KREIS REUTLINGEN. "Ist der Bauer ruiniert, wird dein Essen importiert. "Keine Bauern, kein Essen, keine Zukunft." Mit mehr oder weniger drastischen Warnungen und großen Landmaschinen tun Deutschlands Bauern bundesweit Unmut kund vorzugsweise über die Ampelpolitik. Als der Protest unlängst die Großstadt Reutlingen erreichte, applaudierten Bürger am Straßenrand und reichten den Bauern warmen Tee, um danach für ein paar Euro beim Discounter ihre Bio-Schweineschnitzel aus Tschechien einzukaufen. Was kann der Konsument tun, um die Kreisbauern zu unterstützen? Der GEA hat sich mit dem Vorsitzenden des Reutlinger Kreisbauernverbandes Gebhard Aierstock (63) unterhalten über das richtige Einkaufen, über Tierwohl, Versorgungslücken und Überproduktion.
Gea: Der Selbstversorgungsgrad liegt in Baden-Württemberg bei vielen Lebensmitteln unter 50 Prozent. Wenn es hart auf hart käme: Könnten die Bauern des Landkreise Reutlingen die Kreisbewohner noch versorgen?
Gebhard Eierstock: Von der Fläche her schon. Zumindest das Brot geht uns in der Region nicht aus, solange wir auch genügend Energie haben. Wir haben Getreide, Weizen, Dinkel – und Braugerste, damit es ein gutes Bier gibt (lacht). Milch- und Fleischproduktion haben wir auch und noch und einige große Eierproduzenten. Regionales Obst und Gemüse gibt es aber relativ wenig und nur in der Saison. Was im Kreis zunehmend fehlt, sind verarbeitende Betriebe. Es gibt keine Milchwerk mehr, wenn man mal von der Hofmolkerei Bremelau absieht. Die Milch landet bei fünf Molkereien in Baden-Württemberg und Bayern. Die Schlachtbetriebe werden immer weniger. Es gibt noch rund 25 Metzger im Kreis, die nur teilweise noch schlachten. Der größte Teil geht in Schlachthöfe etwa nach Göppingen, Ulm oder Mengen. Also selbst bei der Grundversorgung würde es schnell schwierig, würde ich behaupten. Gar nicht zu reden von der fehlenden Vielfalt. Bio aus Spanien. Da ist vieles kritisch zu hinterfragen.

Was kann der hiesige Konsument tun, um die Kreisbauern zu unterstützen?
Aierstock: Wer im Hofladen, auf dem Markt, beim regionalen Bäcker oder Metzger einkauft, unterstützt Betriebe in der Region. Wobei die Definition »Region« bei manchen Anbietern auch mal bis ins Allgäu oder nach ganz Baden-Württemberg reichen kann. Supermärkte wie Edeka und Rewe kaufen immer mehr aus der Region ein, auch bei Aldi setzt man mehr auf Regionalität. Die Produkte werden teils in gesonderten Regalen angeboten.
Die meisten Produkte aus der Region werden auch hier konsumiert?
Aierstock: Ja. Insgesamt kann der Verbraucher aber nur begrenzt dazu beitragen, die regionale Landwirtschaft unterstützen, weil sie vieles gar nicht anbietet. Das betrifft insbesondere auch die Bio-Produkte – die stammen häufig sogar aus dem Ausland.
» Die ehrlichste Abstimmung über die Veränderungen findet an der Ladentheke statt «
Warum betreiben auch im Landkreis Reutlingen so wenig Bauern ökologische Landwirtschaft?
Aierstock: Wir haben hier im Landkreis nur 14 Prozent Bio-Betriebe. Das ist sicher ein Thema. Die politische Zielsetzung in Land und Bund geht Richtung 30 Prozent. Die Verbraucher müssen aber bereit sein, das zu kaufen und zu zahlen. Der Bio-Markt muss sich entsprechend entwickeln. Die regionale Bio-Ware wird zumeist über regionale Märkte oder Hofläden verkauft. Da ist der Absatz Richtung Discounter oder Supermärkte gering.
Im Discounter scheint trotzdem unterdessen fast alles irgendwie bio….
