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Werden Waschbären zur Plage in Reutlingen und Region?

Den GEA erreichen immer wieder Berichte von Menschen in Reutlingen und der Region über Waschbären. Manche Begegnungen sind kurios, viele doch eher ärgerlich bis erschreckend. Von einer Plage durch die Tiere will der Wildtierbeauftragte des Landkreises nicht sprechen. Noch nicht.

Sehen die kleinen Räuber nicht süß aus? Im Kreis Reutlingen gibt es immer mehr Waschbären. Sie fühlen sich auch auf Dachböden od
Sehen die kleinen Räuber nicht süß aus? Im Kreis Reutlingen gibt es immer mehr Waschbären. Sie fühlen sich auch auf Dachböden oder unter Hausdächern wohl, wie dieses Foto zeigt. Foto: Britta Pedersen/dpa/dpa
Sehen die kleinen Räuber nicht süß aus? Im Kreis Reutlingen gibt es immer mehr Waschbären. Sie fühlen sich auch auf Dachböden oder unter Hausdächern wohl, wie dieses Foto zeigt.
Foto: Britta Pedersen/dpa/dpa

REUTLINGEN. Werden sie bald zur Plage? Die süß aussehenden Tiere mit der »Zorro-Maske« im Gesicht? Immer mehr Waschbären sorgen in Reutlingen und der Umgebung für Aufsehen und hauptsächlich für Ärger. So auch beim Reutlinger Wilfried Ammer. Er hat sich an den GEA gewandt und - wörtlich - von Ungeziefer berichtet, das auf seinem Gütle unterhalb der Achalm sein Unwesen treibt. Mit Ungeziefer meint er die Waschbären, die auf seinem Grundstück gewütet hatten.

Sein Biotop dort umfasse einen Teich und dessen Uferbereiche. Viele Jahre lang sei das ein Lebensraum unter anderem für Frösche, Salamander, Molche und weitere Tiere gewesen. Bis die Waschbären kamen. Jetzt seien alle anderen Tiere tot. Getötet von den Waschbären. »Ich habe das mit meiner Wildtierkamera dokumentiert«, berichtet Ammer und fügt hinzu: »Übrigens kommen auch Wildschweine, Rehe, Marder und Füchse vorbei. Die haben in meinem Biotop nie so geräubert, wie die Waschbären.« Das Biotop bestand weiter. Jetzt, wo alles weggefressen sei, würde sich »das Ungeziefer« nicht mehr blicken lassen.

»Die haben in meinem Biotop nie so geräubert, wie die Waschbären«

»Das ist ein typisches Beispiel für das, welche Schäden die Waschbären bei uns in der Region anrichten«, sagt der Wildtierbeauftragte des Landkreises Reutlingen Rupert Rosenstock. Er hat noch mehr »Schadensmeldungen« dokumentiert. Dazu gehören Gelege von Wasservögeln an den Teichen und Seen im Landkreis, gerade auch am Reutlinger Markwasensee. Rosenstock erinnert daran, dass Waschbären zu den eingeschleppten oder auch invasiv genannten Tierarten gehören, keine natürlichen Feinde haben und zur echten Gefahr für heimische Tierarten geworden sind.

Ein Beispiel dafür, dass Waschbären auf ihrer Futtersuche keine Grenzen kennen. Ein Waschbär ist auf einen Futterspender geklett
Ein Beispiel dafür, dass Waschbären auf ihrer Futtersuche keine Grenzen kennen. Ein Waschbär ist auf einen Futterspender geklettert, der auf einem Pfahl steht. Ein Fuchs sieht ihm beim Räubern zu. Foto: Ingolf König-Jablonski/dpa
Ein Beispiel dafür, dass Waschbären auf ihrer Futtersuche keine Grenzen kennen. Ein Waschbär ist auf einen Futterspender geklettert, der auf einem Pfahl steht. Ein Fuchs sieht ihm beim Räubern zu.
Foto: Ingolf König-Jablonski/dpa

Auf der Suche nach Futter überwinden Waschbären fast alle Grenzen: »Die können auch schwimmen und erreichen so die Nester von Wasservögeln auf Inseln in den Tümpeln und Seen«, weiß Rosenstock. Auch Futterstationen, Vogelhäuser und aufgehängte Meisenknödel seien für die Tiere kein Problem.

Von einer echten Plage will der Wildtier-Experte nicht sprechen - noch nicht. »Im Prinzip hat alles die Anzeichen einer Plage. Im Kreis Reutlingen ist es aber noch nicht so weit wie beispielsweise im Ostalbkreis, dem Rems-Murr-Kreis oder dem benachbarten Kreis Göppingen«, so Rosenstock. Die Tiere würden zunehmend zu einem Problem. Vor allem drängten sie in die Städte, wie Reutlingen, Pfullingen oder Metzingen. »Hier finden die cleveren Tiere alles im Überfluss und da sie keine Scheu vor dem Menschen haben, bedienen sie sich an allen Stellen, an denen man ihnen - bewusst oder unbewusst - etwas hinterlässt.« Problematisch würden mittlerweile vielmehr Mülltonnen, Kompostbehälter und beispielsweise Schuppen. »Sobald sich Essbares, womöglich sogar gekochtes menschliches Essen, dort befindet, zieht das die Waschbären regelrecht magisch an«, berichtet der Wildtierbeauftragte.

