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Wie Armut einsam macht

REUTLINGEN. Eigentlich ist auch das schon Luxus: Gabriele Blum-Eisenhardt rechnet nicht jeden Tag nach, wo sie gerade steht mit dem schmalen Wochenbudget von 148,80 Euro, das ihr, ihrem Mann Andreas und den drei Kindern zwischen dreizehn und neunzehn fürs Essen reichen soll.

»Mussten die Schnitzel sein?« - Wenn man ständig extrem knapp bei Kasse ist, leidet irgendwann die Beziehung, mutmaßen die Eisen
»Mussten die Schnitzel sein?« - Wenn man ständig extrem knapp bei Kasse ist, leidet irgendwann die Beziehung, mutmaßen die Eisenhardts. Foto: Elke Schäle-Schmitt
»Mussten die Schnitzel sein?« - Wenn man ständig extrem knapp bei Kasse ist, leidet irgendwann die Beziehung, mutmaßen die Eisenhardts.
Foto: Elke Schäle-Schmitt
Während der Fastenaktion wirtschaftet sie einfach sehr sparsam und schaut jeweils am Ende der Woche, ob sie knausrig genug war.

»161 Euro«, sagt sie, als alle Ausgaben zusammengezählt sind. »Zwölf Euro drüber.« Müsste die Familie wirklich von Hartz IV leben, wären diese zwölf Euro schlicht nicht vorhanden, das ist ihr klar. Ihr Mann runzelt denn auch die Stirn. »Ich hab dir gleich gesagt, dass wir uns die Schnitzel nicht leisten können.« Gabriele Eisenhardt lacht: »Es ist ein Planspiel, Andreas. Wir bemühen uns, es so gut wie möglich hinzubekommen. Aber es kann nicht sein, dass die Kinder die ganze Woche lang kein Fleisch essen dürfen.«

Wäre es kein Planspiel, sondern bitterer Ernst, würde es wegen der Schnitzel Streit geben, vermutet sie. Schon so haben Essen, Einkaufen und das Reden darüber einen deutlich höheren Stellenwert bekommen. »Und man guckt viel schärfer hin. Statt sich zu freuen, dass es den Kindern schmeckt, denkt man plötzlich: Der Joghurt muss doch noch reichen, warum tun die nicht lieber mehr Milch ins Müsli.«

»Es kann nicht sein, dass die Kinder eine ganze Woche lang kein Fleisch essen dürfen«
Frisches Gemüse sei jetzt im Winter beinahe unerschwinglich; fast alles Besondere, Zusätzliche haben sie gestrichen. So weiß Andreas Eisenhardt schon heute, was er als Erstes machen wird, wenn die vier Wochen um sind: »Auf dem Markt mit Sardellen gefüllte Oliven kaufen.« Und ein großes Samstagsfrühstück soll es geben, mit frischen Brötchen vom Vollkornbäcker.

»Wenn das Besondere fehlt, wird man zwar satt, hat aber trotzdem immer ein bisschen Hunger«, hat er festgestellt. »Richtig« satt, so ganz tief drinnen, ist er diese Woche nur einmal geworden: als ihn Freunde in die Pizzeria einluden. Auch seine Frau war mit den Kindern eingeladen, zum Geburtstagskaffee. »Von wem werden Hartz-IV-Empfänger eingeladen?«, überlegt sie. »Und wollen sie sich überhaupt einladen lassen? Da möchte man sich doch irgendwann revanchieren können, das ist sonst peinlich.« Sehr schwierig stellt sie sich das mit den sozialen Kontakten vor.

Einen Abend war sie mit ihren Freundinnen etwas trinken, nur eine Apfelschorle hat sie sich geleistet. Trotzdem waren drei Euro weg, das ist fast der gesamte Tagessatz der dreizehnjährigen Tochter. Ihr Mann ist lieber gleich gar nicht zur Sportvereinsversammlung gegangen. Einen Wurstsalat und ein Weizenbier konsumiert er da sonst. »Ich war an dem Abend sowieso sehr müde. Aber so schmal neben den anderen sitzen, das wollte ich nicht.«

Es hat ihm gereicht, dass die Freunde in der Pizzeria frotzelten, heute könne er sich mal satt essen. Nett und witzig war das gemeint, aber wenn er echt auf ihre Einladung angewiesen wäre, hätte er es nicht als witzig empfunden. »Man wird empfindlicher, ist leicht betroffen und zieht sich zurück«, beobachtet Andreas Eisenhardt.

