REUTLINGEN. »Das Industriegebiet ›RT-unlimited‹ ist ein planungsrechtliches Juwel«, schwärmt Finanzbürgermeister Roland Wintzen. Weil hier vieles möglich sei. Doch warum rücken dann immer noch keine Bagger auf dem schmucken Areal an, um dort die Niederlassung eines Unternehmens hochzuziehen? Wieso ist mit dem Reutlinger Softwareunternehmen Bitbase ein Interessent bereits abgesprungen?
Kombination aus vielen ungünstigen Umständen
Bitbase-Geschäftsführer Volker Baisch erklärt gegenüber dem GEA den Rückzug: »Es ist eine Kombination aus sehr vielen ungünstigen Umständen. Sehr hohe Anforderungen zum Zeitpunkt 2021. Ein ungeeignetes erstes Energiekonzept. Dadurch Verzögerungen über Jahre hinweg. Wodurch sich die Investitionsparameter verschlechtert haben.« Bitbase habe bereits 2020 mit den Planungen für ein Gebäude begonnen. »Wir und die BEC waren die ersten, die sich für das Gelände interessierten.« Mitte 2021 präsentierte die Firma dann ihre Pläne beim Aufsichtsrat der städtischen Tochter GER Gewerbeimmobilien Reutlingen GmbH & Co. KG als Eigentümerin der Flächen. »Wir bekamen das Go«.
Bitbase wollte ein »energetisch sehr anspruchsvolles Gebäude«, auch um Fördermittel dafür zu bekommen. Dem stand laut Baisch das ursprüngliche Energiekonzept im Weg: »Das war so nicht möglich.« In den Monaten bis zum neuen Energiekonzept seien »Zinsen und Baukosten nach oben gegangen«. Erst Mitte 2024, berichtet der Geschäftsführer, »hatten wir alle Fakten auf dem Tisch, um tatsächlich unser Gebäude zu planen«. Allerdings hätte sich da schon der Bedarf des Unternehmens verändert. Mittlerweile wachse der Standort Berlin stärker als Reutlingen. Deshalb seien die Investitionsvoraussetzungen ganz andere.
Auf dem Rathaus reagiert Finanzbürgermeister Wintzen mit Bedauern auf den Bitbase-Rückzug. »Bitbase hätte sich um eine eigene Energieversorgung kümmern können«, betont er. Und: »Warum in aller Welt sollten wir etwas verzögern?«
»Wir wollen das Gebiet nicht verramschen«, erklärt Peter Wilke als Leiter des Amtes für Wirtschaftsförderung. Und weiter: »Drei Interessenten befinden sich in den Architektenplanungen.« Das bedeutet, diese Firmen haben mit der konkreten Planung für ihren Sitz in ›RT- unlimited‹ begonnen – aber eben noch keine Verträge mit der GER abgeschlossen.
Als die Stadt, also die GER, in den Jahren 2016 und 2017 das zwölf Hektar große ehemalige Willi-Betz-Areal erwerben konnte, war nach Worten des damaligen Wirtschaftsbürgermeisters Alexander Kreher von einem projektierten »richtigen Hardcore-Industriegebiet« die Rede. Konkret: Im Herzen der Stadt soll an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr produziert werden. Sechs Architekturbüros waren 2020 aufgerufen, im »Ideenteil« des Wettbewerbs eine verkehrsplanerische Betrachtung des Gesamtareals zu entwickeln.
Hintergrund: »Moderner Industriepark«
RT-unlimited soll laut Stadt die Transformation einer bisher hochversiegelten Industriefläche zu einem zukunftsweisenden »grünen« Industriepark beschreiben.
Die Kombination von klima- und energieangepassten Maßnahmen in Verbindung mit der Ansiedlung von Unternehmen aus den Bereichen Industrie 4.0, digitale Transformation, smarte Produktion, KI-Anwendungen und weiterer Zukunftstechnologien schaffe eine neue Arbeits- und Lebensumwelt inmitten der Großstadt Reutlingen. Die Entwicklung des Gebiets erfolge unter Berücksichtigung des Managements von Wasser, Umwelt, Energie, Mobilität, Bebauung im Bestand und Neubauten.
