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Aktuell Pandemie

Was die Impfpflicht für den Gesundheits- und Pflegebereich in Reutlingen bedeutet

Ab 15. März kommt die Impfpflicht im Gesundheits- und Pflegebereich: Bei der Reutlinger Altenhilfe (RAH) und am Keisklinikum Reutlingen sind rund zehn Prozent Impf-Verweigerer.

Der Impfnachweis gewinnt für bestimmte Berufsgruppen an Bedeutung.  FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA
Der Impfnachweis gewinnt für bestimmte Berufsgruppen an Bedeutung. FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA
Der Impfnachweis gewinnt für bestimmte Berufsgruppen an Bedeutung. FOTO: ZACHARIE SCHEURER/DPA

REUTLINGEN. Wenn sich Beschäftigte im Gesundheits- oder Pflegebereich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen möchten, könnten sie schon bald ihren Job verlieren. Denn ein im Dezember vergangenen Jahres beschlossenes Bundesgesetz schreibt eine Impfpflicht für diese Beschäftigten vor. Bis zum 15. März müssen entsprechende Nachweise beim Arbeitgeber vorliegen.

Die Reutlinger Altenhilfe (RAH) ist mit über 500 Mitarbeitenden die größte Pflegeeinrichtung Reutlingens. Die Impfquote liegt bei etwa 90 Prozent, berichtet RAH-Geschäftsführer Timo Vollmer. In den vergangenen vier Wochen sei die Zahl der Geimpften wegen des näher rückenden Stichtags noch mal nach oben gegangen. Von den rund 50 Ungeimpften hätten 15 bis 20 Personen medizinische Gründe, sich nicht immunisieren zu lassen. Die Motive beim kleinen Rest seien so vielfältig wie bei allen Impfgegnern – Angst, das Gefühl der Bevormundung, »und bei manchen geht’s ums Prinzip«.

Ende Januar und Ende Februar bietet die RAH unternehmensintern Impfungen samt Beratung durch den Betriebsarzt an, damit die Unentschlossenen die Möglichkeit haben, sich noch vor Ablauf der Frist immunisieren zu lassen. »Ich kann nur an alle appellieren, sich das gut zu überlegen und das in Anspruch zu nehmen«, sagt Vollmer, »ich baue da ganz stark auf die Bereitschaft der Mitarbeiter.« Er geht davon aus, dass am Ende die Zahl der Verweigerer an zwei Händen abzuzählen ist. Personell wäre das zu kompensieren – zumal die Impfpflicht nicht nur für das examinierte Pflegepersonal, sondern alle Unternehmensbereiche gelte.

»Nur mit der allgemeinen Impfpflicht kommen wir raus aus der Pandemie«

Bis zum 15. März müssen die Immunisierungs-Nachweise vorliegen. Mitarbeiter, die nicht geimpft oder genesen sind, muss die RAH dem Gesundheitsamt melden. Die Behörde verhängt dann ein Betretungsverbot für die jeweilige Einrichtung, die Betroffenen dürfen ab dem 16. März dort nicht mehr eingesetzt werden. Die unbezahlte Freistellung ist die Folge. »Das heißt nicht per se Kündigung«, stellt der RAH-Geschäftsführer klar, »zumal die Impfpflicht nur befristet bis Jahresende gilt.«

Dass andere Unternehmen wie der private Anbieter Benevit, der seinen Sitz in Mössingen hat, vorpreschen und ungeimpfte Mitarbeiter schon jetzt freistellen, sieht Vollmer kritisch. »Dafür fehlt die rechtliche Grundlage.« Außerdem ist er überzeugt, dass »ungeimpfte Mitarbeiter nicht per se Treiber des Infektionsgeschehens in der Altenhilfe sind«. Er verweist auf die FFP2-Maskenpflicht während der gesamten Pandemie, regelmäßige Infektionsschutz-Schulungen, Hygieneschleusen und andere Sicherheitsmaßnahmen beim Kontakt mit positiv getesteten Bewohnern, tägliche Testungen der ungeimpften Mitarbeiter, der geimpften oder genesenen dreimal wöchentlich. »Aber bis November 2021 durften Besucher ohne Maske zu den Bewohnern. Aus Infektionsschutz-Sicht war das bedenklich.« Auch bei der RAH habe es Covid-19-Fälle gegeben, »Gott sei Dank« aber keine schweren Verläufe. Die Booster-Rate bei den Bewohnern liegt laut Vollmer bei über 90 Prozent.

