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Wie ein Reutlinger in Amerika Polizisten trainiert

Seit eineinhalb Jahren trainiert der Reutlinger Mohammed Ince Polizisten aus Los Angeles. Was seither geschah und welche Pläne er für die Zukunft hat.

Trainer Mohammed Ince hat es mit Wing Tsun weit gebracht.
Trainer Mohammed Ince hat es mit Wing Tsun weit gebracht. Foto: Frank Pieth
Trainer Mohammed Ince hat es mit Wing Tsun weit gebracht.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Kampfsportlehrer Mohamed Ince aus Reutlingen steht vor der Kamera mit zwei Polizisten. »Ich zeige euch eine Technik, die ihr anwenden könnt, wenn euch jemand angreift«, sagt er. Mit der chinesischen Kampfkunst Wing Tsun hat er es weit gebracht. Seitdem es sich herumgesprochen hat, dass er Polizisten des LAPD trainiert, besteht für seine Person großes Medieninteresse. Nicht umsonst: Das Los Angeles Police Department (LAPD) ist einer der größten kommunalen Polizeibehörden der USA. Der Fernsehsender RTL drehte einen Beitrag über Ince. Ein Kamerateam hatte ihn nach Amerika begleitet. Unter anderem fanden Dreharbeiten auch in Hollywood statt. Im Januar war der Reutlinger dann im TV-Magazin »Explosiv« zu sehen.

Die Anfragen für Fernsehauftritte und Interviews häufen sich. Während des GEA-Gesprächs meldet sich beim 43-Jährigen ein Journalist von »Galileo«. Vor nicht allzu langer Zeit sei ein Kamerateam aus Hongkong nach Reutlingen gereist, um Aufnahmen von ihm zu machen, erzählt er. Die Macher einer Dokumentation, die erfolgreiche Kampfsportler interviewen, sind über Instagram auf ihn aufmerksam geworden. 182.000 Menschen folgen ihm dort. »Die Doku wird wahrscheinlich auf Netflix zu sehen sein«, sagt er. Wann sie ausgestrahlt wird, ist noch nicht bekannt.

Alle drei Monate fliegt der Wing-Tsun-Meister nach Amerika und verbringt dort zwei bis drei Wochen. Er trainiert Ordnungshüter - von Montag bis Freitag - acht Stunden am Tag. »Auf Englisch natürlich, die Sprache habe ich mir selbst beigebracht«, berichtet Ince. Mit den Polizisten trifft er sich im Trainingscenter seines Kumpels in Woodland Hills, einem Stadtteil von Los Angeles, etwa 30 Kilometer von Hollywood entfernt. An einem Ausbildungskurs nehmen jeweils zehn Cops teil. »Ich zeige ihnen, wie sie jemandem innerhalb von Sekunden Handschellen umlegen können. Sie lernen noch, wie sie sich aus einer brenzligen Situation befreien können.« Ince bringt ihnen das Grundprinzip von Wing Tsun bei: Die Kraft des Gegners nutzen, um sie gegen ihn anzuwenden. »Je stärker jemand zuschlägt, desto mehr muss er dann leiden«, erläutert Ince.

Wing Tsun sei bei Polizisten des LAPD sehr gefragt, weil sie laut Ince effektiver als andere Verteidigungsgarten ist. Und weil es in Amerika nicht so viele Wing-Tsun-Meister gibt, ist Inces Training umso begehrter. Statt auf Kraft und Kondition kommt es bei der Kampfsportart auf die Technik an. Nach Abschluss des Trainings sollen die Polizisten eigenständig dazu in der Lage sein, sich gegenüber stärkeren Gegnern verteidigen zu können. Das Problem in Los Angeles sei nämlich, dass Cops oft dafür Unterstützung von Kollegen bräuchten.

Gefahrensituation besser einschätzen

Was noch im Training miteinbezogen wird, ist die Entwaffnung. Da in Amerika viele Menschen Gewehre besitzen, kommt es schneller zu Schießereien. Beim Training geht es daher auch darum, Kriminelle, die beispielsweise eine Pistole, ein Messer oder einen Baseballschläger mit sich tragen, zu entwaffnen. »Polizisten sollen lernen, mit Gefahrensituationen umzugehen und sie besser einzuschätzen«, sagt Ince. Die LAPD habe mit einem hohen Stresspegel zu kämpfen. Manche Polizisten seien überfordert, mit dem, was sie täglich leisten müssen. In den USA seien Depressionen ein großes Thema. »Einige leiden unter Ängsten und psychischen Problemen.« Deswegen gehört es zu Inces Job auch noch dazu, ihnen ein gutes Mindset anzutrainieren. Damit sie Stress leichter und schneller abbauen können, wird der Fokus auf positive Gedankenmuster gelegt. Die richtige Körpersprache anzuwenden, ist auch Teil davon. »Sie lernen durch Gestik und Mimik, Stärke und Dominanz auszustrahlen.«