Aierstock: Der Bio-Umsatz bei Discountern hat enorm zugenommen. Aber die Frage ist: Wo kommt das her? Wie sind die sozialen Standards des Bio-Sigels beim Obst aus Almeria in Spanien? Wie sind die Transportwege? Da ist vieles kritisch zu hinterfragen. Aber viele kaufen dieses Bio und haben ein gutes Gefühl.
Also lohnt es sich, die Verpackung hin und her zu wenden und zu schauen, wo die Ware herkommt?
Aierstock: Die regionalen Produkte sind so gekennzeichnet, dass erkennbar ist, wo sie herkommen und wer der Erzeuger ist. Bei Milchprodukten ist die Herkunft bei Markenprodukten wie etwa Weideglück erkennbar. Bei Eigenmarken der Discounter kann man die Herkunft an dem kleinen ovalen Kennzeichen mit der Hersteller-Nummer nachvollziehen. Beim Fleisch wird die Herkunftsangabe ausgeweitet. Seit 1. Februar gilt sie auch fürs Schweinefleisch, was wir Bauern seit Langem gefordert haben. Aber ist der Verbraucher bereit, das zu zahlen? Die ehrlichste Abstimmung über die Veränderungen findet an der Ladentheke statt.
Hofläden, Verkaufsautomaten: Auf den Dörfern sind die heimischen Produkte auch abseits von Wochenmärkten stets zu kaufen. In der Kernstadt von Reutlingen sieht das anders aus. Was macht der berufstätige Reutlinger Großstadtbürger, der Geld für gutes Essen ausgeben kann und möchte, der aber keinen Nerv hat, regionale Ware im Supermarkt und im weit entfernten Hofladen zusammenzusuchen?
Aierstock: Das wird schwierig, gebe ich ehrlich zu.
Warum gibt es keine Markthalle in Reutlingen, in der die Kreisbauern ihre Produkte konzertiert vermarkten?
Aierstock: Das war lange ein Thema. Es gab diverse Anläufe. Aber die Halle war nicht umzusetzen. Schon ein regionales Regal ist letztlich an der Logistik gescheitert, war wirtschaftlich nicht darstellbar. Konstant liefern, konstant präsent sein: Da fehlt häufig die Betriebsgröße. Das war für die Erzeuger nicht rentabel.
Können die Bauern denn nur zusammen Trecker fahren, aber sonst nichts gemeinsam auf die Füße stellen?
Aierstock: Da wird es manchmal schwierig. Aber es gibt durchaus gemeinsame Initiativen wie »Albkorn«, »Albgemacht« oder »rebio«, Erzeugergemeinschaften, die insbesondere Getreide, Fleisch und Ostprodukte versuchen, gemeinsam zu vermarkten.
Wenn sich die Bauern in der Direktvermarktung besser zusammenfänden, müssten Sie sich nicht von den großen Abnehmern knebeln lassen…
Aierstock: Das ist ein Punkt. Man kann demonstrieren gegen die Politik. Es kommt aber die Zeit, wo wir uns selber hinterfragen müssen, was wir besser machen können, etwa bei der Vermarktung. Die großen Player diktieren die Preise. Ein Beispiel: Aldi will bis 2030 nur noch Fleisch aus Haltungsstufe 3 und 4 anbieten, und wir hoffen, dass das Unternehmen den Bauern jetzt entsprechende Verträge anbietet, damit sie investieren können. Bei Edeka gibt es dazu schon das Programm »Hofglück«.
Mal weiter über den Tellerrand geschaut. Deutschland führt zwar mehr Agrarprodukte ein als aus, war aber 2021 laut WTO weltweit der viertgrößter Agrarexporteur. Das meiste Gemüse, was angebaut wird, ist Spargel – nun ja auch nicht eben ein Grundnahrungsmittel. Es gibt in einigen Bereichen gewaltige Überproduktion einzig für den Export. Mit allen Folgen für Umwelt und Klima: In Deutschland ist die Landwirtschaft für rund 8 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich: Muss man die Landwirtschaft nicht allein schon deshalb umstellen, dass nicht so viel hin und her transportiert wird?
