Logo
Aktuell Integration

Was hat der Rat der Religionen Reutlingen in fünf Jahren erreicht?

Drei »R« für ein Halleluja: Seit fünf Jahren gibt es den Rat der Religionen Reutlingen, der zehn Kirchen und Glaubensrichtungen verbindet. Und seit zehn Jahren das Friedensgebet.

Dimitrios Katsanos, Vera Stokic, Frieder Leube, Yusuf Celep und Bernhard Bosold (von links) stellen die Errungenschaften des Reu
Dimitrios Katsanos, Vera Stokic, Frieder Leube, Yusuf Celep und Bernhard Bosold (von links) stellen die Errungenschaften des Reutlinger Rats der Religionen vor. Foto: Claudia Reicherter
Dimitrios Katsanos, Vera Stokic, Frieder Leube, Yusuf Celep und Bernhard Bosold (von links) stellen die Errungenschaften des Reutlinger Rats der Religionen vor.
Foto: Claudia Reicherter

REUTLINGEN. Dimitrios Katsanos, Frieder Leube, Yusuf Celep und Bernhard Bosold stehen für unterschiedliche Konfessionen. Die sind so unterschiedlich, dass ihre Vertreter im Lauf der Weltgeschichte schon unzählige Male aneinandergerieten und zum Teil bis heute im Hintergrund von Kriegen und Bürgerkriegen stehen. Erzpriester Katsanos stammt aus der Mittelmeerregion Epirus und vertritt die Griechisch-orthodoxe Kirche. Leube ist evangelischer Pfarrer im Ruhestand und war viele Jahre Geschäftsführer der Evangelischen Bildung Reutlingen. Celep ist muslimischer Theologe und Imam der Yunus-Emre-Moschee. Und Bernhard Bosold ist Katholik, der sich seit seiner Pensionierung als Lehrer in Deutschkursen für die Integration von Flüchtlingen einsetzt. Im Rat der Religionen Reutlingen (RRR) sind sie mit sechs weiteren Glaubensgemeinschaften vereint. Und das schon seit fünf Jahren.

Die vier Männer bilden den Sprecherrat der Vereinigung: Leube als Sprecher, Celep als sein Vize, Bosold als Schriftführer und Katsanos als Herr über die Zahlen. »In einem Verein wäre das der Vorstand«, erklärt Frieder Leube. Zur Rückschau auf das bisher Erreichte ist auch Vera Stokic ins Matthäus-Alber-Haus gekommen. Sie repräsentiert für die Stadt Reutlingen das Amt für Integration und Gleichstellung und ist wie auch der Erste Bürgermeister Robert Hahn von Verwaltungsseite in beratender Funktion Mitglied im Rat.

»Der Zusammenhalt erwies sich bereits als belastbar genug, um sensiblere Themen aufzugreifen«

Einen entsprechenden Gesprächskreis gibt es schon seit elf Jahren. Das »verbindliche Gremium« trat erstmals kurz vor der Corona-Pandemie im Februar 2020 zusammen. Den Anstoß hatte eine Initiative des Sozialministeriums unter Manne Lucha und der Stiftung Weltethos gegeben. Deren Ziel: interreligiösen Dialog, gemeinsame Werte und gesellschaftspolitisches Engagement fördern. Und damit letztlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt steigern. Ein Jahr dauerte allein der Prozess, um die Satzung zu erstellen.

Das hat sich gelohnt, sind die vier jeweils auf zwei Jahre gewählten Repräsentanten überzeugt: Ohne sie gäbe es »eine gewisse Zusammenarbeit« der christlichen Kirchen in Reutlingen mit den Moscheevereinen und jüdischen Gemeinden nicht. Zu den im Rat vertretenen evangelischen Methodisten und der Neuapostolischen Gemeinde kommen nämlich auch noch die Israelitische Religionsgemeinschaft, der Verein Ahmadiyya Muslim Jamaat, die Internationale Islamische Gemeinschaft und die Baha'i-Gemeinde, eine auf Abraham zurückgehende monotheistische Weltreligion. Durch den RRR sei zudem schon »viel Vertrauen gewachsen«, sagt Leube. Und der Zusammenhalt erwies sich bereits als belastbar genug, »auch wenn es um sensiblere Themen geht«, fügt Bosold hinzu. Dazu gehört neben dem Israel-Palästina-Konflikt etwa das Schächten, Muezzinrufe und würdige Räume für Gebet und Gemeindetreffen.

Der Sprecherrat mit Stadtvertreterin Vera Stokic (2. von links): Erzpriester Katsanos, Pfarrer Leube, der Imam Celep und der ehe
Der Sprecherrat mit Stadtvertreterin Vera Stokic (2. von links): Erzpriester Katsanos, Pfarrer Leube, der Imam Celep und der ehemalige Religionslehrer Bosold vertreten den Rat der Religionen derzeit nach Außen. Foto: Claudia Reicherter
Der Sprecherrat mit Stadtvertreterin Vera Stokic (2. von links): Erzpriester Katsanos, Pfarrer Leube, der Imam Celep und der ehemalige Religionslehrer Bosold vertreten den Rat der Religionen derzeit nach Außen.
Foto: Claudia Reicherter

Vernetzt ist das Gremium mit mehr als 30 Initiativen im Land. Sowohl beim Landeskongress der Stiftung Weltethos als auch beim Bundeskongress der Räte der Religionen 2023 in Berlin und 2024 in Dresden waren die Reutlinger dabei. Die nächsten Städte, die über vergleichbare Einrichtungen verfügen, sind Ulm und Stuttgart. Mit seiner gemeinsamen »Stellungnahme zur Gewalt in Israel und Palästina« vom Dezember 2023 hatte der Reutlinger Zusammenschluss gar bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Credo: »Man muss nicht gegen Palästinenser sein, wenn man ein Freund der Juden ist.«

