REUTLINGEN. »Hochinteressant« findet Thomas Eber das Projekt, »das die Diakonie gerade aufzieht«. Er meint das Diakonische Zentrum, das in der und um die säkularisierte Christuskirche in der »Tübinger Vorstadt« in Reutlingen entsteht. Bauherrin ist die Evangelische Gesamtkirchengemeinde. Der Diakonieverband fungiert als Hauptmieter und stellt das Vorhaben nun vor. Dieses bietet unter anderem sogenannte Clusterwohnungen, wobei das englische »Cluster« für die »Bündelung von Ähnlichem« steht. Zwei davon sollen dort - erstmals in Reutlingen - entstehen.
Diese Wohnform steht für selbstbestimmtes und zugleich gemeinschaftliches Wohnen. "Davon träum' ich schon seit Jahrzehnten", sagt der WG-erfahrene, alleinstehende Thomas Eber. Nicht nur in der Region, sondern in ganz Deutschland gebe es das bisher "leider nur sehr selten". Von daher besuchte der 61-Jährige einen Informationsabend, zu dem der Diakonieverband jüngst in die Citykirche geladen hatte. Außer Eber haben sich Pfarrer Joachim Rückle zufolge aktuell 30 Personen auf einer Interessentenliste eingetragen. Darunter sechs Männer, "mehrheitlich Menschen um die 60", teilt der Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands mit. " Beim Info-Abend waren mehr als 20 Männer und Frauen da.
Was ist wo auf dem Areal geplant?
Östlich der 1936 fertiggestellten Christuskirche sollen zusätzlich zu einem 5.500 Quadratmeter großen Park bis Anfang 2027 zwischen Lohmühlen- und Benzstraße drei Neubauten für rund 40 Bewohner entstehen. In zwei dreistöckigen quaderförmigen Häusern in Holzbauweise und dem zentralen vierstöckigen Gebäude werden jeweils über dem Erdgeschoss mit Büros und Beratungsstellen neue Formen gemeinschaftlichen Wohnens erprobt. Auch »Bauen mit Stellplatzschlüssel null ist in Reutlingen ein Novum«, betont Rückle. Jeder Mieter müsse sich verpflichten, ohne dauerhaftes eigenes Auto auszukommen. Außer zwei Stellplätzen für Teilautos stehen Räder und ein Lastenrad zur Verfügung. Der Bahnhof sei 800 Meter entfernt und in der Nähe soll es einst den Stadtbahnhalt »Bösmannsäcker« geben.
Das Thema »Wie wohnen wir in Zukunft?« spiele eine wichtige Rolle. Es gehöre verstärkt öffentlich diskutiert, denn in jedem dritten Beratungsgespräch kämen Sorgen und Probleme wegen hoher Mieten zur Sprache. Für ihn steht fest: So wie wir heute wohnen, wird das in 10 bis 15 Jahren kaum mehr möglich sein. »Wir wollen damit einen Beitrag zu bezahlbarem, nachhaltigem, gemeinschaftlichem Wohnraum leisten.«

Als Teil des Diakonischen Zentrums entsteht in den durch überdachte Laubengänge miteinander verbundenen Häusern Dreierlei: In Haus 2 wird es auf drei Stockwerken Einzelappartements für Menschen mit Unterstützungsbedarf geben. Die Planung folge der Idee inklusiven Wohnens - »mit Teilhabe, Miteinander und einer guten Mischung«, schildert Rückle. Der »Hof der Begegnung« hat rundum verlaufende Balkone und beherbergt zudem den Aufzug sowie das Treppenhaus für alle drei Neubauten.
Südlich davon sollen auf zwei Stockwerken in Haus 3 »größere Wohnungen« mit maximal 90 Quadratmetern Wohnraum für Singles, Familien und Alleinerziehende bieten. Mit einem abgeschirmten Gartenbereich fürs Grillen oder Feste.
Im nördlichen Haus 1 an der Benzstraße sind über einem Fahrradkeller im Erdgeschoss ebenfalls auf zwei Stockwerken die beiden Clusterwohnungen vorgesehen. In dieser in der Schweiz erprobten Wohnform sieht Rückle einen Trend: Immer mehr Menschen seien bereit, mit weniger Fläche auszukommen, wollten aber trotzdem eine eigene Wohnung haben. Das an Wohngemeinschaften (WG) angelehnte Projekt brauche Vorlaufzeit, denn für jede der beiden Etagen sollen sich jeweils Teams bewerben, die sich im Vorfeld schon zusammenfinden und ihre Kompatibilität möglichst bereits bei Ausflügen und Kurzurlauben erprobt haben.
