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Aktuell Schlachthof

Was Metzger aus der Region zum Fleisch-Skandal sagen

Wie beurteilen Metzger aus der Region die Vorkommnisse im Schlachthof der Firma Tönnies?

Fleischtheke im Supermarkt
»Fleisch wird in Deutschland nicht knapp, auch nicht Schweinefleisch«, sagt Tim Koch von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
»Fleisch wird in Deutschland nicht knapp, auch nicht Schweinefleisch«, sagt Tim Koch von der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

REUTLINGEN/GÄCHINGEN/PLIEZHAUSEN. Der Coronavirus-Ausbruch beim Schlachtkonzern Tönnies hat eine Branche ans Licht gezerrt, die lieber unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurstelt. In anonymen Fabriken, in denen im Akkord getötet und zerlegt wird. Wo vor allem osteuropäische Arbeitnehmer unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen für einen Hungerlohn malochen. »Die Arbeit ist körperlich und psychisch extrem anstrengend, sie ist gefährlich und führt häufig zu Verletzungen, die hygienischen Verhältnisse sind miserabel«, schreibt der Journalist und Autor Manfred Kriener in seinem Buch »Leckerland ist abgebrannt.«

Ende September des vergangenen Jahres waren in Deutschland laut Bundesagentur für Arbeit etwa 22 400 Rumänen, 8 300 Polen, 3 300 Ungarn und 2 500 Bulgaren in der Schlachtung und Fleischverarbeitung beschäftigt – angeworben und abgezockt von Subunternehmern, denen Hubertus Heil jetzt das Handwerk legen will. Die Koalition habe sich darauf geeinigt, dass Werkverträge in Fleischfabriken nicht mehr möglich sein werden, sagte der Arbeitsminister am 20. Mai.

Jürgen Zeeb, alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Metzgerei Zeeb. FOTO: PIETH
Jürgen Zeeb, alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Metzgerei Zeeb. FOTO: PIETH
Jürgen Zeeb, alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter der Metzgerei Zeeb. FOTO: PIETH

Für Ludwig Failenschmid, der in Gächingen eine bis ins Jahr 1740 zurückreichende Metzger-Tradition weiterführt, ist in der Debatte über Tönnies allerdings viel Heuchelei dabei. Die Zustände in den Fleischfabriken seien seit Jahren bekannt, »aber da hat’s keinen Menschen interessiert«. Besonders bedauerlich findet Failenschmid, dass es oft gerade die staatlichen Auflagen seien, die die Konzentration in der Fleischbranche befördert haben. Das beginnt für ihn beim Rückgang in der Landwirtschaft und hört mit der Schließung von Schlachtstätten noch nicht auf.

Jürgen Zeeb, Geschäftsführer der gleichnamigen Reutlinger Metzgerei, kann dem jetzt ans Licht gezerrten Skandal sogar Gutes abgewinnen. »Für uns bedeuten die Vorkommnisse bei Tönnies, dass der Verbraucher mitkriegt, wie die Preise für Billigfleisch zustande kommen und unter welchen katastrophalen Umständen das erfolgt.« Der Chef von 320 Mitarbeitern, die in 28 Fachgeschäften arbeiten, hat seine Belegschaft fest angestellt. »Bei uns gibt es keine Werkverträge.« Der Hauptsitz der Metzgerei ist in der Gustav-Groß-Straße in der Reutlinger Siedlung Römerschanze.

Jürgen Zeeb ist seit 1984 Chef des Unternehmens, damals noch zusammen mit seinem Vater Oskar. Die Metzgerei besteht seit über 90 Jahren. Dass jetzt Werkverträge in Fleischfabriken nicht mehr möglich sein werden, sei ein wichtiger Schritt – ein Schritt, den die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten seit vielen Jahren fordert. Bislang vergebens. »Aber das ist das einzig Richtige, was die Politik machen kann, um die Situation zu verbessern. Fakt ist aber auch, dass die Zerlegebetriebe ebenfalls unter massivem Preisdruck stehen, weil ihnen die großen Discounter die Preise diktieren«, sagt Jürgen Zeeb. Die Umstände, unter denen in großen Schlachthöfen gearbeitet werde, und die Bedingungen, unter denen die Arbeiter leben und wohnen müssten, seien jedenfalls menschenverachtend. »Das ist moderne Sklavenhaltung, die die Subunternehmer der großen Fleischfabriken hier betreiben.«

»Aber da hat’s keinen Menschen interessiert«

Es handele sich seit Jahren um einen Teufelskreis, unter dem die Metzgerei-Branche leide. »Die Supermärkte und Discounter benützen Billigfleisch, um die Kunden in die Märkte zu locken – was ihnen auch gelingt. Wenn das Kilo Hackfleisch drei Euro kostet, springen die Menschen und kaufen entsprechende Mengen ein.« Unter welchen Umständen dieses Fleisch produziert werde, habe sich aber jetzt gezeigt. Es sei schon aus ethischer Sicht nicht vorstellbar, wie man ein Kilo Fleisch für drei oder vier Euro verramschen kann. »Zu diesem Preis könnten wir das Fleisch nicht einmal einkaufen, wie das in Supermärkten und Discountern verschleudert wird«, sagt Jürgen Zeeb, der wie Ludwig Failenschmid auf kurze Wege und Aufzuchten in der Nähe setzt.

