REUTLINGEN. Ärztliche oder zahnärztliche Versorgung? Menschen auf der Flucht haben dazu meist keinen Zugang. Die Mundgesundheit leidet, es entwickeln sich Infektionen, Karies oder im schlimmsten Fall droht der Verlust eines Zahns. Der Hilfsverein Dental Emergency Team hat sich im Jahr 2020 gegründet, mit dem Ziel, das Leid der Geflüchteten durch zahnmedizinische Behandlungen zu minimieren. Die erste Zahnstation, die aufgebaut und mittlerweile wieder geschlossen wurde, war auf der griechischen Insel Chios, außerdem ist der Verein in Polen aktiv.
Denn mit dem Beginn des Ukrainekriegs suchten viele Flüchtlinge Schutz im Nachbarland Polen, mit der Folge, dass das Gesundheitssystem dort recht schnell völlig überfordert war. Gemeinsam mit der Organisation STELP (STuttgart hELPs) hat der Verein deshalb einen Rettungswagen zu einer mobilen Zahnstation umgebaut, mit dem seitdem Zahnärzte aus Deutschland unterwegs sind, um ehrenamtlich Patienten zu behandeln.
Auch die Reutlinger Zahnärztin Dr. Monika Mund, die seit Jahresbeginn in der Eninger Praxis Dr. Hoch angestellt ist, hat vor Kurzem eine Woche damit verbracht, Flüchtlingen unentgeltlich zu helfen. Sie sei über eine kleine Anzeige in den zahnärztlichen Mitteilungen auf den Verein und sein Hilfsangebot aufmerksam geworden, berichtet sie. Schnell stand für sie fest, dass so ein Einsatz etwas für sie wäre. Etwas kompliziert gestaltete sich jedoch zunächst die Suche nach einem Mitstreiter: idealerweise eine Zahnarzthelferin oder ein Student der Zahnmedizin. Mehrere Interessenten hatten sich bei ihr gemeldet, jedoch kam immer etwas dazwischen. »Plötzlich stand ich wieder ohne Begleitung da«, blickt sie zurück.
Bis sich eine Bekannte bei ihr meldete, die Interesse signalisierte. Zwar hat Oksana Janssen keine Erfahrungen in der zahnmedizinischen Arbeit, aber sie als Partnerin gefunden zu haben, erwies sich im Nachhinein als Segen, betont Dr. Mund. Denn Oksana Janssen ist gebürtige Ukrainerin, was ihr ermöglichte, mit den Patienten zu sprechen. »Insgesamt waren die Menschen unsicher, verängstigt, viele sind Angstpatienten oder Kinder«, sagt Mund, »hier der Sprache mächtig zu sein, war für beide Seiten von unschätzbarem Wert«. Oksana Janssen konnte ihnen erklären, was gemacht wird, sie beruhigen und dazu bewegen, im Behandlungsstuhl Platz zu nehmen.
Gesundheitssystem ist überfordert
Ihre erste Station war Rzeszów, eine Stadt 90 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Die Flüchtlinge haben dort inzwischen weitestgehend ein geregeltes Leben mit Wohnung, Arbeit und auch Krankenversicherung. Sie könnten auch zum dortigen Zahnarzt gehen, jedoch sei das polnische medizinische System überfordert durch die große Anzahl an Menschen, die ins Land kamen, erklärt Dr. Mund. Weitere zwei Tage verbrachten sie in Przemysl, in einem Transitlager für ukrainische Flüchtlinge in unmittelbarer Grenznähe.
81 Patienten konnten die beiden innerhalb einer Woche helfen, die Termine wurden im Halb-Stunden-Takt vergeben und waren fast immer ausgebucht. Das liegt auch daran, dass die Ärzte schnell und ohne Aufhebens arbeiten. »Es wird so unbürokratisch wie möglich gehalten«, erzählt Monika Mund, »wir haben nur die Namen aufgenommen und geschaut, was zu tun ist«.
Eine intensive Zeit
Dr. Mund hat in ihrem Berufsleben schon oft im Ausland praktiziert, wie sie erzählt – sie war beispielsweise in China und in Togo. Aber die Tage in dem polnischen Durchgangslager seien mit die intensivsten ihres Lebens gewesen. »Ich habe in dieser kurzen Zeit so unglaublich viel erlebt«, berichtet sie, oft musste sie improvisieren und schauen, was überhaupt möglich ist. Die Ausstattung der mobilen Praxis sei hervorragend gewesen, betont sie, aber es ist eben doch anders, in einem Lastwagen zu arbeiten als in einer Praxis in Deutschland.
Besonders bewegend war es, wenn die Patienten nach der Behandlung nicht nur schmerzfrei, sondern auch rundum zufrieden waren. So kam an einem Tag eine etwa 40-jährige Frau, deren Schneidezahn zur Hälfte schwarz war. Der Zahnärztin ist es gelungen, den Zahn zu behandeln, ohne die Wurzel zu tangieren. Die Frau erklärt ihnen daraufhin immer wieder, wie glücklich sie sie gemacht haben. »Sie hat ständig in den Spiegel gesehen und konnte es nicht fassen, wieder einen schönen Zahn zu haben.«
Die Organisation vom Dental Emergency Team sei ebenfalls bestens gewesen, zudem hatten die beiden das Glück, dass sie in Klostern untergekommen sind, wo sogar für die Verpflegung gesorgt war. So bleibt Monika Mund nur ein Fazit zu ziehen: »Ich würde es jederzeit wieder machen.« (GEA)


