Logo
Aktuell Gericht

Was Beamte beim Reutlinger Reichsbürger noch gefunden haben

Der Stuttgarter Prozess gegen den Reutlinger Reichsbürger ist fortgesetzt worden: Die Wohnungsdurchsuchung und die Analyse des Schusswechsels bringen neue Details ans Licht.

Großes Polizeiaufgebot bei der Reichsbürger-Razzia.
Großes Polizeiaufgebot bei der Reichsbürger-Razzia. Foto: Steffen Schanz
Großes Polizeiaufgebot bei der Reichsbürger-Razzia.
Foto: Steffen Schanz

STUTTGART/REUTLINGEN. In Stuttgart-Stammheim ging der Prozess um den mutmaßlichen Reichsbürger aus Reutlingen in die nächste Runde. Es ist nur einer von vielen Prozesstagen, an denen das Gericht versucht, die Person Markus L. zu durchschauen. Denn der Mann, der im März 2023 in seiner Wohnung das Feuer auf SEK-Beamte eröffnete, verweigert nach wie vor jegliche Aussagen – und verzieht noch nicht einmal eine Miene.

Brille, schwarzer Pullover und ein gepierctes Ohr: Ganz entspannt wirkt der Reutlinger, der neben seinen acht Mitangeklagten auf der Bank im Stammheimer Gerichtssaal sitzt. Sie alle sollen Teil der Reichsbürger-Gruppe um Prinz Reuß sein und konkret geplant haben, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen. Als Mitglieder »einer terroristischen Vereinigung« – so die Anklage – sei den Verfechtern des deutschen Reiches bewusst gewesen, dass die geplante Machtübernahme mit der Tötung von Menschen verbunden gewesen wäre. Der Reutlinger Markus L. hat das mit seinem Angriff auf die Beamten zumindest in Kauf genommen.

Polizei sammelte zahlreiche Beweismittel

Nachdem zuletzt Freunde, Bekannte und Arbeitskollegen zur Person des Angeklagten Markus L. ausgesagt hatten, standen diesmal der Schusswechsel und seine Folgen sowie die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung im Mittelpunkt. Nach der Festnahme des Sportschützen L. durch das SEK, wurden über 100 Beweismittel aus dessen Dachgeschosswohnung, Garage, Auto und Kellerabteil dokumentiert und beschlagnahmt, berichtet der leitende Kriminalhauptkommissar. Darunter ein Nachtsichtgerät, eine Vielzahl an Waffen und Munition, ebenso Schwerter, Morgensternwaffen und Handgranaten, Kleidung und Briefe, sowie Poster und Bücher. Letztere sorgten im Gericht vor allem bei der Verteidigung für Unruhe.

So haben Beamte mehrere szenetypische Bücher sichergestellt, darunter »Das deutsche Reich« oder »Terroranschläge unter der Lupe«: In diesem Buch habe der Kriminalhauptkommissar vor Ort zwar nur geblättert, es sei ihm aber wie eine »Art Anleitung für Terroranschläge« vorgekommen. Die Verteidigung rund um Holger Böltz und Buket Yildiz-Özdemir hält diese Aussage allerdings für überzogen und hakt ein. Immerhin sei es lediglich ein Buch, dass die Hintergründe von vergangenen Anschlägen beleuchte. Ähnlich verhält es sich wenig später auch mit einem in der Wohnung gefundenen Poster. Dieses zeigt zwei Soldaten auf einem Flugzeugträger – augenscheinlich im Einsatz. Darunter stehen die Worte »Nur der Wille zählt«. Auch hier ergreift die Verteidigung ihre Chance und nimmt den Zeugen in die Mangel.

Verteidigung über Beweismittel erbost

Denn auch dieses, vom Kriminalhauptkommissar »in bester Absicht« dokumentierte Beweismittel sei völlig nichtssagend: »Sehen Sie hier Gewalt oder sind es nicht einfach nur Soldaten auf einem Flugzeugträger?«, fragt Strafverteidiger Böltz nach mehrmaligem Hin und Her schließlich. »Wenn man bedenkt, dass es in diesem Prozess um eine Anklage, unter anderem wegen der versuchten Bildung eines militärischen Arms geht, dann ja. Es zeigt militärische Gewalt und, wie bereits erwähnt, die Affinität des Angeklagten für das Militär und Waffen«, verteidigt der Kommissar seine Meinung.

