REUTLINGEN. Ob Familien-Chatgruppe oder der Terminplan-App: Smartphones haben in den vergangenen Jahren das Leben in Familien rasant verändert. Was daran positiv und negativ ist und wie man damit umgehen kann, erklären Zrinka Lucic-Vrhovac, Leiterin der psychologischen Beratungsstelle in Reutlingen, und Professorin Christine Linke, Kommunikationswissenschaftlerin der Universität Wismar.
GEA: Sind Smartphones Fluch oder Segen für Familie und Partnerschaft?
Zrinka Lucic-Vrhovac: Sowohl als auch. Immer und jederzeit erreichbar zu sein, kann Vorteil und Nachteil sein.
Christine Linke: Die Frage kann man so gar nicht stellen. Das Medium an sich ist weder Fluch noch Segen. Es kommt darauf an, was die Menschen daraus machen. Also wie es Familien gelingt, das Smartphone in die Kommunikation einzubinden. Klar ist, dass man es nicht aus dem Alltag heraushalten kann.
Was sind die Vorteile von Smartphones im Familienalltag?
Linke: Die Geräte ermöglichen uns unfassbare Möglichkeiten in der Alltagsorganisation. Sie sind für Kinder ein wichtiger Begleiter in die Selbstständigkeit geworden, wenn sie zum Beispiel das erste Mal mit Freunden ausgehen. Gleichzeitig können sich Eltern vergewissern, dass es ihren Kindern gutgeht. Und umgekehrt können sich die Kinder melden, wenn der Geldbeutel verloren oder der Bus verpasst wurde.
Lucic-Vrhovac: Positiv erleben die Menschen die schnellere, die einfachere Kommunikation und dass sie ihren Alltag und Termine besser organisieren können. Einige Ratsuchende haben Schwierigkeiten mit dem Schreiben. Sie können sich mit Emojis jetzt ganz gut ausdrücken und in kurzen Sätzen schriftlich kommunizieren.
Was hat sich verschlechtert?
Lucic-Vrhovac: Früher hatten wir den Fernseher als elektrischen Babysitter, um die Kinder ruhigzustellen. Jetzt ist es das Spiel auf dem Tablet oder dem Smartphone. Die Eltern haben eine Zeit lang ihre Ruhe. Was das später für die Kinder bedeutet, werden wir sehen. Der Unterschied ist, dass man den Fernseher nicht überall hin mitnehmen kann.
Christine Linke: Wir haben ein neues Konfliktfeld. Früher wurden Fernseh- und Telefonzeiten ausgehandelt, heute verhandeln Eltern schon mit Kleinkindern über Bildschirmzeiten am Smartphone. Oder es gibt Diskussionen inwieweit das Gerät zur Verfügung steht und welche Apps installiert werden. Die Anforderungen an Eltern sind höher geworden. Sie müssen sich stärker in diesen neuen Lebensbereich reindenken und diesen verstehen. Eltern kommen nicht drumherum, sich über Smartphones Wissen anzueignen.
Welchen Einfluss haben Messenger-Gruppen auf Kinder?
Linke: Klassen- oder Schulchats sind das, was früher der Pausenhof oder die Bushaltestelle waren: Orte, an denen sich Kinder anders ausdrücken als im Kreis der Familie und an denen sie ihre Grenzen austesten. Mit dem großen Unterschied, dass es im digitalen Raum eine viel größere Enthemmung gibt als im realen Leben. Problematisch können Chats werden, wenn Mobbing passiert oder kompromittierende Bilder verschickt werden. In der Familien-Chatgruppe kann man als Eltern vorleben, was in Ordnung ist und was nicht. Man kann Haltung vermitteln.
Wie sieht es bei Paaren aus? Wie beeinflussen hier Smartphones die Beziehungen?
Lucic-Vrhovac: Ich habe oft Ratsuchende bei mir, die sich beklagen: »Das Ding steht zwischen uns.« Auch streiten Menschen, die älter sind als 40 Jahre, in ihren Beziehungen über die Smartphone-Nutzung nach dem Motto: »Du hast mehr Likes als ich. Du redest nicht mehr mit mir, stattdessen blickst du nur auf den Bildschirm. Du lachst lieber mit jemandem aus dem Netz. Hallo, ich bin hier, direkt vor dir!« Der Partner wird nicht oder zu wenig wahrgenommen und fühlt sich zurückgesetzt. Das birgt großes Krisenpotenzial.
Was empfehlen Sie fürs Familienleben?
Lucic-Vrhovac: Es sollten unbedingt Smartphone-freie Zeiten und Smartphone-freie Zonen geschaffen werden. Beim gemeinsamen Essen gehört das Smartphone unbedingt verbannt. Es muss Grenzen für die Smartphone-Nutzung geben. Diese Grenzen müssen aber flexibel bleiben.
Linke: Wichtig ist, die Entwicklung und die Bedürfnisse des Kindes im Blick zu behalten – aber auch die Familie als Ganzes. Man sollte sich immer wieder vergewissern: Tut es uns jetzt gut, wie es gerade läuft? Den Kindern sollte man erklären, wie man die Grenzen setzt. Das muss man konsequent durchhalten über verschiedene Altersstufen. Konsequent müssen die Eltern als Vorbilder aber auch mit sich selbst sein. Sie etablieren selbst auch oft ungesunde Praktiken. Generell sollte man versuchen, einen gesunden Umgang mit Smartphones zu finden. Am Anfang gilt es, die Kinder an die Hand zu nehmen, etwa mit einem in der Funktionsweise reduzierten Gerät.
Wie wird das Smartphone das Familien-leben künftig verändern?
Lucic-Vrhovac: Ich gehe davon aus, dass ein Gewöhnungseffekt eintreten wird. Wir können ohnehin nicht mehr ohne Smartphone. Wir können ohne kaum noch verreisen, immer mehr bezahlen inzwischen mit dem Smartphone. Es gibt keinen Weg mehr zurück. Jeder muss sich selbst fragen: Wo bin ich in diesem Leben, wo stehen meine Kinder, mein Partner – und alle müssen sich Gedanken machen, was ist das richtige Maß an digitaler Kommunikation?
Linke: Ich glaube, es werden immer wieder neue Smartphone-Apps und neue Trends aufkommen, die die nächsten Generationen an sich binden wollen. Ich glaube, dass eine noch stärkere Kommerzialisierung eintreten wird. Auch Kinder und Jugendliche sind sehr gefragte Konsumenten. Es ist wichtig, dass diese sich dessen bewusst werden. Der Schlüssel, um mit den immer größer werdenden Herausforderungen zurechtzukommen, ist miteinander über die Mediennutzung zu sprechen. (GEA)