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Aktuell Bundesgartenschau

Wie sah die Echaz bei Reutlingen früher aus? Und was wird aus ihr?

Wissenschaftler untersuchen, wie die Echaz einst verlief und wie Menschen sie nutzten. Welche Schlüsse kann Reutlingen daraus für die Buga 2039 ziehen?

Ella Quante von der Universität Jena untersucht Muschelkrebse und Schnecken in der Echaz.
Ella Quante von der Universität Jena untersucht Muschelkrebse und Schnecken in der Echaz. Foto: Claudia Reicherter
Ella Quante von der Universität Jena untersucht Muschelkrebse und Schnecken in der Echaz.
Foto: Claudia Reicherter

REUTLINGEN. Reutlingen, Pfullingen, Eningen, Lichtenstein, Wannweil und Kirchentellinsfurt wollen wieder eine Bundesgartenschau in die Region holen. Was die sechs Kommunen verbindet, ist ein Fluss. Deshalb steht die Echaz im Zentrum der derzeit entstehenden Machbarkeitsstudie für die Buga 2039. Dazu passt, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zusammen mit der Stadt nun zum Thema »Die Echaz auf dem Weg ins Anthropozän« ins Reutlinger Rathaus eingeladen hat.

Klingt sperrig? Die Slogans »Wissenschaft zum Anfassen« und »Forschende im Gespräch« sollten die Menschen trotzdem zu Workshops, Kurzvorträgen und Podiumsdiskussion die Freitreppe hochlocken. Denn Forscherinnen und Forscher verschiedener Unis betrachten zurzeit das Flusstal aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Besucher durften Flussbettproben unterm Mikroskop anschauen und Bohrkerne betasten. Dazu Geologen, Biologen, Archäologen und Naturschützern sowie städtischen Mitarbeitern Fragen stellen. Zunächst ging es um die Vergangenheit der Echaz: Wie sie früher aussah, wo sie verlief, was an ihren Ufern passierte. Am Abend richtete sich die Aufmerksamkeit mit Oberbürgermeister Thomas Keck auf dem Podium dann in die Zukunft.

Blick ins Foyer beim Thementag »Echaz« im Reutlinger Rathaus.
Blick ins Foyer beim Thementag »Echaz« im Reutlinger Rathaus. Foto: Claudia Reicherter
Blick ins Foyer beim Thementag »Echaz« im Reutlinger Rathaus.
Foto: Claudia Reicherter

Der Weg ins Anthropo-Was?

Ein Schwerpunktprogramm der DFG heißt »Auf dem Weg zur Fluvialen Anthroposphäre«. Fluvial bezeichnet »Prozesse und Formen, die durch das fließende Wasser bedingt sind«, Anthroposphäre - aus dem Griechischen »anthropos« (Mensch) und »sfaíra« (Kugel) - einen vom Menschen geschaffenen und beeinflussten Lebensraum. Das Programm untersucht vorindustrielle Auen in Mitteleuropa und Gesellschaften, die in deren Umgebung lebten.

Welche Rolle spielt dabei die Echaz?

In Deutschland untersuchen Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen dazu etwa die Untere Havel und das Donaumoos, den Oberrhein und die Wiesent auf der Frankenalb. In Leipzig steht die »Stadt am Fluss« im Mittelpunkt. An der Weschnitz geht es um die Wechselwirkung mit dem Kloster Lorsch. Grundsätzlich interessieren die Professoren, Dozenten und Doktoranden historische und ökologische Zusammenhänge. Auch die Echaz, deren Wasser den Rhein speist, bildet mit der Eger als Donauzufluss eines der sieben Teilprojekte. Konkrete Fragen am Tag zu »Wissenschaft und Gesellschaft im Dialog« lauten: Wie hat der Mensch die Auenlandschaft der Echaz geprägt? Wie wirken sich Mühlen, Fischerei und Landwirtschaft auf den Bach, seine Flora und Fauna aus? Welche Konflikte gab es im Mittelalter?

Ella Quante bei ihrem Vortrag über Muschelkrebse und andere Fauna in der Echaz.
Ella Quante bei ihrem Vortrag über Muschelkrebse und andere Fauna in der Echaz. Foto: Claudia Reicherter
Ella Quante bei ihrem Vortrag über Muschelkrebse und andere Fauna in der Echaz.
Foto: Claudia Reicherter

Wer ist daran beteiligt und weshalb?

Die DFG will natur- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse zusammenbringen, um Wechselwirkungen besser zu verstehen. Deshalb tauschen sich dabei Archäologen, Geo- und Geschichtswissenschaftler der Universitäten Tübingen und Leipzig sowie der Technischen Universität Darmstadt aus. Projektleiter ist der Privatdozent Dr. Lukas Werther vom Deutschen Archäologischen Institut in Berlin.

