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Aktuell Haushalt

Wie Reutlingen seine finanziellen Probleme lösen will

Reutlingen fehlen unverschuldet 13,6 Millionen Euro, mit denen man im Rathaus gerechnet hatte. Die Stadt hat eine Streichliste aufgestellt, um zu sparen - und die Gemeinderäte diskutieren emotional darüber.

Leerer Geldbeutel: Die Stadt Reutlingen hat finanziell nach Jahren der Konsolidierung wieder einen Rückschlag erlitten. Foto: Frank Pieth
Leerer Geldbeutel: Die Stadt Reutlingen hat finanziell nach Jahren der Konsolidierung wieder einen Rückschlag erlitten.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Eigentlich hatte sich Reutlingen berappelt. Nach vier Jahren des Sparens war die finanziell klamme Stadt »wieder aus der Talsohle gekommen«, wie Oberbürgermeister Thomas Keck sagt. 2024 war das erste Jahr ohne Haushaltssperre. »Doch dann haut's dir wieder die Beine weg.« Was ist passiert?

Das Problem. Die Steuerschätzung im Herbst 2024 machte klar, dass der Stadt 13,6 Millionen Euro fehlen, mit denen sie fest gerechnet hatte. Grund: Deutliche Rückgänge beim Gemeindeanteil der Einkommenssteuer und bei den Schlüsselzuweisungen. Schlüsselzuweisungen sind Gelder vom Land, die im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs Kommunen zufließen. Sie hängen aber von der wirtschaftlichen Lage insgesamt ab. Heißt: Wenn in Stuttgart weniger Geld eintrudelt, kann auch weniger an die Gemeinden weitergegeben werden. Doch es hakt nicht nur an den Steuern. Unter anderem gestiegene Personalkosten und weniger Rückerstattung im Bereich ÖPNV: Der Stadt fehlen aus anderen Gründen nochmal 8,7 Millionen Euro. Macht insgesamt einen saftigen Fehlbetrag von 22,3 Millionen Euro.

»2025 werden 80 Prozent der Gemeinden im Land keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen können«

Nicht nur Reutlingen geht's so, weiß OB Keck. »Die finanzielle Situation der Gemeinden ist generell hochdramatisch. Die Würste sind überall vervespert.« In Zahlen ausgedrückt: »In diesem Jahr werden 80 Prozent der Städte und Gemeinden im Land keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen können.« Bund und Land haben den Kommunen viele Jahre lang Pflichtaufgaben - beispielsweise das Bundesteilhabegesetz - auferlegt. Diese aber nicht ausreichend gegenfinanziert.

Die Folgen. Noch im Dezember 2024 erließ der Gemeinderat eine Haushaltssperre. Es dürfen seitdem nur noch zwingend notwendige Ausgaben getätigt werden. Die Gemeindeordnung besagt, dass eine Stadt einen sogenannten Nachtragshaushalt erlassen muss, wenn sich zeigt, dass im Ergebnishaushalt ein erheblicher Fehlbetrag entsteht - und sich das nicht durch andere Maßnahmen ausgleichen lässt.

Die Streichliste. Um die finanzielle Misere irgendwie wieder in den Griff zu kriegen, werden nun also zehn größere Bauprojekte (von insgesamt 90) erst mal verschoben: Der Neubau des Feuerwehrhauses in Bronnweiler, die Erweiterung der Mensa der Eduard-Spranger-Schule, die Generalsanierung der Kitas Hasenbergstraße und Mauerstraße, die Sanierung des Kunstrasens der Kleinspielfelder in Betzingen und Sondelfingen, die Sanierung der Lärmschutzwände in Gönningen; und an der Rommelsbacher Straße, die erst kürzlich beschlossene Fußgängerbrücke über die Echaz am Lindachknoten und die Sanierung der L384 in Betzingen von Auchtertstraße bis Brühlstraße. Einspar-Effekt: 3 Millionen.

Eine plakative und kleinteilige Streichliste wie beispielsweise Tübingen legt das Rathaus nicht vor. Nicht, weil man nicht will. Sondern weil man den Tübingern da »voraus« sei, wie Finanzbürgermeister Wintzen betont. Kürzungen beim Blumenschmuck, beim Wasserspiel, und die Schließung von öffentlichen Toiletten: Was in der Nachbarstadt jetzt praktiziert wird, habe man in Reutlingen aufgrund der jahrelangen Finanzmisere schon lange hinter sich.

Eine weitere Möglichkeit, wie man Geld in die Rathauskasse bekommen kann, sind Steuererhöhungen. Vieles ist in Gemeinden nicht kostendeckend finanziert: Beispielsweise der Eintritt in öffentliche Bäder oder die Friedhofsgebühr. Wird man das in Reutlingen auch erhöhen? »Das sind Fragen, die wir uns stellen müssen, wenn wir den nächsten Doppelhaushalt machen«, sagt Wintzen.