In einem später verlesenen Statement der Verteidigung wird jene Antwort des Kommissars im Zeugenstand als »gestörtes Verhältnis zur deutschen Bundeswehr und deren Soldaten« deklariert. Richter Holzhausen unterbricht indes etwaige weitere Fragen in diese Richtung und wirkt regelrecht entnervt. Das Festhalten der Verteidigung an Details scheint aus deren Sicht zielführend zu sein. Es führt aber auch dazu, dass sich der Tag im Gerichtssaal wie ein Kaugummi zieht.

Getroffener SEK-Mann trägt Langzeitschäden davon

Das untermauert auch die zweite Zeugin, die als Sachverständige Aufschluss über den körperlichen Zustand des beim Vorfall - mutmaßlich von Markus L. – angeschossenen SEK-Mannes gibt. Mehrere Kraftmessungstests ergaben deutliche körperliche Konsequenzen. So sei der rechte Arm, der bei dem Schusswechsel getroffen wurde, sowohl sichtbar als auch nachweisbar deutlich schwächer als der Linke. »Durch die enorme Kraftminderung kann der Beamte nicht mehr richtig trainieren und auch seinen Hobbys, wie Tennis spielen oder Klettern, nicht mehr nachgehen«, führt die Gutachterin aus.

Im Allgemeinen habe der Arm »ohne vernünftigen Zweifel als Folge der Verletzung« eine leichte Fehlstellung, die nicht mehr reparabel sei. »Als SEK-Mann muss man schwer tragen, schnell schießen und arbeiten … Aus meiner Sicht ist das dauerhaft nicht mehr möglich«, schätzt sie die berufliche Zukunft des SEK-Beamten ein. Während der gesamten Darlegung scheint der Angeklagte konzentriert zu lauschen. Wer allerdings auf eine Expression oder gar eine Reaktion gehofft hatte, wurde abermals enttäuscht. Das Pokerface des Sportschützen bleibt bestehen.

Unklare Schusswechsel-Analyse

Zuletzt steht der Schusswechsel auf der Agenda. Wie viele Schüsse sind gefallen? Wie viele davon aus der Waffe des Tatverdächtigen und wie viele aus einer Dienstwaffe? Zu diesen Fragen liefert ein Sachverständiger des Bundeskriminalamts, genauer gesagt der Audioforensik, Antworten – vermeintlich. Seinen Analysen nach seien insgesamt 23 Schüsse gefallen. Dies könne anhand von sogenannten Knallimpulsgeräuschen belegt werden, die mittels Ton- und Videoauswertungen der Bodycams darstellbar gemacht werden konnten.

Demnach sei rund viereinhalb Minuten nach dem ersten Knallimpulsgeräusch (was der Türöffnung zugeordnet werden könne) das Feuer eröffnet worden. »Es sind im Abstand von einer Sekunde, oder darunter, Schüsse gefallen«, erklärte der Analyst. Insgesamt sollen es 23 gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft hat Fragen, denn bei der Durchsuchung der Wohnung seien 26 Hülsen gefunden worden: Davon – so die Vermutung – zehn von der Tatwaffe und 16 von Dienstwaffen stammend. »Wo sind also die restlichen drei Schüsse geblieben?«, zeigt sich der Vertreter der Anklagebehörde sichtlich verwirrt.

Der Sachverständige erklärt, dass keines der Knallimpulsgeräusche zu 100 Prozent als Schuss identifiziert, geschweige denn einer Waffe zugeordnet werden könne. Auch sei es möglich, dass sich Geräusche überlagern. Viel Gerede und wenig Konkretes später ist allen klar: Es handelt sich lediglich um Hypothesen, mit relativ hohen Wahrscheinlichkeiten. »Festhalten kann man, dass die gezeigten Ergebnisse nicht beweisen, dass der Schuss, der letztlich zu Verletzungen führte, von der Tatwaffe stammt. Im Gegenteil: Es wurde gezeigt, dass der Treffer auch von einer Dienstwaffe gekommen sein könnte.« Dieser Prozesstag und das Vergraben in Details geben einen Ausblick darauf, wie lange sich der Mammutprozess noch hinziehen wird. (GEA)