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Wie hoch die Reutlinger Grundsteuer ausfallen könnte

Die Vorschläge der Reutlinger Stadtverwaltung für sogenannten Hebesätze liegen auf dem Tisch. Diese sind maßgeblich für die spätere Höhe bei den Grundsteuern. Eine Entscheidung soll jetzt am 17. Dezember im Gemeinderat fallen. Wie die Fraktionen dann abstimmen wollen, haben sie dem GEA verraten.

Reutlingen Panorama von Ost bis West. Luftbild: Grohe
Reutlingen Panorama von Ost bis West. Luftbild: Grohe Foto: Manfred Grohe
Reutlingen Panorama von Ost bis West. Luftbild: Grohe
Foto: Manfred Grohe

REUTLINGEN. Die von den Bürgern mit Spannung und teils großer Sorge erwartete Diskussion um die Hebesätze der neuen Grund- und Gewerbesteuer (ab Januar 2025) ist in der jüngsten Sitzung des Gemeinderats von der Tagesordnung genommen und auf 17. Dezember verlegt worden. Nach der nichtöffentlichen Vorberatung im Finanzausschuss habe es weiteren »Beratungsbedarf« gegeben. Die Vorschläge der Stadtverwaltung stehen: 320 Prozent für die Grundsteuer B (bisher 500), 500 Prozent für die Grundsteuer A (bisher 320). Der Gewerbesteuerhebesatz soll mit 410 Prozent gleich bleiben, ebenso das Steueraufkommen insgesamt fürs Stadtsäckel (25 Millionen Euro).

Im Fokus steht die Veränderung der Grundsteuer B für die knapp 50.000 Reutlinger Grundstücke. Mit dem neuen »modifizierten Bodenwertmodell« in Baden-Württemberg wird trotz niedrigerem Hebesatz über die Hälfte von ihnen künftig höher belastet. Manche kosten doppelt so viel wie zuvor, andere drei- oder viermal so viel – und mehr. Der GEA hat bei den Gemeinderatsfraktionen nachgefragt, wie sie abstimmen werden. Nach bisherigem Stand ergibt sich eine Mehrheit für den Vorschlag der Stadt, auch wenn die noch unschlüssige AfD mit den Gegnern (CDU und FDP) stimmen würde. 

CDU (9 Sitze) 

Die CDU-Fraktion ist gegen die Verwaltungsvorschläge und hat einen Änderungsantrag gestellt, berichtet die Fraktionsvorsitzende Gabriele Gaiser: Danach sollen die Hebesätze ab Januar für die Grundsteuer B bei 290 Prozent angesetzt werden. Grundsteuer A und Gewerbesteuer sollen unverändert bleiben. Die Neuregelung des Landesgrundsteuergesetzes müsse »aufkommensneutral« umgesetzt werden. Der von der Verwaltung vorgeschlagenen 320 Prozent lägen aber deutlich über dem vom Landesfinanzministerium vorgeschlagenen Höchstsatz von 289 Prozent (Anmerkung der Redaktion: Unterdessen hat das Land den Satz noch einmal nach oben verändert: 277 bis 306 Prozent.) Die Bürger könnten in Zeiten von Rezession nicht noch mehr belastet werden, findet die CDU. Gleiches gelte für die (nebenberuflichen) Landwirte. »Es kann nicht einerseits mit der Regionalversorgung durch die Landwirte geworben werden und andererseits wird eine solche Belastung beschlossen.« Die Einführung einer Grundsteuer C lehnt man ab (bisher in Reutlingen, nicht auf der Agenda). 

Grüne und Unabhängige (8 Sitze) 

»Wir stimmen zu«: Dr. Karsten Amann (Grüne und Unabhängige) sieht keine Alternative. »Wir haben keinen Spielraum: Nicht nach oben, denn Mehreinnahmen sind politisch nicht gewollt. Und nach unten haben wir das Haushaltsproblem.« Zugleich könne man sich nicht vor der Entscheidung »drücken«. Den baden-württembergischen Weg, dass bestimmte Gruppe mehr belastet werden sollen, findet Amann politisch richtig. Man stehe zu dem wohnungs- und sozialpolitischen Instrument, dass Grund und Boden, der nicht intensiv bebaut ist, teurer wird. Unternehmen würden indes entlastet. Amann weist darauf hin, dass man ja »nachjustieren« könne. Der Gemeinderat könne den Hebesatz übers Jahr wieder senken. Dann seien auch Rückzahlungen möglich. 

FWV (5 Sitze) 

Für Grundstückseigentümer sollte der Hebesatz niedriger sein – für den städtischen Haushalt höher: 320 Prozent seien jedoch ein Kompromiss, den die FWV-Fraktion mittragen kann, da die Vorgabe der Aufkommensneutralität gewahrt sein soll, lässt die Fraktion über Pressesprecher Wilfried Müller wissen. Der Landtag von Baden-Württemberg (in dem die FWV nicht vertreten ist) habe am 2020 mit Mehrheit das Landesgrundsteuergesetz in der vorliegenden Form verabschiedet: »Die Kommunen haben es umzusetzen.« Die Reform und ihre Fehler seien aber nun nicht dem Gemeinderat anzulasten. 