Viele halten Waschbären für schnuckelig und füttern die Tiere.
Viele halten Waschbären für schnuckelig und füttern die Tiere. Foto: Lenhard Klimek/dpa/dpa
Viele halten Waschbären für schnuckelig und füttern die Tiere.
Foto: Lenhard Klimek/dpa/dpa

Rupert Rosenstock weiß, dass manche Menschen die Tiere so putzig und süß finden, dass sie zufüttern. »Da steht das Katzenfutter auf der Terrasse, dem Balkon oder dem Garten bereit«, weiß er. Wer zufüttere, brauche sich anschließend nicht wundern, wenn Waschbären in Schuppen, Garagen oder unter dem Dach Unterschlupf finden: »Die fühlen sich dann wohl und klettern ohne Probleme die Regenrinne hinauf unters Dach.« Es gibt Berichte, wonach Waschbären durch Katzenklappen problemlos in Häuser und Wohnungen gelangen und die Futternäpfe der Haustiere leerfressen.

Erfahrungen aus anderen Großstädten zeigen: Am wohlsten fühlen sich die Tiere in alten Einzelhaus- und Villenvierteln sowie in der Umgebung innerstädtischer Parkanlagen. In der Nähe menschlicher Behausungen steigt ihre Vermehrungsrate.

Wieso es so viele Waschbären gibt

Waschbären gibt es erst seit knapp 90 Jahren in Deutschland. Das lässt sich so genau zurückdatieren, weil sie während der Nazi-Terrorherrschaft gezielt in der freien Wildbahn ausgesetzt wurden. Im April 1934 wurden am Edersee bei Kassel zwei Waschbären-Paare in die Natur ausgesetzt, weil die damalige Jagdbehörde unter dem Nazi-Minister und Reichsjägermeister Hermann Göring es so wollte. Es war eine gezielte Auswilderung zur Bereicherung der heimischen Tierwelt, so die damalige Begründung. Das Unheil nahm seinen Lauf. Während des Zweiten Weltkrieges büchsten weitere in Pelzfarmen bei Berlin gehaltene Waschbären aus. Die Nachkommen dieser beiden Populationen haben sich mittlerweile in halb Europa ausgebreitet. Kassel gilt als Waschbären-Hauptstadt. Dort herrscht eine echte Waschbären-Plage.

Dass die Anzahl der Tiere in der Region nicht noch weiter zunehmen darf, sondern reduziert werden muss, steht für Rosenstock außer Frage. Denn aus dem zunehmenden Ärgernis dürfe sich eben keine Plage entwickeln. Die verstärkte Bejagung der Tiere sowie deren konsequente Vergrämung hält Rosenstock für gehbare Wege. Die Kastration der Tiere, wie sie jetzt die Stadt Kassel versucht, hält er für schwer machbar. Es seien einfach zu viele. »Es ist schon ein enormer Aufwand, die Tiere mit Fallen einzufangen und dann zu kastrieren, beziehungsweise zu sterilisieren.« Ob die Kasseler Methode zur erhofften Reduzierung der Waschbärenpopulation führt, sei fraglich.

»Vor allem müssen die Menschen aufhören, die Tiere zu füttern«

Die gezielte Tötung durch ausgebildete Jäger sieht der Wildtierbeauftragte kritisch: »Eine hohe Abschussrate müsste ganzjährig und dauerhaft aufrechterhalten werden.« Das sei allein durch die gesetzlich vorgeschriebene Jagdzeit von Juli bis Februar nicht möglich. Die Jungtiere dürften zwar ganzjährige bejagt werden, so Rosenstock. Er habe aber davon gehört, dass Waschbären mehr Nachwuchs bekommen, wenn sie stark bejagt werden. Belegt sei das allerdings nicht.

Deshalb sei er dafür, das Töten zu vermeiden und mehr auf Vergrämung zu setzen. Das bedeute aber auch, dass alle dabei mithelfen müssten: »Vor allem müssen die Menschen aufhören, die Tiere zu füttern. Mehr noch: Beliebte Futterquellen müssen für die Waschbären unzugänglich gemacht werden.« Dazu gehöre es, Mülltonnen zu verschließen und auf keinen Fall gekochte Essensabfälle auf den Kompost zu werfen. Zudem gebe es Ultraschallgeräte, die die Tiere vertreibe. Vogelhäuser und Regenrinnen könnten mit stacheligem Draht abgesichert werden. Denn in der Regel kommen Waschbären, um zu bleiben.

Wenn sich eine Waschbärenmutter beispielsweise einmal unter dem Hausdach gemütlich gemacht hat und lautstark mit ihren Jungen dort spielt und umhertollt, ist für die Hausbewohner an Schlaf nicht mehr zu denken. Wer ein Waschbärenproblem habe, könne sich an das Landratsamt Reutlingen wenden. (GEA)