»Das ist eine endliche Geschichte«

Weitere Einsparungen. Die Freianlagen im Bürgerpark werden um ein Jahr geschoben, einige Sanierungsmaßnahmen sind günstiger gewesen, als kalkuliert, geplante Zuschüsse für die Reutlinger Stadtverkehrsgesellschaft (RSV) werden dort nicht benötig, die Grünflächenpflege erhält doch nicht mehr Geld. Zudem nimmt die Stadt durch Grundstücksverkäufe 5 Millionen Euro mehr ein, als gedacht. Durch Streichungen und Schiebungen hat es das Rathaus also geschafft, 7,4 Millionen Euro rauszuschlagen. Bleibt noch ein Minus von 5 Millionen. »Das können wir kurzfristig durch Liquidität ausgleichen«, so Wintzen. »Aber das ist eine endliche Geschichte.« Gute Nachricht: Die Stadt muss keine neuen Kredite aufnehmen. Mit der Genehmigung des Nachtragshaushalts vom Regierungspräsidium kann auch die Haushaltssperre wieder aufgehoben werden.

Die Tariferhöhungen. Ein großer Posten im städtischen Haushalt sind die Personalkosten. Und die sollen, wenn es nach Verdi geht, weiter stark steigen. Aktuell fordert die Gewerkschaft eine Entgelterhöhung von acht Prozent plus drei zusätzliche freie Tage und ein »Meine-Zeit-Konto«. Forderungen, die »völlig aus der Zeit gefallen sind« wie Finanzbürgermeister Wintzen sagt. »Schauen Sie sich doch mal an, was gerade landauf und landab in der Industrie passiert.« Die letzte Tariferhöhung hat bei der Stadt rund 12 Millionen zusätzliche Personalkosten pro Jahr verursacht. »Ich hab' damals zu einem höheren Gewerkschaftsfunktionär gesagt: Das wird so dauerhaft nicht möglich sein«, sagt Keck.

»Diese Forderungen sind völlig aus der Zeit gefallen«

Die Antwort sei gewesen: »Das ist dein Problem.« Ein Thema, bei dem Keck, selbst Gewerkschaftsmitglied, in Rage kommt. »Diese Forderungen sind wirklich völlig gaga.« Was sie in letzter Konsequenz bedeuten, wird unmissverständlich in der Druckvorlage des Gemeinderats deutlich: Weitere Tarifsteigerungen müssen ab dem Jahr 2026 »über Aufgabenreduzierung und Stellenabbau in den Ämtern aufgefangen werden«, steht da. Heißt: Mehr Geld für die Mitarbeiter, dafür drohen aber Arbeitsverdichtung, Stellenabbau und Streichung von Angeboten.

Die Zukunft. Nicht unbedingt optimistisch blickt man im Rathaus in die finanzielle Zukunft. Da auch der Landkreis erhebliche Finanzprobleme hat, ist damit zu rechnen, dass sich die Kreisumlage - also das, was Gemeinden an den Kreis zahlen müssen - erhöht. Wenn nicht schon in diesem Jahr, dann spätestens mit dem Doppelhaushalt 2026/27. Im Mai gibt's die nächste Steuerschätzung. »Wir müssen den Fokus auch weiter auf Entwicklung von Gewerbeflächen legen«, so Wintzen. »Und wir brauchen endlich Verlässlichkeit von Land und Bund. Es muss aufhören, dass laufend Lasten an die Gemeinden durchgereicht werden«, so Keck.

»Wir brauchen endlich Verlässlichkeit von Land und Bund«

Die Diskussion. »Ich kann mich nicht mehr einkriegen!« Am Ende der Diskussion wurde FWV-Stadträtin Friedel Kehrer-Schreiber, Bronnweilers Bezirksbürgermeisterin, energisch. »Ich bin mit meinem kleinen Flecken arg betroffen! Aber mein kleines Gremium hat begriffen: Wenn man keinen Nachtragshaushalt hat, dann geht nichts mehr!«

Vorausgegangen war ihrer Wutrede die Ankündigung der CDU, der AfD und der WiR, das Zahlenwerk abzulehnen. »Die Streichungsliste ist für uns ein völlig falsches Sinal in Richtung Kindergarten, Schulen und Feuerwehr«, so Andreas Benz (CDU). Hansjörg Schrade (AfD) forderte eine »Grundsatzdiskussion« darüber, »was wir uns noch leisten können«. Jürgen Straub (WiR) kritisierte, dass die Verwaltung die Streichliste ohne Gemeinderäte beschlossen hat.

»Wenn wir nicht zustimmen, halten wir die Stadt im Stillstand«

Grünen-Stadtrat Karsten Amann kritisierte dagegen mit Nachdruck, dass die Empörung in den betroffnen Gemeinden gar nicht so groß sei, wie von der CDU beschworen: »Wenn wir keinen Nachtragshaushalt verabschieden, gilt die Haushaltssperre weiter.« Ergänzt von SPD-Mann Helmut Treutlein: »Wenn wir nicht zustimmen, halten wir die Stadt im Stillstand.« Auch Linken-Stadtrat Rüdiger Weckmann zeigte sich »einigermaßen sprachlos, dass hier Fraktionen ablehnen«. Und an die Ablehner gerichtet: »Haben Sie eine Alternative?« Ähnlich äußerte sich FDP-Mann Hagen Kluck: »Es ist mir unverständlich, warum die CDU 80 weitere Projekte in den Stadtteilen zu Fall bringen will.« Nach einer energischen Diskussion stimmten 21 Stadträte zu, 16 waren dagegen, und WiR-Stadtrat Marco Wolz hatte sich enthalten. (GEA)