REUTLINGEN. »Es geht nicht um einen Rettungsaufruf. Es geht um eine Traueranzeige«, beschreibt Kai Essig als Geschäftsführer die Fakten: Das Café Nepomuk wird schließen. Vielleicht noch im Dezember, möglicherweise erst im Januar. Einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Reutlingen hat die das Café betreibende SOKI GmbH (Gesellschaft zur Förderung soziokultureller Initiativen mbH) bereits gestellt. Diese Tatsache nimmt nicht nur ihn und alle anderen hier arbeitenden Menschen sichtlich mit. Auch viele Gäste und Organisationen, die sich mit der selbstverwalteten Institution verbunden fühlen, sind traurig. Denn das Nepomuk war in den vergangenen über 40 Jahren immer mehr als irgendein Café. Wie konnte es so weit kommen?
»Wir sind ein Teil des Gastronomiesterbens. Ein Opfer von gestiegenen Lebensmittelpreisen, unfassbaren Energiekosten. Am Allerschlimmsten war die Mehrwertsteuererhöhung – die hat uns wirklich das Genick gebrochen«, beginnt Essig aufzuzählen.
»Wir sind komplett am Ende, wirklich fertig«
Explodierende Kosten und Preise hätten auch deswegen so verheerend gewirkt, "weil wir seit der Coronazeit keinerlei Rücklagen haben". Apropos Pandemie: "Wir mussten auch viele Rückzahlungen für Coronahilfen leisten". Das liebevoll von seinen Gästen stets nur "Nep" genannte Lokal ist eben noch nie ein gewinnorientiertes Unternehmen gewesen, das fett Kasse machen wollte. Stattdessen wurde Kultur und Gesellschaftspolitik gemacht. Doch ohne Moos ist auf Dauer selbst bei den edelsten Zielen und Werten nix los, »Wir sind komplett am Ende, wirklich fertig«, so Essig. "Wir können seit zwei Jahren einen Gefrierschrank im Keller nicht reparieren", nennt der Geschäftsführer ein Beispiel für die Folgen ständiger Zahlungen ohne entsprechend steigende Einnahmen in der klammen Kasse, "es sind verdammt viele Sachen". Dabei schaut Essig richtig verzweifelt. Sich selbst eingestehen zu müssen, dass es einfach nicht mehr weiter geht, ist für ihn und alle anderen Kolleginnen und Kollegen mehr als schlimm. "Wir haben immer irgendwie geschoben", erklärt der Geschäftsführer.
»Wir haben unser Leben hier reingesteckt«
Dabei sei eine kritische Geschäftslage keine Neuigkeit für das Projekt. »Als das achtköpfige Kernteam vor etwa zwei Jahren aufhörte, stand schon einmal das Ende des Nepomuks an«. Die folgende Generation habe wirklich alles daran gesetzt, den Laden am Laufen zu halten. Die ganze Trauer und Fassungslosigkeit der Menschen im selbstverwalteten Betrieb packt Essig in einen Satz: »Seit zweieinhalb Jahren haben wir unser Leben hier komplett reingesteckt«. Das habe leider nicht gereicht. »In dieser Welt kann so etwas wie das Nepomuk nicht mehr existieren«, sagt Essig voller Bitterkeit.
Am Zuspruch der geschätzten Gäste habe es höchstens teilweise gelegen. »Wir hatten etwas weniger Kundschaft beim Mittagstisch, aber es gab keinen Einbruch«. Wobei das täglich wechselnde Menü »raffiniert zubereitet, rein vegetarisch und oft auch vegan und glutenarm« ein Teil der Tragik dieser Gastronomie in Selbstverwaltung verdeutlicht. Gekocht wird in der Küche mit anständigen Zutaten »überwiegend aus regionalem und biologischem Anbau«. Solche Lebensmittel sind keine Schnäppchen, sondern gehen richtig ins Geld. Deswegen, gibt der Geschäftsführer offen zu, »waren wir wahrscheinlich zu billig. Wir hätten teurer werden müssen«. Insgesamt stellt er beim Blick in die Bücher fest, »man kommt mit dem Weiterreichen der Kostensteigerungen über Preise an die Kunden nicht hinterher«.