Wie helfen Tiere bei der Forschung?

Ella Quante von der Arbeitsgruppe für Paläontologie der FSU Jena und der Abteilung für Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte hat die Fauna der Echaz unter die Lupe genommen. Muschelkrebse, Bernsteinschnecken und andere Lebewesen sind für die Doktorandin »Zeugen der Vergangenheit«. Im August 2023 fand sie im Bachbett zwischen Honau und Betzingen Muschelschalen, Fischschuppen und Panzerreste von Insekten. Die zum Teil nur einen halben Millimeter kleinen Kreaturen brauchen in unterschiedlichem Maß Luft, Wasser und Pflanzen, um zu überleben. »So können wir den Verlauf und die Tiefe von Gewässern eruieren«, erklärt sie. Was sie wo gefunden hat, zeigt ihr, wie die Echaz früher verlief, wo es stehendes sumpfiges Wasser gab und wo starke Strömung herrschte, die jegliche Überreste weggespült hat.

Was kreucht im Echazwasser? Das erforscht Ella Quante in einer Kooperation der Unis Tübingen, Leipzig und Darmstadt.
Was kreucht im Echazwasser? Das erforscht Ella Quante in einer Kooperation der Unis Tübingen, Leipzig und Darmstadt. Foto: Claudia Reicherter
Was kreucht im Echazwasser? Das erforscht Ella Quante in einer Kooperation der Unis Tübingen, Leipzig und Darmstadt.
Foto: Claudia Reicherter

Welche Spuren hinterlassen Handwerk und Industrie?

Snjezana Pejdanovic vom Geologischen Institut der Uni Tübingen und Ema Zvara von der Uni Leipzig haben Bodenproben aus Pfullingen und Reutlingen verglichen. Die Geologinnen fanden dabei Spuren von Tierhaltung, Fischerei und Pflanzenanbau. Sedimente speichern Tierexkremente. Das zeigt, wo es Weiden oder gedüngte Felder gab. Zwischen dem Echazursprung und der Pfullinger Stadtgrenze bestanden einst »deutlich weniger Handwerksbetriebe« als weiter flussabwärts, erklärt Pejdanovic. Bei Betzingen hingegen gab's schon im Mittelalter »vorindustrielle Tätigkeit«: Gerber, Färber, Metzger entsorgten Abfälle im Fluss, sagt die Tübinger Archäologin Dr. Iris Nießen. Seit dem Spätmittelalter nahmen zudem Wehre und andere Verbauungen stark zu.

Ema Zvara von der Universität Leipzig zeigt, was Bohrkerne von Bodenproben rund um die Echaz über die historische Nutzung des Ge
Ema Zvara von der Universität Leipzig zeigt, was Bohrkerne von Bodenproben rund um die Echaz über die historische Nutzung des Gewässers und der Landschaft drumherum verraten. Foto: Claudia Reicherter
Ema Zvara von der Universität Leipzig zeigt, was Bohrkerne von Bodenproben rund um die Echaz über die historische Nutzung des Gewässers und der Landschaft drumherum verraten.
Foto: Claudia Reicherter

Was bedeutet das für uns heute?

»Inwiefern spielen die Forschungen zur Vergangenheit eine handlungsleitende Rolle?«, fragt Thomas Höfer, Reutlinger Vertreter des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), bei der Podiumsdiskussion im Rathaus. Wie Nießen betont, war die Echaz bei Reutlingen schon zur Zeit der Stadtgründung 1240 kein unberührter Naturraum mehr. Heute gibt es laut Höfer dort nur noch wenige natürliche Flussauen. Dabei sind die als Biotope ebenso wichtig wie die Kulturlandschaft Streuobstwiese - für Artenvielfalt und den Schutz von vom Aussterben bedrohter Tiere. Pirol und Rebhuhn etwa. Die Wasseramsel ist auf reines Wasser angewiesen, das es Quante zufolge in Honau und Pfullingen noch gibt, und braucht die Nahrung aus dem Bach. »Man muss sich noch nicht den Flamingo an die Echaz denken, aber Erwärmung und Klimawandel sind Fakt.« Nießen fordert, vom über Jahrhunderte geprägten Blick auf die Echaz als Energielieferant und Rohstoffquelle wegzukommen.

Gibt es auch Mutmachendes?

