keck stellen eine beispielhaft sanierte Wohnung in der Innenstadt vor.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. 750 Euro pro Quadratmeter hat Dr. Fred Wagner in die Renovierung einer Wohnung in der Unteren Wilhelmstraße investiert - Ausgaben für Architekt und Bauleiter nicht mitgerechnet. Denn deren Aufgaben übernahm der Stuttgarter Bauingenieur selbst. Nach einem Jahr Arbeit verbindet sich auf 112 Quadratmetern im ersten Stock eines sanierten Geschäftshauses nun Retro-Charme mit dem Stand der Technik. In der Wohnküche zeigt Wagner dem Reutlinger Oberbürgermeister die neue Küchenzeile mit Ceran-Kochfeld und deutschen Markengeräten. Gegenüber sind Herd, Waschmaschine und Trockner dezent in den 70er-Jahre Wandschrank integriert. »Toll« findet Thomas Keck die roten Klinkerfliesen und farblich korrespondierende Vintage-Hängelampen. »Fehlen nur noch die Prilblumen«, sagt er und grinst.

Das Bad ist komplett neu: Deckenhoch weiß gefliest, bietet es Wanne, Regenschauerbrause und Handtuchtrocknerheizkörper. Die über ein breites Treppenhaus zugängliche Wohnung liegt zentral und verfügt über Parkplätze direkt am Haus, sie ist ruhig - von der Baustelle im Nikolaihaus gegenüber hört man keinen Mucks -, via Fernwärme beheizt und mit Breitbandverkabelung ausgestattet. »Da haben Sie ordentlich reingelangt«, lobt der OB den Eigentümer. Keck hat keineswegs vor, selbst umzuziehen. Er schaut sich das Objekt an, da Wagners Investition ein gutes Beispiel für die von ihm propagierte Wohnungspolitik darstellt.

»Sie machen hier genau das, was ich mir, seit ich OB bin, wünsche«, sagt Keck. Er ist überzeugt: »Wenn in der Fußgängerzone wieder mehr Menschen leben, belebt das die Stadt. Auch abends, wenn die Läden zu sind.« Vielleicht mache dann auch die eine oder andere Musikkneipe wieder auf? Oder ein Kellerlokal wie der einstige »Ratskeller«, dem die beiden gebürtigen Reutlinger unisono nachtrauern. Frequenz erhöhe das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürger. Der OB erkennt hier einen Trend - Fred Wagner gehöre nun wie Hans Wucherer und Hubert Berger zu den vorbildlichen Reutlinger Hausbesitzern. Indem er dessen Objekt vorstellt, hofft er auf einen Multiplikationseffekt: »Wohnen in der Innenstadt soll wieder etwas wert sein.«

Haus mit langer, bewegter Geschichte

Notwendig wurde die Sanierung der Vier-Zimmer-Wohnung, nachdem die vorherigen Mieter ausgezogen waren und es einen Wasserschaden gegeben hatte. Da sollte statt der Gasetagenheizung gleich der zukunftsweisende, in der gesamten Wilhelmstraße verfügbare Fernwärmeanschluss genutzt werden. »Das ist nicht ganz einfach bei bestimmten Gebäuden«, bekennt der Eigentümer. Das Haus stamme wohl aus dem Mittelalter, erzählt der Mann, der dort selbst aufgewachsen ist. Den Stadtbrand vor knapp 300 Jahren überstand es weitgehend unbeschadet, um 1900 hat es sein Großvater - ein Sattler und Tapezierer - umfassend erneuert und, nachdem es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren zerbombt worden war, 1948 wieder aufgebaut.

Nun wurde auch eine Wärmedämmung installiert, die diesen Namen verdient. Bei der Modernisierung eines solchen Objekts komme »eins zum andern«, sagt Wagner. »Das Problem bei Altbauten ist: Wo hört man auf?« Zumal zum Teil Handwerker schwer herzubekommen waren.

Für Vermietung sprechen Werterhalt und Wohnungsnot

Alles in allem aber stimmt er OB Keck und dem städtischen Wohnraumbeauftragten Thomas Hauser zu: Die Investitionen lohnen sich. Schon in Bezug auf den Werterhalt: »Ein Gebäude, das nicht genutzt wird, läuft aus technischer Sicht vor allem im Winter Gefahr, ganz schnell zu altern«, sagt der fachkundige Hauseigentümer. »Am besten erhält man eine Wohnung, indem sie adäquat genutzt wird«, ergänzt der OB.

Der Reutlinger OB Thomas Keck im Gespräch mit Bauingenieur Hauseigentümer Fred Wagner.
Der Reutlinger OB Thomas Keck im Gespräch mit Bauingenieur Hauseigentümer Fred Wagner. Foto: Steffen Schanz
Der Reutlinger OB Thomas Keck im Gespräch mit Bauingenieur Hauseigentümer Fred Wagner.
Foto: Steffen Schanz

Und die Ausgaben werden sich amortisieren. Denn jetzt will der Bauingenieur die Wohnung vermieten. Gern an eine Familie mit Kindern, da er sich wie bei den anderen Mietparteien im Haus ein langfristiges Mietverhältnis erhofft. Die Kaltmiete soll 1.200 Euro betragen, das Auswahlverfahren läuft über einen Makler. »Nächste Woche wird entschieden, wer reindarf«, sagt Fred Wagner.

Nachahmer erwünscht

Die Nachfrage sei riesig, teilt OB Keck mit. Denn in Reutlingen herrsche nach wie vor Wohnungsnot. Dabei gibt es allein im Stadtgebiet 1.856 leerstehende Wohnungen, ergänzt Thomas Hauser. Es gebe vielschichtige Gründe, Wohnraum ungenutzt zu lassen. Eigentümer von Leerständen sollen keinesfalls kritisiert oder diskriminiert werden. Aber ermutigen wollen die beiden sie.

»Jeder Leerstand ist Verschwendung«, sagt der Wohnraumbeauftragte. Wie der OB versteht er aber, dass Eigentümer zum Teil kein Geld haben oder nicht wissen, wie sie bei einer Heizungssanierung vorgehen sollen. »Vielleicht mietet die Stadt oder die GWG auch mal was an.« Indem er Hilfe, Beratung und Unterstützung anbietet, hofft Hauser, weiteren potenziellen Vermietern Lust aufs Herrichten ihrer Altstadthäuser zu machen. Er steht unter der E-Mail-Adresse wohnraum@reutlingen.de allen Wohnungsmarktakteuren zur Verfügung - damit noch öfter so eine »feine Sache« entsteht wie das, was Fred Wagner bei der Sanierung in der Unteren Wilhelmstraße schuf. (GEA)