Aierstock: Landwirtschaft und Ernährungswirtschaft leben auch vom Export von Lebensmitteln. In der Industrie käme niemand auf die Idee, dies zu hinterfragen. Trotz allem ist die CO2-Relevanz für uns ein wichtiges Thema. Die Transportkosten werden weiter steigen, was wiederum ein Argument für regionale Produktion und Vermarktung ist. Kurze Wege und Klimaschutz sind angesagt.
…vor allem, wenn die Ware lebt. 267 Millionen Rinder, Schweine, Hühner und andere landwirtschaftlich »genutzte «Tiere exportierte Deutschland 2022 in EU- und Nicht-EU-Länder, mehr als 159 Millionen Tiere wurden nach Deutschland eingeführt. Bei den Exporten gelangen sie zum Teil unter schlimmsten Bedingungen auch in »Hochrisikostaaten« wie Marokko oder andere arabische Länder, wo Tierschützer Umgang und Schlachtung als grausam anprangern. Nehmen wir eine Praxis auch aus der Region: Kälber werden Tausende Kilometer durch Europa gefahren, um sie in Spanien zu mästen, warum?
Aierstock: Sie werden nach Spanien transportiert, weil sie dort billiger zu mästen sind. Früher wurde mehr Kalb in der Region gemästet und gegessen. Und die Kunden haben den Preis dafür bezahlt. Jetzt werden nur die Bio-Kälber in Baden-Württemberg behalten. Wenn der Verbraucher wieder bereit ist, das zu zahlen, werden die Kälber auch hier gemästet und aufgezogen. Die Transporte übers Mittelmeer und wohin auch immer kann man zu recht kritisieren, die Zustände gefallen wir auch nicht. Aber die arabischen Länder wollen Lebendtiere schlachten. Mir wäre auch lieber, das würde in Spanien geschehen.
»Wir sind keine Hochprofitbranche. Wir brauchen 20 bis 30 Jahre, um einen Stall abzubezahlen «
Auch Millionen von Zuchttieren werden exportiert.
Aierstock: Da spielt die Qualität des Tieres eine Rolle, seine Genetik. Statt des Transports lebender Tiere zur Zucht wird der Fokus künftig noch mehr darauf liegen, genetisches Material, Sperma oder Embrionen auszutauschen beziehungsweise die Zucht bei den Handelspartnern zu verbessern. Bei landwirtschaftlichen Produkten wird es seltsamerweise immer kritisch gesehen, wenn man gute Ware exportiert und Wertschöpfung generiert. Beim Auto ist das selbstverständlich.
So ein Daimler spürt aber auch keinen Schmerz… Das Schwein steht aber selbst bei uns in Deutschland meist noch auf engstem Raum zusammengepfercht und auf Vollspaltenböden.
Aierstock: Mit der Initiative Tierwohl wurden die Haltungsbedingungen stetig verbessert. Immer mehr finden wir den Spaltenboden, der per se nicht so schlecht ist, weil er hygienischer ist, in Kombination mit Stroheinstreu.
Weiß das Schwein das auch?
Aierstock: Vor allem im Sommer liegen die Tiere oft lieber dort als im Stroheinstreu. Aber, gut. Das ist auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit. Und: Der Vollspaltenboden wird im Zuge der artgerechten Haltung zunehmend weniger. Die Produktionsbedingungen werden oft falsch dargestellt. Jeder Landwirt hat Interesse, dass es seinen Tieren gut geht. Nur ein gesundes Tier bringt entsprechende Leistung. Die Tierschutzorganisationen zeigen häufig nur den Skandal. Es gibt schwarze Schafe. Aber viele sehen Tierhaltung grundsätzlich kritisch. Die Grundfrage ist dabei auch: Wie wollen wir uns denn ernähren? Tierhaltung gehört dazu aus meiner Sicht, weil nur Tiere in der Lage sind, einen großen Teil der pflanzliche Biomasse in Lebensmittel umzuwandeln. Gras zum Beispiel. Aber der Verbraucher hat ja die freie Wahl, wie er sich ernähren will.