Ob Ince Probleme hatte, sich als deutscher Ausbilder bei den Amerikanern durchzusetzen? »Überhaupt nicht. Die Wertschätzung dort ist groß. Sobald sie merken, dass man etwas drauf hat, fressen sie einem aus der Hand«, sagt er und schmunzelt. Die Interaktion mit den Polizisten mache ihm großen Spaß, obwohl er nach dem Training platt sei. Was für ihn aber die größte Herausforderung darstellt, ist der Jetlag. »Bis ich ihn los bin, muss ich schon wieder nach Deutschland zurückfliegen.«

Was noch ansteht: Cover, Buch und DVDs

Für den Reutlinger stehen außer dem Polizeitraining noch weitere Projekte an. "Ich komme auf das Cover von Masters." Das ist eine Zeitschrift für Kampfsport. Aber das ist noch längst nicht alles: Er möchte ein Buch über Wing Tsun veröffentlichen, auch drei DVDs will er auf den Markt bringen, die von ihm vorgezeigte Kampfsport-Techniken beinhalten werden. Außerdem hat der Regisseur eines Kampfsportfilms Interesse an seinem Können gezeigt. Alle Medien sind von alleine auf mich zugekommen, ich habe niemanden kontaktiert", sagt der Reutlinger mit türkischen Wurzeln und schmunzelt.

Doch wie kam er dazu, Wing Tsun beruflich auszuüben? Einer seiner Lieblingsbeschäftigungen als Jugendlicher: Kampfsportfilme schauen. »Es gab ja damals kein YouTube oder Internet.« Sein Vorbild war Jackie Chan und sein Lieblingsfilm »Karate Tiger«. »Solche Filme haben mich fasziniert. Sie haben mein Hirn in die richtige Richtung gebracht«, schwärmt er.

Was Wing Tsun besonders macht

Wing Tsun ist eine im frühen 19. Jahrhundert entstandene chinesische Kampfkunst. Bei diesem Kampfstil wird die Kraft des Gegners gegen ihn genutzt. Statt Kraft mit Gegenkraft zu erwidern, nimmt der Verteidiger die Kraft des Gegners auf und lenkt sie an ihn zurück. So gelingt es ihm - wenn auch körperlich unterlegen - sich gegen einen wesentlich größeren und stärkeren Gegner zu verteidigen. Wer Wing Tsun betreibt, wird in vielseitigen Übungen mit realitätsnahen Konfliktsituationen konfrontiert. Der Schüler behält in einer Gefahrensituation den Überblick, statt in Angststarre zu verfallen. (ifi)

Mit 21 eröffnete Ince eine Kampfsportschule in Pfullingen. 2014 zog er mit seiner Schule nach Reutlingen in die Wörthstraße. Seit Januar 2024 hat die Kampfsportschule eine neue Adresse: Sie befindet sich jetzt am Willy-Brandt-Platz. Der Sieben-Dan-Großmeister nahm an etlichen Seminaren und Fortbildungen teil, knüpfte zahlreiche Kontakte. Die öffneten ihm viele Türen, vor allem das Kennenlernen mit einem Kampfsporttrainer aus Amerika, mit dem er inzwischen eng befreundet ist. Vor zwei Jahren besuchte Ince seinen Kumpel Fariborz Azhak.

Sie gingen gemeinsam auf die Kampfsportmesse »Dragonfest« in Glendale Kaliforniens. Auf der Messe stellte Ince sein Können unter Beweis und lockte neugierige Blicke auf sich. Viele Besucher wollten mehr über seine Kampftechnik erfahren. Für das Seminar, das er anschließend an der Kampfsportschule seines Freundes gab, »meldeten sich 150 Menschen an«. So wurden auch die LAPD auf ihn aufmerksam. Er bekam einen festen Arbeitsvertrag, aber entschied sich dagegen, weil er seine Kinder und Deutschland nicht zurücklassen wollte. Stattdessen fliegt er mehrmals im Jahr in die USA, um seiner Leidenschaft nachzugehen. Seither lebt er den amerikanischen Traum. Er zeigt Videos von einer luxuriösen Unterkunft mit Pool, die ihm sein Kollege in den USA zur Verfügung stellt. »Wahnsinn, oder?«, kommentiert er begeistert. Was er an Amerika besonders genießt? »Dass die Leute offen, gut gelaunt und locker drauf sind.« Irgendwann mal in die USA auszuwandern, und dort eine Kampfsportschule zu eröffnen, schließt Ince auf jeden Fall nicht aus. (GEA)