Rückblick auf 40 Jahre
Erst vor rund einem Jahr, im August 2023, hat das Café Nepomuk seinen 40. Geburtstag gefeiert. In einem großen Rückblick erzählten Menschen, die sich hier in mehreren Generationen engagiert haben, dem GEA, wie das Projekt damals entstanden ist, welche Hürden es immer wieder genommen hat – und vor allem, welche Werte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kollektivs in Arbeit und Leben stets wichtig gewesen sind. Weitere Infos zum Projekt stehen auf der Website des Nepomuk selbst. (zen)
War es Missmanagement im selbstverwalteten Betrieb? Das könne man so nicht sagen, »weil das Nepomuk nichts für die Umstände kann«. Wobei Essig selbst den Eindruck vermittelt, mit sich selbst und seiner Arbeit als Geschäftsführer zu hadern. Diese Frage, ob man etwas hätte besser machen können, bewege ihn. An den Gehältern der 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Hälfte davon als Minijobber angestellt, kann die finanzielle Schieflage keinesfalls gelegen haben: Seit Jahren gibt es für die Menschen hinter der Theke oder im Gastraum und Küche lediglich ein Gehalt knapp über dem Mindestlohn. Als sozialer Arbeitgeber seien der SOKI GmbH laut Essig immer faire Arbeitszeiten und auskömmlich besetzte Schichten wichtig gewesen. Die Analyse der Ursache endet daher ohne den einen großen Schuldigen.
»Wir brauchen dringend Einnahmen«
Anfang Dezember hat Kai Essig den Insolvenzantrag beim Amtsgericht Reutlingen gestellt. "Ich will auf jeden Fall die Liquidation der SOKI GmbH haben", erklärt der Geschäftsführer, »Wir brauchen dringend Einnahmen«. Es wäre ein sauberer Schnitt für einen wie auch immer gearteten Neuanfang. Die Randbedingungen sind keinesfalls hoffnungslos.
Die Immobilie, das ehemalige Kino der französischen Garnison, gehört der Stadt Reutlingen. Pächter ist das Kulturzentrum franz.K, das Nepomuk der Unterpächter. Eine Sanierung der Räume ist von der Stadt seit längerer Zeit geplant. Aus dem Rathaus schickt Pressesprecherin Sabine Külschbach den hoffnungsvollen Satz: »Die Stadt ist mit dem franz.K im Gespräch, um gemeinsam zu überlegen, wie die künftige Nutzung aussehen könnte«. Das würde sehr passen.
»Das franz.K hat uns immer unterstützt«
»Das franz.K hat uns immer unterstützt«, bedankt sich Geschäftsführer Essig, »es war eine wundervolle kollegiale Partnerschaft«. Unterdessen sorgt die Nachricht vom bevorstehenden Ende des Nepomuk für viel Traurigkeit bei ganz vielen. »Wir haben soeben mit großer Erschütterung, ja Entsetzen erfahren, dass das Café Nepomuk geschlossen wird«, schreibt Fabienne Cevey-Schlegel von den Reutlinger »Parents for Future« in einer Mail an die Stadtverwaltung, die dem GEA vorliegt. Dann spricht Schlegel Generationen von Gästen aus der Seele, wenn sie die besonderen Vorzüge dieser Institution auflistet: Menschliche Toleranz für alle möglichen Gruppen. Ein erschwinglicher Mittagstisch. Kinderfreundlichkeit vom kleinen Spielplatz bis zur Kinderecke im Restaurant. Ein Ort, wo man vor oder nach einem Kulturabend im franz.K noch gemütlich zusammensitzen konnte. Kathleen Hofacker aus Sonnenbühl schreibt in einer Mail an den GEA, »das Nep ist ein beliebter Ort für Veranstaltungen. Ob Brunch, Silvesterparty, Sommerfest oder anderweitige etwa musikalische Veranstaltungen. Das Nep ist immer einen Besuch wert«. Kai Essig erzählt, manche seiner Stammgäste würden die Tränen kommen, »denn dass es jetzt wirklich vorbei ist, ist für manche ein Schock«. (GEA)