REUTLINGEN. Ja, wo bleiben sie denn? Samstagabend, 22.30 Uhr: Das Publikum wartet auf einem Supermarktparkplatz an der Föhrstraße auf Autoposer. Jüngst hat eine ZDF-Reportage den Ort vor den Schaufenstern von Klamottenhändlern, Schuhdiscounter, Drogerieladen und Supermarkt gezeigt. Im Film mit dem Titel »Tatort Straße« schwärmen junge Männer von ihren hochmotorisierten Karossen. Sie wollen Spaß und geben Gas. Gummistreifen von breiten durchdrehenden Reifen sind noch auf dem Reutlinger Asphalt zu sehen, nicht aber die Autoposer. Wie dem auch sei, die Parkplatz-Party steigt auch ohne sie.
Nach einem heißen Sommertag entwickelt sich das Areal erst ab 22 Uhr zum Schauplatz. Gewartet wird offenbar auf Autos mit durchdrehenden Reifen, Vollgasfahrten, Drifts oder andere Vorführungen von Autoposern. Die Polizei ist ohne Tatü-Tata schon da. Drei Streifenwagenbesatzungen haben durch heruntergelassene Fenster alles im Blick. Der Parkplatz füllt sich erst bei Einbruch der Dunkelheit. Dennoch scheint kein Weg zu weit zu sein, um hier vorbeizufahren. Das Alphabet der Kennzeichen umfasst erheblich mehr als nur RT oder TÜ. Es reicht von Ahrweiler über Böblingen und Biberach sowie Esslingen und Stuttgart bis nach Zürich.
»Das es in Reutlingen solche Treffpunkte gibt, ist bekannt. Das Phänomen ist im Wachsen begriffen«, sagt Ordnungsamtsleiter Albert Keppler. Klarer Fall, der Platz ist nicht nur aus dem Fernsehen bekannt, sondern die Szene lebt vor allem in sozialen Medien.
BMW, Mercedes AMG und Audi RS reichlich vertreten
Das Smartphone im Anschlag, sitzen mehrheitlich Männer in Mobilen, die meistens ganz serienmäßig als sportliche Autos zu erkennen sind. BMW ist reichlich mit seinen M-Modellen vertreten. Jede Menge Mercedes-Modelle mit den drei Buchstaben der Sportlinie AMG sind da. Dazu einige Audi RS und diverse Asiaten in den Geschmacksrichtungen breiter, tiefer, teurer. Was die alle unter der Motorhaube haben, würde locker ausreichen, jedes Tempolimit dieser Welt im ersten Gang zu pulverisieren.
Jetzt stehen sie entweder auf dem Parkplatz oder im Stau. Es passiert - nix! Keine durchdrehenden Räder, keine aufheulenden Motoren, keine Poser. Gibt's hier wenigstens Wagen, deren Eigentümer aus normalen Blech etwas ganz Besonders gemacht haben?
Der Blick fällt auf einen gut erhaltenen Chevrolet Camaro Z 28 am Rand. Ah, das ist ein amerikanischer Sportwagen aus den 70er-Jahren. Das Ding verkörperte zu erschwinglichen Preisen mittlerweile in Vergessenheit geratene Prinzipien des US-Autobaus: Hubraum ist durch nichts zu ersetzen. Mehrere hundert PS sind angebracht. Ein Achtzylinder sollte es schon sein. Der Rest ist Nebensache. Herrlich steht er da mit seinem Metalliclack und Breitreifen sowie - ein echter Hingucker - blauer Unterbodenbeleuchtung. Dafür interessiert sich auch die Polizei - mehrfach. Nachdem die Vorschriftsmäßigkeit der Illumination geklärt ist, hat der Eigentümer Zeit für ein Fachgespräch.
»Mein Vater hatte früher den gleichen. Ich wollte den Vibe auch fühlen«, sagt Tobi, der als DJ Chico-Enrico im Großraum Stuttgart auflegt. Beruflich ist er Lastwagenfahrer, ansonsten »Hobbyschrauber«. Was ist Vibe? Klar, wenn der Achtzylinder des Camaro mit seinen 450 Pferdestärken läuft, dann vibriert es ganz entzückend. Es ist sein zweiter Camaro, erzählt Tobi, und die Maschine hat nur 3.500 Kilometer auf der Uhr - praktisch erst gerade frisch eingefahren. Der Deckel des riesigen Luftfilters strahlt verchromt. »Den habe ich original gekauft und den Motorumbau gemacht«, verrät er. Dazu betont der DJ, »wir gehören nicht zur Autoposer-Szene. Wir sind hier zum ganz entspannten Chillen«. So wie die anderen freundlichen Menschen.
»Wir spielen hier Spiele mit unseren frisch gefundenen Freunden und warten auf die guten Autos«, sagt der 21 Jahre junge Ben. Welche Autos er damit meint? »Alles, was gut selbstgemacht ist«. Neben Ben sitzen zwei junge Frauen vergnügt auf mitgebrachten Klappstühlen. In deren Seitentaschen: erfrischende Limonade. Rute, 22 Jahre und wie die anderen aus Nürtingen, »will einfach nur chillen«. Automobile interessieren die Frau durchaus. Sie ist ganz stolz auf ihren Scirocco, dessen tiefblauer Metalliclack im Licht der Straßenlaternen strahlt.
Polizei rückt mit Hunden an
Das Grüppchen erzählt, die Polizeipräsenz störe sie nicht - als die Ordnungshüter aber mal mit Hunden anrückten, hätte das für mulmige Gefühle gesorgt. Die Stimmung ist auf dem gesamten Parkplatz, den die Polizei teilweise mit rot-weißem Flatterband abgesperrt hat, absolut friedlich und alkoholfrei. Wenn etwas neben der Straße liegen bleibt, dann leere Flaschen von »Müller-Milch High Protein« mit Mangogeschmack oder »Redbull«-Büchsen.
Gegen Mitternacht wird die Autoschlange auf der Föhrstraße immer länger, also ob jemand zum Aufbruch geblasen hätte. In einem hochmotorisierten Mercedes sitzen zwei Jungs. Nachdem geklärt ist, dass der Typ mit dem Block von der Presse und nicht etwa ein Zivilpolizist beim Notieren ihres Kennzeichens ist, werden sie gesprächig. »Die Polizei sperrt den Parkplatz. Dann fahren wir eben zum nächsten«. Vielleicht sind die Autoposer ja an einer Tankstelle in Metzingen? (GEA)
Was die Polizei meldet
Seine Bilanz der Nacht hat das Polizeipräsidium Reutlingen in einer Polizeimeldung veröffentlicht: »Das Polizeipräsidium Reutlingen hat in der Nacht zum Sonntag verstärkte Verkehrskontrollen durchgeführt. Hierbei standen insbesondere die Tuner- und Posingszene im Fokus der Beamten. Die Kontrollen fanden hauptsächlich auf Parkplätzen in Industriegebieten sowie Schnellrestaurants in Reutlingen, den umliegenden Stadtteilen aber auch in angrenzenden Städten und Gemeinden statt. Bei zahlreichen Kontrollen stellten die Polizisten unter anderem an insgesamt 16 Fahrzeugen Mängel oder technische Veränderungen fest, die zum Erlöschen der Betriebserlaubnis führten. Zudem wurden jeweils zwei Verstöße wegen Kennzeichenmissbrauchs und gegen das Pflichtversicherungsgesetz sowie einmal wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis festgestellt und geahndet. Neun Pkw-Lenker wurden wegen unnötigen Verursachens von Lärm zur Anzeige gebracht. Die Kontrollen werden in Zukunft fortgesetzt.« (pol)