Zu wem hat Ute M.* Kontakt? »Zu meiner Nachbarin«, sagt sie, ohne zu zögern. Dann kommt eine Weile lang nichts. »Und zu meinen Geschwistern - per Telefon. Besuche sind selten.« Schon in der Schulzeit hatte sie wenig Freundinnen. »Ich bin die Älteste von acht, da hat man keine anderen Kinder eingeladen.« Spiel mit deinen Geschwistern, habe es geheißen. Auch als sie schon erwachsen war, fand Geselligkeit überwiegend mit den Geschwistern statt, »doch das schläft allmählich ein, wenn die eigenen Kinder größer werden«.

So ist es die Einsamkeit, die ihr an ihrem Dasein als Langzeitarbeitslose mit am meisten zu schaffen macht. »Ich war zwei, drei Mal im Sportverein zum Schnuppern. Wenn die dann hinterher alle noch auf einen Salat fortgingen, habe ich gesagt, ich hätte keinen Babysitter, und bin heim.« Die Kinder haben es durch die Schule etwas leichter. Trotzdem ist auch ihnen die Erfahrung ausgeschlossen zu sein, nicht dazuzugehören vertraut.

Nikos großer Bruder Jan*, der vor Kurzem zu Hause ausgezogen ist und nicht mehr zu Ute M.s Bedarfsgemeinschaft zählt, hat vor Jahren das Hockeyspielen begonnen. »Vom Mund abgespart hab' ich mir den Schläger und die übrige Ausrüstung«, erzählt Ute M. Damit war es jedoch nicht getan. »Die haben ja nicht bloß Training - die fahren auch zu Punktspielen. Anfangs hieß es: Wir nehmen dich mit. Aber wenn die eigene Mutter den Fahrdienst nie übernehmen kann -« Es bleibt offen, ob die Sportskameraden Jan stehen ließen oder ob er von sich aus nicht mehr wollte, weil er sich geschämt hat. Der Hockeyschläger steht jedenfalls seither in der Ecke.

»Den Schläger und die übrige Ausrüstung hab' ich mir vom Mund abgespart«
Irgendwann wird auch Niko ausziehen, dann bleibt Ute M. allein zurück. Ihr graut davor. »Deshalb will ich ja unbedingt arbeiten! Um unter Leute zu kommen, Kontakte zu knüpfen.« Einer 50-jährigen Alleinerziehenden mit Rückenproblemen gibt aber niemand einen Job. Selbst die Zeitarbeitsfirmen winken ab. Zu alt und ungelernt, hieß es schon, als Ute M. erst 44 war. »Die ließen mich nicht mal einen Bewerbungsbogen ausfüllen.« Die Hoffnung, Arbeit zu finden, hat sie trotzdem nicht aufgegeben. Am liebsten hätte sie einen Job bei einem Discounter: »Abwechselnd an der Kasse sitzen und Regale auffüllen, das könnte ich gut.« (GEA) *Namen von der Redaktion geändert

Vier Wochen mit Hartz IV

Mit wöchentlichen Besuchen begleitet der GEA die Familie Eisenhardt, die durch die Diakonie-Fastenaktion »Vier Wochen mit Hartz IV« ihr Bewusstsein für die Lage der Menschen schärfen möchte, die mit der sogenannten Grundsicherung auskommen müssen. Im Landkreis Reutlingen waren das im letzten Herbst 11 566 Personen, darunter Ute M. und ihr Sohn Niko, die mit einigen Unterbrechungen seit zehn Jahren von Hartz IV oder Sozialhilfe leben. Wie sie ihren Alltag bewältigen, das stellen wir immer mittwochs den Erfahrungen der Eisenhardts gegenüber. (GEA)