So sehen die geplanten Clusterwohnungen aus
Die zwei Mietwohnungen sind den Plänen des Stuttgarter Architekturbüros a+r zufolge identisch aufgebaut: Von Haus 2 - also von Süden - her gibt es zunächst eine verglaste, gemeinsam genutzte Loggia. Daran schließt sich ein 56 Quadratmeter großer offener Raum an, der Wohnzimmer, Küchenzeile und Abstellflächen etwa für eine Waschmaschine bietet. Auch diese werden von allen Parteien gemeinsam genutzt. Die Küche soll zudem von den Bewohnern - zwischen vier und sechs auf jeder Etage - zusammen geplant und angeschafft werden. Die Erwartungen und Bedürfnisse seien diesbezüglich so unterschiedlich, erklärt Rückle, dass »das die WGs gemeinsam auf den Weg bringen müssen«. Um den gemeinsamen Bereich herum gruppieren sich zwei Ein- und zwei Zweizimmerappartements, je 35 respektive 45 Quadratmeter groß und mit Badezimmern, Anschlüssen für eine Teeküche sowie schallschützenden Wohnungstüren ausgestattet.

Die 2, 56 Meter hohen Räume verfügen über bodentiefe Fenster mit Alu-Sonnenschutz sowie Lüftung und Fußbodenheizung. Sie seien »sehr ordentlich ausgestattet«, erklärt Rückle: mit Kautschukböden, Fliesen in den Bädern, und einer Heizung über Geothermie, die im Sommer auch kühlen kann. »Das stellt eine dauerhaft günstige Versorgung sicher.«
Was soll das kosten?
Die Wohnungen sind zum Teil öffentlich gefördert, weshalb die Mieter in spe einen Wohnberechtigungsschein (WBS) vorweisen müssen. Laut Rückle erhält den, wer weniger als 58.000 Euro im Jahr verdient. Die Förderung bezieht sich nur auf die Privat-, nicht auf die Gemeinschaftsräume. »Die Nebenkosten bleiben sicher deutlich unterm Durchschnitt«, sagt er. Die Häuser seien sehr gut isoliert und, um Kosten zu senken, nicht unterkellert. »Ein guter Weg, den man gemeinsam gehen kann, ohne eigenes Kapital mitbringen zu müssen«, findet Rückle.
Interessenten haben Fragen zur Fassadenbegrünung und zu Hobbyräumen - gibt es in der Kirche, allerdings nicht barrierefrei. Einige tauschen sich über Vor- und Nachteile der raumhohen Fenster und Investitionen in die Küche aus. Vor allem aber interessieren die zu erwartenden Mietkosten. Die dürften je nach Wohnungsgröße innerhalb des 210-Quadratmeter-Clusters und Anzahl der WG-Bewohner zwischen 606 und 820 Euro kalt liegen.
Für wen ist das Angebot geeignet?
Pfarrer Rückle sieht das Projekt als Angebot »für Menschen, die eine ähnliche Idee haben, wie sie ihr Leben gestalten wollen«. Thomas Eber nennt es »eine gute Kompromissform aus Gemeinschaft und Rückzug. Ich glaube, solche Modelle sind die Zukunft. Das ist ein Riesending und wird immer mehr - nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für junge, die seit Corona zunehmend vereinsamen.« Für Christine Kuhnle vom Diakonieverband sind es zwei »WGs mit Rückzugsmöglichkeit«.
Anders als Studenten-WGs soll dieses Wohnprojekt auf Dauer angelegt sein. Alle Einheiten sind behindertengerecht und rollstuhlgeeignet, die Cluster sollen aber keine reinen Pflege-WGs werden. »Wie sich das vom Alter her durchmischt, da sind wir gespannt«, sagt Rückle. »Wir wollen einen Impuls fürs Quartier geben.«
Die Gruppen für die Cluster sollen sich im Lauf des Jahres finden. Interessenten können sich auf Listen eintragen und erhalten dann Newsletter. Kuhnle regt an, bald einen persönlichen Steckbrief einzusenden an diak.werk@diakonie-reutlingen.de. Entscheiden werden letztlich die Vermieter, erwünscht sei die Bereitschaft, sich im Quartier einzubringen, auch etwa im Café in der Christuskirche. Da eine Interessentin derzeit in Hamburg lebt, gibt es am 27. Mai, 18 Uhr, eine weitere Videokonferenz mit aktuellen Infos und der Gelegenheit zum Kennenlernen. Anmeldungen an die oben genannte Mailadresse. (GEA)