Zur begrenzten Impfpflicht für das Personal im Gesundheits- und Pflegebereich hat der RAH-Geschäftsführer eine klare Meinung: »Ich halte das für Symbolpolitik, dadurch gibt es nicht mehr oder weniger Infektionen.« Die Politik habe sich nicht getraut, eine allgemeine Impfpflicht einzuführen. Aber nur damit, so Vollmer, »kommen wir raus aus der Pandemie«.

Laut Sabine Steininger, Pressesprecherin der Bruderhaus-Diakonie, ist »in unseren Einrichtungen deutlich zu spüren, dass Bewohnerinnen und Bewohner sowie Mitarbeitende überwiegend geimpft beziehungsweise geboostert sind«. So seien in den meisten Einrichtungen mehr als 80 Prozent der Mitarbeitenden immunisiert, also geimpft, alternativ genesen. Der Vorstand habe mit einem Schreiben alle Mitarbeitenden über die gesetzlich vorgeschriebene und einrichtungsbezogene Impfpflicht informiert. »Wir gehen davon aus, dass der überwiegende Teil der Mitarbeitenden der Verpflichtung nachkommt.« Die Bruderhaus-Diakonie betreibt in der Region Reutlingen 15 Pflege- und Fachpflegeheime mit rund 750 Pflegeheimplätzen.

In den drei Häusern der Reutlinger Kreiskliniken liegt die Impfquote aktuell je nach Bereich zwischen 84 und 95 Prozent – Tendenz steigend, aber dennoch deutlich von 100 Prozent entfernt. Die absehbaren Konsequenzen liegen bleischwer auf dem Schreibtisch von Kathrin Bahnmüller, der Leiterin für die Bereiche Personal und Recht. »Wir sind dazu verpflichtet, alle Mitarbeiter, die keinen Impf- oder Genesenen-Nachweis oder ein von der Impfpflicht befreiendes ärztliches Attest vorlegen können, nicht mehr zu beschäftigen«, sagt die Managerin.

VOM BUNDESTAG BESCHLOSSEN

Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal

Der Bundestag hat am 10. Dezember 2021 den gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie beschlossen. Er sieht vor, dass in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen Covid-19 besitzen müssen. Dem Personal in Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, komme eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Infektionsrisiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf habe. In namentlicher Abstimmung stimmten nach kontroverser Debatte 569 Abgeordnete für den Gesetzentwurf, 79 lehnten ihn ab. Es gab 38 Enthaltungen. (GEA)

Dabei mache das Gesetz keinen Unterschied, wo oder wie die Ungeimpften oder Nicht-Genesenen in den Kreiskliniken arbeiten. Ob nahe am Patienten, oder nicht, spielt keine Rolle. Deswegen bemühe man sich, möglichst viele zur Impfung zu bewegen. »Wir haben nochmals alle Mitarbeiter über das Intranet und die Mitarbeiter-App angeschrieben, möchten mit Argumenten überzeugen«, betont Bahnmüller, »ich gehe von deutlich unter fünf Prozent aus, die keinen der geforderten Nachweise vorlegen.« Was bedeutet das konkret für die Personalsituation an den Kreiskliniken?

»Beschäftigte ohne Nachweis werden erst mal ohne Lohnfortzahlung freigestellt. Dann würde eine Aufhebung des Arbeitsvertrages oder eine Kündigung im Raum stehen«, blickt die Juristin in die Zukunft. Fünf Prozent weniger Personal zu haben, wo Mitarbeiter im Gesundheitswesen ohnehin Mangelware sind, wäre sehr bedauerlich.

»Wir haben Pläne dafür«, versichert Bahnmüller, »ich mag aber nicht ausschließen, dass es an der einen oder anderen Stelle einen Engpass gibt.« Was sie ausdrücklich ergänzt, ist der Satz: »Die Patientenversorgung ist sichergestellt.« Im Bezug auf die allgemeine Diskussion meint sie dann noch, »eine allgemeine Impfpflicht würde das Thema bei uns entschärfen«. (GEA)