Für die zukünftigen Eigentümer beziehungsweise Mieter auf dem Areal des Industrieparks solle es zentrale Einrichtungen wie zwei Mobility Hubs mit verschiedenen Services (Bäckerei, kleiner Shop, Paketannahme, Ladestationen für E-Bikes), ein Innovations- und Infrastrukturgebäude mit zentralen Einrichtungen (Maker-Space, Kantine, Kita) sowie einen Stadtplatz mit Anbindung zur Regionalstadtbahn geben. Der Stadtplatz soll dem Areal als Anlauf- und Treffpunkt mit hochwertiger Ausgestaltung dienen und die Pocket-Parks als Aufenthalts-, Erholungs- und Aktivitätsorte. (pr)
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»Wir wollen nicht an jeden verkaufen«
Den Siegerentwurf des Kasseler Büros HHS Planer und Architekten zeichnete aus, dass er das Spannungsfeld zwischen schöner Gestaltung und industriellen Notwendigkeiten durch eine »sehr intelligente Freiraumkonzeption« auflöse: mit Einzelparzellen, in denen sich Unternehmen ansiedeln können, und mit hochwertigen, fast parkartigen Situationen im öffentlichen Raum, die jedoch »nicht in Konkurrenz treten zur industriellen Nutzung«. Diese Planungen haben bis in die Gegenwart hinein ebenso Gültigkeit wie die wirtschaftlichen Gedankengänge auf dem Rathaus.
"Der Hauptgewinn von ›RT- unlimited‹ sind nicht die Grundstückserlöse, sondern Gewerbesteuern, Arbeitsplätze, Kaufkraft – die Entwicklung des Standortes", macht Wilke deutlich. Zu "RT- unlimited" gehöre es daher, Interessenten sorgsam unter die Lupe zu nehmen: »Wir wollen nicht an jeden verkaufen«. So weit, so verständlich. Aber wieso ist das Areal acht Jahre nach seinem Erwerb immer noch eine Schotterwüste?
Diese Frage komme einer Milchmädchenrechnung gleich. Zunächst musste die Stadt diverse vertragliche Spezialitäten des Areals wie einen gordischen Knoten auflösen. Dann die bestehenden Hallen abräumen, wovon bis in die Gegenwart hinein Berge mit dem recycelten Abbruchmaterial rechts und links an der Zentralachse Max-Planck-Straße als Spuren zu sehen sind. Faktisch erreichte »RT-unlimited« die sogenannte Baureife erst Ende 2022. In diesem Jahr entwickelte sich ein anderes Drama für die Planer.
Aufgrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine und geänderter Förderrichtlinien platzte das auf Fernwärme basierende Energiekonzept des Industriegebietes. Im Juli 2023 präsentiert die GER erste Entwürfe einer auf dezentralen Wärmepumpen basierenden Versorgung. Genutzt werden soll Geothermie in Kombination mit Photovoltaik. Eigentlich sollten dann im Sommer 2024 Kalkulationen und Preise für Interessenten vorliegen. Jetzt, so Wilke, sei das Energiekonzept fertig.
»Die fixierten Preise sind schon bekannt«, sagt der Wirtschaftsförderer, »die Gremien der GER werden darüber Mitte März entscheiden«. Die Rede ist von einem Vertrag zwischen Energieversorger, der Gewerbeimmobilien Reutlingen GmbH, der Stadt und potenziellen Käufern.
Wärme und Kälte müssten Grundstückskäufer exklusiv von diesem einen Energieversorger beziehen und diesem auch die Installation von Photovoltaik auf ihren Dächern gestatten. »40 Prozent des Preises für Wärme und Kälte sind während der Vertragslaufzeit stabil«, ergänzt Wilke.
»Wir tun alles, damit es so schnell wie möglich geht«
Für Unternehmen, die über eine Ansiedlung nachdenken, ist das Energiekonzept jedoch nur ein Teil ihrer Überlegungen. Der Ball liege jetzt, betonen Wintzen und Wilke, aufseiten der Interessenten, für die es um zweistellige Millionenbeträge für Gebäude und Investitionen gehe.
»Wir tun alles, damit es so schnell wie möglich geht«, sagt der Finanzbürgermeister. In diesem Zusammenhang weist Wilke darauf hin, dass sich Geduld bei diesem Industriegebiet im Vergleich zu ähnlichen Projekten auszahle. »Nehmen Sie den Dienstleistungspark Orschel. Da haben wir 25 Jahre gebraucht, um aufzusiedeln«. Auch der Technologiepark Tübingen-Reutlingen brauchte mehr als zwei Dekaden.
Das Gelände von »RT-unlimited« verliere nicht an Wert – im Gegenteil: »Die Bodenrichtwerte sind kontinuierlich nach oben gegangen«. Selbstkritisch merkt Wintzen an, dass »man damals mit großem öffentlichen Aufschlag das Gelände erworben und damit Erwartungen geweckt hat, dass da schnell etwas passiert«. (GEA)