Als der Gächinger Metzger, der unter anderem in der Reutlinger Markthalle eine Filiale betreibt, 1990 den elterlichen Betrieb übernahm, hatte er noch rund einhundert bäuerliche Lieferanten. Inzwischen sind es noch 35. Failenschmid kennt seine Landwirte, weiß, wie die Tiere gehalten werden. Den Transport zum Schlachthaus übernehmen seine Mitarbeiter in den allermeisten Fällen selbst. »Die Tiere sollen nicht im Stress durch die Gegend gekarrt werden.« In Wartebuchten können die Rinder dann noch einen, die Schweine zwei Tage zur Ruhe kommen – das zahle sich in Fleischqualität aus, sagt Ludwig Failenschmid.

»Wir müssen respektvoll mit den Tieren umgehen«

»Regionalität ist unsere Stärke. Wir haben zum Teil seit Jahrzehnten Landwirte, die uns mit Tieren beliefern. Ein Schweinemäster kommt beispielsweise aus Obermarchtal. Mit dem arbeiten wir schon seit 30 Jahren zusammen. Von dem bekommen wir jede Woche 70 Schweine, ein Top-Fleisch von einem Top-Unternehmen«, sagt Jürgen Zeeb. Geschlachtet wird drei Mal die Woche in Mengen in einem kleinen Regionalschlachthof. »Von Obermarchtal nach Mengen ist es eine halbe Stunde Fahrzeit. Es ist uns wichtig, dass der Transport der Tiere nicht länger als eine Stunde dauert. Diese Vorgabe können wir einhalten.«

Ludwig Failenschmid, Metzger aus Gächingen. FOTO: PRIVAT
Ludwig Failenschmid, Metzger aus Gächingen. FOTO: PRIVAT
Ludwig Failenschmid, Metzger aus Gächingen. FOTO: PRIVAT

Auch die Metzgerei Schneider in Pliezhausen setzt auf Regionalität. Sie bezieht ihr Fleisch aus Mengen, Gärtringen und Göppingen, wobei die zuletzt genannten Schlachthöfe nach Angaben von Jochen Schneider genossenschaftlich von Metzgern organisiert sind. »Dort gibt es keine Leiharbeiter«, sagt Jochen Schneider, der das seit 86 Jahren bestehende Familienunternehmen seit 2002 zusammen mit seinem Bruder Marcus führt – eine, wie er es selbst formuliert – mittelständische »ausgewachsene« Metzgerei, die auch in der Reutlinger Wilhelmstraße eine Filiale hat. Ausgewachsen deshalb, weil sein Betrieb in der Region durchaus zu den größeren zählt, dennoch aber auf regionale Vermarktung setzt. Tönnies, sagt er, sei industrielle Fleischbeschaffung, »während wir dann doch eher Manufaktur sind«.

98 Prozent des in Deutschland verkauften Fleisches kommt laut Ludwig Failenschmid aus industrieller Schlachtung. Beim Metzger kaufe nur noch die kleine Kundenschicht, die hochwertige Ware schätzt und bewusst leben will, sagt der Gächinger. In der Coronakrise sei der Umsatz zunächst »gewaltig nach oben geschnellt« und habe sich – »als die Leute merkten, dass keiner verhungern wird« – verstetigt: »Wir liegen um zehn Prozent über dem Umsatz vor Corona.« Ob sich der Tönnies-Skandal darauf weiter auswirken wird, kann Failenschmid noch nicht sagen.

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Die Metzgerei Schneider verzeichnet leicht steigende Umsätze. Wie eigentlich immer, wenn es einen Skandal in der Fleischindustrie gibt. »Doch das hält meist nicht lange an«, sagt Jochen Schneider, ein komplettes Umdenken der Verbraucher erwartet er nicht, trotz Tönnies und vieler anderer Skandale. Klare Worte findet er zu den Vorfällen in Nordrhein-Westfalen: »Das ist eine Sauerei.«

Das Tier als Rohstoff: Laut Statistischem Bundesamt haben die Schlachthöfe in Deutschland 2018 mehr als acht Millionen Tonnen Fleisch produziert – 57 Millionen geschlachtete Schweine, 3,4 Millionen Rinder, 1,1 Millionen Schafe und Lämmer sowie 1,6 Millionen Tonnen Geflügel, geschätzt zusammen 750 Millionen Tiere. »Fleisch ist viel zu billig. Es müsste doppelt so teuer sein, und die Menschen sollten halb so viel davon essen. Dann wäre das Verhältnis richtig. Fleisch ist ein wertvolles Lebensmittel, für das Tiere ihr Leben lassen. Deshalb müssen wir respektvoll mit ihnen umgehen«, sagt Jürgen Zeeb. (GEA)

Jochen Schneider von der gleichnamigen Metzgerei in Pliezhausen. FOTO: NIETHAMMER
Jochen Schneider von der gleichnamigen Metzgerei in Pliezhausen. FOTO: NIETHAMMER
Jochen Schneider von der gleichnamigen Metzgerei in Pliezhausen. FOTO: NIETHAMMER