»Die Natur verändert sich, sie ist dynamisch wie die Gesellschaft«, sagt der Umwelthistoriker Professor Dr. Gerrit Schenk von der TU Darmstadt. Da die Echazauen vor 500 Jahren komplett anders aussahen als heute, kann man zwar »kein Handlungswissen direkt ableiten aus der Vergangenheit, aber Orientierungswissen gewinnen«. Das ist wichtig, um zu erklären, »warum etwas heute so ist wie es ist«. Konfigurationen und Strukturen wiederholen sich nicht eins zu eins, sind aber ähnlich. Der naturnahe Echazuferpfad sei »ein schöner Lebensraum und eine tolle Möglichkeit zum Beobachten«. Dass der Graureiher, der vor 30 Jahren noch als Sensation galt, in die Städte zurückkehrt, zeige, wie anpassungsfähig die Natur ist.

Was tun gegen Starkregen und Hochwasser?

Die Starkregen- und Hochwasserereignisse der vergangenen Jahre machten viel kaputt, sagt Thomas Höfer. Das betrifft nicht nur Menschen, sondern auch Tier- und Pflanzenwelt. Schuld sind verdichtete und versiegelte Böden, etwa durch Autostellplätze. Gegensteuern könnten also Politik und Landwirtschaft. Gerrit Schenk betont, den Umgang mit solchen Extremereignissen kann man lernen: Vorsorge, Vorbereitung und Resilienz. Renaturierung sei »nicht die richtige Strategie«: Statt des einstigen Zustands von Natur sollte man Prozesse wiederherstellen, natürliche Selbststeuerungsprozesse zulassen. Flüssen am Rand statt 10 oder 20 lieber 50 Meter Raum geben. Sie ruhig mal ein Ufer abtragen lassen - und woanders etwas anlagern. »Es passt halt nicht zu unserer hochmodernen Vorstellung von einer Gesellschaft, die alles im Griff hat, dass man Handlungsmacht abgibt.«

Was bedeutet all das für die Buga-Bewerbung?

»Der lange Blick zurück ist auch ein Blick in eine mögliche Weiterentwicklung - unter Respektierung der Parameter, die schon eingestellt sind«, meint Schenk. Dazu gehören etwa Straßen. Wäre er OB, würde er schauen, welche Strukturen man nicht ändern kann, »ohne wieder Verlierer zu produzieren oder Gewinner, die man gar nicht haben will«, und daraus eine Buga entwickeln, die klimabedingte Probleme »antizipiert und entschärft«. Wasser spielte schon immer eine wichtige Rolle, als Dienstleister mit Trink-, Brauch- und Prozesswasser, aber auch durch Ästhetik, Kühleffekt, als Pflanzennahrung und zur Bodennutzung. »Wir müssen darüber sprechen, was für eine Zukunft wir haben wollen.« Was man zurückschrauben oder verändern und welche Entwicklungen man aufgreifen will. Die aktuellen Forschungen zeigen, dass der Mensch als steuerndes Element schon immer präsent war. Die Forscher suchen nach Schwellen und Kipppunkten, an denen ein System so abgleitet, dass es sich nicht mehr auf natürliche Weise selber steuern kann. Höfer gibt für die Politik die Devise aus: »Im Zweifelsfall für die Natur!«

Was kann die Buga langfristig bewirken?

Hat ein einzelnes Großereignis das Potenzial, die Echaz als wertvollen ökologischen Raum zu erhalten? Das will Moderator Lukas Werther von OB Thomas Keck wissen. »Ich setze darauf, dass wir lernende Systeme haben.« Die Frage »Was haben wir getan?« führe zu: »Was können wir tun, um das zu kompensieren für die Zukunft?« Nicht zuletzt weil so eine Buga exorbitant teuer ist, habe sie hoffentlich Bestand. Er möchte dadurch den Lebensraum Stadt lebenswerter machen: »Durch die Klimaerwärmung sind wir unter Druck.« Derzeit erlebe die Stadtgesellschaft »die ersten Fehlläufe«: Städte überhitzen. Gegenmittel wären Wasser und mehr Grün. Anders als noch zu seiner Jugendzeit überlebe schon heute in der Stadt kein Baum mehr, wenn er nicht bewässert wird. Der Austausch mit den Wissenschaftlern schreie nach einer Wiederholung. »Das müssen wir unbedingt einbauen in die Buga.« (GEA)

Auf dem Podium bei der Diskussion sitzen (von links) Thomas Höfer vom Nabu, OB Thomas Keck, Moderator Lukas Werther, Archäologin
Auf dem Podium bei der Diskussion sitzen (von links) Thomas Höfer vom Nabu, OB Thomas Keck, Moderator Lukas Werther, Archäologin Iris Nießen und Umwelthistoriker Gerrit Schenk. Foto: Claudia Reicherter
Auf dem Podium bei der Diskussion sitzen (von links) Thomas Höfer vom Nabu, OB Thomas Keck, Moderator Lukas Werther, Archäologin Iris Nießen und Umwelthistoriker Gerrit Schenk.
Foto: Claudia Reicherter