So sind die Vorstandsmitglieder »ein bisschen stolz darauf«, was sie bislang vorangebracht haben. Dazu gehören verbindliche Stellungnahmen ebenso wie Anregungen an die Verwaltung und Veranstaltungen. Als »Sprachrohr gegenüber der Öffentlichkeit« wollen Leube und seine Mitstreiter das friedliche Zusammenleben der Religionsgemeinschaften innerhalb der Stadtgesellschaft fördern. Zugunsten von Religionsfreiheit und freier Religionsausübung. »Es ist wichtig, dass wir sichtbar machen können, dass Religionen nicht in einer Art Automatismus mit Problemen und Gewalt verbunden werden.« Denn »Leute, die Gewalt anwenden, haben den Inhalt ihrer Religion nicht verstanden«. Der RRR werde gerade dann gebraucht, »wenn es darum geht, Formulierungen zu finden, die jeder mittragen kann«.

»Gemeinsamkeiten suchen, Unterschiede achten, jegliche Form von Diskriminierung vermeiden«

Jedes Mitglied verpflichte sich aufs Grundgesetz, erklärt Bernhard Bosold, und darüber hinaus für Vielfalt, Toleranz und Gewaltfreiheit, Gleichberechtigung und ökologische Verantwortung. Gemeinsamkeiten suchen, Unterschiede achten, jegliche Form von Diskriminierung vermeiden – das sind ein paar der Grundsätze, die in Themenabenden und mit bis zu 70 Teilnehmern gut besuchten interreligiösen Stadtspaziergängen aufgegriffen wurden. Über eigene Initiativen wie den »Abend der Religionen« hinaus beteiligt sich der RRR auch an öffentlichen Veranstaltungen wie Stadtfesten und der Interkulturellen Woche.

Begonnen hatte alles im Prinzip mit den Reutlinger Friedensgebeten, blickt Imam Yusuf Celek zurück. Die nahmen - bereits ein Jahr vor der großen Flüchtlingswelle - im Herbst 2014 Gestalt an. Damals besetzte Russland völkerrechtswidrig die ukrainische Halbinsel Krim und der Bürgerkrieg in Syrien forderte immer mehr zivile Todesopfer. »Es gab mehrere Dinge, wo man merkte, es wäre gut, jetzt mal was gemeinsam zu machen. Seitdem wuchs etwas zusammen«, findet Bosold. Die Idee war, »jeder betet in seiner Tradition und die anderen hören zu«, erklärt Celek. »Um ein Zeichen nach Außen zu setzen.« Als neutraler Ort hat sich inzwischen der Baum der Religionen an der Stadthalle etabliert. Momentan wird dort monatlich um Frieden gebetet, vor Weihnachten traf man sich wegen des Ukrainekriegs auch schon mal wöchentlich. In der Griechisch-Orthodoxen Kirche etwa ist Frieden »nicht nur eine Idee, sondern elementarer Teil unserer Liturgie«, erklärt Katsanos.

»Bei Spannungen kann man sich drauf einigen, dass Gewalt nicht die tiefe Seele der Religion trifft«

Auch wenn nicht jeder jede Sprache versteht: »Wir sind ein Puzzle«, sagt Katsanos, dessen mehr als 4.000 Gemeindeglieder in der Stadt oft schon seit mehr als 60 Jahren in Deutschland leben. »Man spürt, da ist dem anderen etwas heilig«, findet Bosold. Und: »Bei Spannungen kann man sich drauf einigen, dass Gewalt nicht die tiefe Seele der Religion trifft.« Daraus erwachse Verbundenheit und Vertrauen. Das zu zeigen ist Katsanos zufolge gerade jetzt, »wo man Politiker vermehrt sagen hört, dass Menschen nicht willkommen seien«, umso wichtiger.

Die Stadt hat etwa in Bezug auf muslimische Grabstätten schon die Expertise des RRR eingeholt. Auf vielfachen Wunsch hin wurden entsprechende Grabfelder auf dem Friedhof Römerschanze erweitert. Der Rat der Religionen rege Projekte an und sei bei solchen Themen »ein wichtiger Ansprechpartner, um gemeinsame Haltungen zu formulieren und zusammen Lösungen zu finden«, erläutert Vera Stokic.

Gerade Bosold als Vertreter der viel gescholtenen katholischen Kirche ist es ein Anliegen, auf die »Schönheit von Religion« hinzuweisen: in Bezug auf Texte und Gesänge, aber auch auf die Freude, die der Glaube vermittle. Das war bereits zweimal Thema bei Veranstaltungen. Zentral innerhalb des RRR seien die Werte, betont er. »Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit haben wir auf jeden Fall gemeinsam«, stimmt Katsanos zu, der auch dem Rat der Religionen Stuttgart und dem Runden Tisch der Religionen Baden-Württemberg angehört und zudem Vorsitzender des ACK des Landes Baden-Württemberg ist. (GEA)

Kommende Veranstaltungen

Der nächste »Abend der Religionen« am 8. Mai im Spitalhofsaal beschäftigt sich mit dem Thema »Gesichter der Religionen«: In Kooperation mit dem Photoclub Reutlingen wurden von neun Vertretern verschiedener Reutlinger Religionen Roll-ups zu ihrem persönlichen Glauben und Lieblingsort geschaffen.

Im Herbst will sich der Rat der Religionen in einem Themenabend der Frage widmen: »Wie verstehen wir unsere Heiligen Schriften?« Dabei gehe es etwa um den Umgang mit »dunklen und missversändlichen Stellen« in Thora, Bibel, Koran. (dia)