Einer aktuellen Forsa-Befragung zufolge würden sich 65 Prozent der befragten Baden-Württemberger gerne nachhaltiger ernähren. Auch das Tierwohl ist den Menschen sehr wichtig.
Aierstock: Wissen Sie: Es gibt eine Diskrepanz, was die Leute haben wollen und was sie bezahlen wollen. Wenn die Bürger die Transformation wollen, müssen sie das Geld hinlegen. Gehen Sie in den Supermarkt: Dort wird meist Fleisch der Haltungsstufe 2 angeboten. Der Verbraucher hat es in der Hand, 3 oder 4 zu kaufen. Egal, was ich produziere – ich habe meine Produktionskosten und meine Erlöse. Ich muss als Unternehmer Geld verdienen können, sonst bin ich weg.
» Die Transporte übers Mittelmeer und wohin auch immer kann man zu recht kritisieren«
Deutschlandweit aber auch in der Region Reutlingen nimmt die Tierhaltung weiter ab. Warum?
Aierstock: Diese Entwicklung macht mir Sorge. Die Anforderungen steigen. Das bedeutet unter anderem, mehr Platz für die Tiere. Hohe Neuinvestitionen sind dafür nötig, in vielen Fällen ist die Erweiterung an den alten Standorten nicht möglich. Häufig folgt dann die Aufgabe der Tierhaltung. Viele Landwirte sind bereit zu investieren, aber es muss sich auch rechnen. Wir sind keine Hochprofitbranche. Wir brauchen 20 bis 30 Jahre, um einen Stall abzubezahlen. Wir brauchen politische Verlässlichkeit. Viele Subventionen gibt es, ja. Aber viele landen nicht bei den Bauern. Viele ökologische Maßnahmen verlangen ihnen hohen Aufwand ab ohne entsprechenden Ausgleich. Nur noch Subventionen für sogenannte »gesellschaftliche Leistungen« wie Erhalt der Biodiversität, Klimaschutz, Wasserschutz geben, das kann die Politik machen. Ich glaube aber, dass an erster Stelle steht, die Bevölkerung mit ausreichend guten Lebensmitteln zu versorgen, unter Berücksichtigung der vorher genannten Ziele.
Landwirtschaft im Kreis Reutlingen
Im Kreis Reutlingen gibt es 1.123 landwirtschaftliche Betriebe meist kleiner und mittlerer Größe zwischen 40 und 45 Hektar. Nur noch 18 Prozent der hiesigen Bauern betreiben den Hof im Haupterwerb. Ihr Anteil sinkt kontinuierlich. Auf den Äckern wird vor allem Getreide angebaut: Weizen und Winterweizen, Sommergerste, Ölfrüchte und Silomais dominieren. Gut die Hälfte der Betriebe hält Tiere. Mit 70 Prozent den größten Anteil hat die Rinderhaltung (über 24.000 Tiere). Schweine sowie Schafe und Ziegen fallen mit gut 6 beziehungsweise 10 Prozent deutlich weniger ins Gewicht. Im Internet findet sich auf der Seite des Reutlinger Landratsamts ein Verzeichnis von Direktvermarktern und Hofläden. (GEA)
Stadt und Landkreis Reutlingen setzen auf das Leitbild der Biosphärenregion. Welche Chancen sehen Sie für die Landwirte im Landkreis?
Aierstock: Ich bin selber Mitglied im Lenkungsausschuss. Das Leitbild wird hoffentlich helfen, regionale Produktion zu erhalten, regionale Vermarktung zu stärken und die hiesige Wertschöpfungskette zu verbessern. Schon Vorläuferprojekte wie Plenum haben gezeigt, wie wichtig dabei Vernetzung ist – und Bewusstseinsbildung: Vielleicht muss man über Dinge neu nachdenken. Was wollen wir als Gesellschaft? Sind wir nur auf Schnäppchenjagd aus? Es soll ja auch eine Biosphärenstraße geben. Vielleicht ist sie ein Ansatz – auch für uns Landwirte –, neue Wege zu beschreiten. Es ist nie zu spät. Ich bin gespannt. (GEA)