AfD (5) 

»Wir wissen wirklich noch nicht, wie wir abstimmen werden«, schreibt der AfD-Fraktionsvorsitzende Hans-Jörg Schrade. Um die Stadtkasse anderweitig aufzubessern, fordert die Fraktion die »Priorisierung von Aufgaben und den Abschied von Ideologieprojekten«. Die AfD prognostiziert »einen politischen Sturm«, wenn die Bürger ihre Grundsteuerbescheide erhalten. Den Wählerzorn fürchte man sehr, er werde aber die Falschen treffen. »Die Stadtverwaltung hat auf diese dramatische Verschiebung der Steuerlast hin zu den Einfamilienhäusern – auch wenn es sich um keine Luxusobjekte handelt – leider gar keinen Einfluss«. Schuld sei der baden-württembergische Sonderweg, der vom Vorschlag des Bundesgesetzgebers abweiche und gegen den auch schon Klagen der Verbände liefen. Grüne und CDU würden jedoch »verschleiern, dass Stuttgart daran schuld ist«. 

SPD (5 Sitze) 

Obwohl das Land einen geringeren Korridor für Reutlingen angibt, erkennt die SPD-Ratsfraktion den Hebesatz 320 Prozent »als richtig und notwendig« an, schreibt der Fraktionsvorsitzende Helmut Treutlein. Der Gemeinderat habe keine politische Gestaltungsoption. Der neue (aufkommensneutrale) Hebesatz müsse die im genehmigten Haushalt eingestellten Einnahmen möglich machen. Eine rasche Entscheidung im Gemeinderat sei im Interesse der Bürgerschaft. Zumal bekannt ist, dass die Berechnungen des Staatlichen Finanzamts viele Fehler enthalten. »Die Vertagung in den Dezember hilft niemand weiter, im Gegenteil!« Der Versand der Bescheide komme jetzt im neuen Jahr viel zu spät und werde in der Bürgerschaft für viele Fragen und Verärgerung sorgen. Das Gesetz der grün-schwarzen Landesregierung, das nur die Grundfläche und nicht Bebauung und Nutzung betrachte, halten die Sozialdemokraten für »nicht angemessen und auch unhistorisch«. Treutlein nennt als Beispiel Reutlinger Siedlungen aus den 50er-/60er-Jahren: »Kleine Reihenhäuser mit Gärten zur Selbstversorgung wurden ganz bewusst gebaut. Jetzt führt dies zu hoher Grundsteuerbelastung.« 

WiR (3 Sitze) 

Die WiR-Fraktion setzt sich für einen aufkommensneutralen Hebesatz ein. Dies bedeute nicht, dass es keine Verschiebungen bei den einzelnen Eigentümern geben könne, schreibt der WiR-Fraktionsvorsitzende Professor Dr. Jürgen Straub. Die Grundsteuermessbeträge seien vom Finanzamt ermittelt. Die Herausforderung sei »die signifikante Anzahl fehlerbehafteter Grundsteuerbescheide des Finanzamtes«. Nach deren Korrektur schienen die von der Verwaltung vorgeschlagenen 320 Prozentpunkte nun immer näher an dem vom Finanzministerium berechneten Hebesatz zu liegen (jetzt 277 bis 306 Prozent). Eine weitere Nachjustierung im Laufe des Jahres 2025 sieht man auch bei WiR als »notwendig und erforderlich« an. Politisch verantwortlich für das modifizierte Bodenwertmodell sei die Landesregierung. Zuständig für den Bodenwert das Finanzamt. »Der Gemeinderat beschließt nur den Hebesatz selbst.« 

Linke/Die Partei 

»Die Neufestsetzung muss aufkommensneutral sein, und wir vertrauen der Verwaltung, dass dies mit den vorgeschlagenen Hebesätzen der Fall sein wird«, schreibt Fraktionschef Rüdiger Weckmann von der Linke/Die Partei. Auf Bundesebene fordere die Linke die Abschaffung der Umlagefähigkeit der Grundsteuer auf Mieter. Die Reform müsse sicherstellen, dass Kommunen keine Steuerausfälle erleiden, denn die Grundsteuer bleibe eine wichtige Einnahmequelle für sie. Die Linke würde weiter gehen: Durch eine noch stärkere Besteuerung baureifer, aber unbebauter Grundstücke soll Spekulation verhindert werden. Wohnungsgenossenschaften und andere gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen sollen von der Grundsteuer befreit werden. »Die Einführung einer Grundsteuer C in anderen Kommunen werden wir beobachten.« Generell gelte: »Diese Grundsteuerreform wurde uns durch Bund und Land aufgezwungen. Die Kommunen müssen ausbaden, was von oben kommt.« 

FDP (2 Sitze) 

Die Liberalen im Gemeinderat lehnen das Steuermodell laut Hagen Kluck ab, da es Bewohner von Ein- und Zweifamilienhäusern »deutlich« benachteilige. Die Liberalen im Gemeinderat fordern einen Hebesatz, der sich an den Berechnungen des Finanzministeriums orientiert. Man werde letztlich »dem für die Bürgerschaft günstigsten Vorschlag« zustimmen. Die Vertagung sei hinnehmbar: Die Liberalen gehen nicht davon aus, dass die baden-württembergische Form der Grundsteuer einer gerichtlichen Prüfung standhält. Wählerzorn fürchtet man nicht. Die FDP-Landtagsfraktion habe von Anfang an gegen diese Form der Grundsteuer gestimmt. »Fürchten müssen sich Grüne und CDU, die das gegen den Rat aller Fachleute durchgesetzt haben.« (GEA)