REUTLINGEN. Es kommt erneut Bewegung in die Diskussion um die Umweltspur auf der B464, die in Reutlingen zum Politikum und gleichzeitig zum Kuriosum geworden ist. Viele Menschen beschäftigt diese außergewöhnliche Verkehrsführung und ein GEA-Leser fragte konkret: Wann wird die Fahrspur dauerhaft für den Verkehr geöffnet? Wann das sein wird, kann gegenwärtig niemand sagen.
Die Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler (FWV) hat aber jetzt einen Vorstoß in diese Richtung gemacht. In einem aktuellen Antrag an Oberbürgermeister Thomas Keck will sie wissen, ob die Spurreduzierung überhaupt noch sinnvoll ist. Gleichzeitig beantragen sie die Sperrung ab sofort für sechs Monate auf Probe aufzuheben. Die FWV begründet ihren Vorstoß damit, dass die Stickstoffdioxidwerte (NO²) unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm lägen. Es sei ein »sehr guter Luftqualitätsindex« zu erkennen.
Neu ist die Argumentation nicht. Bereits im Frühjahr kam großer Druck aus dem Reutlinger Gemeinderat in Richtung Stadtverwaltung. Auch damals hieß es: Die Luft sei besser geworden, die Sperrung überflüssig. Tatsächlich gab es anschließend eine Art »Teilzeitfreigabe« der Lederstraßenspur. Seit dem 19. April ist sie zwischen 15.30 und 18 Uhr von montags bis freitags für den Verkehr geöffnet.
Bekanntlich müssen die Verkehrsteilnehmer die rechte Spur, die irgendwann Umweltspur genannt wurde, freihalten. Dadurch, dass Fahrzeuge etwas weiter entfernt an der Messstation vorbeifahren, sollten die Messwerte für Stickstoffdioxide (NO²) an dieser viel befahrenen Stelle verbessert werden.
Oberster Entscheider: das Regierungspräsidium Tübingen
Schon von Beginn an war klar: Es ist nicht allein die Stadt, die hier über Freigabe und Sperrung entscheiden kann. Denn das Ganze ist Teil des sogenannten Luftreinhalteplans und das Regierungspräsidium Tübingen (RP) ist verantwortlich für dessen Einhaltung, damit Diesel-Fahrverbote verhindert werden können.
Die Stadtverwaltung antwortete auf Nachfrage des GEA, dass der Antrag der FWV eingegangen sei und geprüft werde. Gleichzeitig verwies eine Sprecherin darauf, dass es bestimmt auch der Gemeinderatsfraktion der Freien Wähler bekannt sei, dass die Stadt Reutlingen keine Beschlüsse in Sachen Umweltspur fassen könne, ohne dass das Regierungspräsidium Tübingen zustimme.
Aktuelle Messwerte niedrig
Außerdem teilte Mario Zimmermann, Leiter der Task-Force Klima und Umwelt bei der Stadt Reutlingen, mit, dass sich die Messwerte für Stickstoffdioxide (NO²) an der Lederstraße verbessert hätten, trotz der zeitweisen Öffnung der Umweltspur an Nachmittagen. Die NO²-Belastung liege aktuell bei 28,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Dafür gebe es drei Gründe: Der Verkehr sei im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit nicht gewachsen, das Wetter habe die Messwerte begünstigt und neue Verbrenner würden weniger Schadstoffe ausstoßen. Hinzu käme auch die wachsende Zahl an E-Autos.
Eine Sprecherin der Stadt sagte, jetzt müssten die Messwerte für das Jahr 2023 gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Tübingen angesehen und bewertet werden. Erst dann könnte die Tübinger Behörde entscheiden, ob die Spur dauerhaft geöffnet werden könnte.
Grenzwert kann auch künftig unterschritten werden
Mario Zimmermann zeigte sich zuversichtlich, dass der NO²-Grenzwert trotz kompletter Öffnung künftig unterschritten werden könne. Er wies aber auch darauf hin, dass sich die Luftqualität in der Lederstraße nach der zeitweisen Öffnung der rechten Spur insgesamt und unabhängig vom NO²-Wert »leicht verschlechtert«.
Die Umweltspur hatte es zwischenzeitlich sogar in die TV-Satiresendung »extra 3« geschafft. Die Reutlinger Spursperrung wurde so bundesweit zum Thema und sollte dem Publikum zeigen, »welche Blüten Lokalpolitik bisweilen hervorbringen kann«. Wie die Stadtverwaltung mit der Sperrung einer Spur an der Luftmessstation für bessere Werte sorgen wollte (und weiter will), um einem Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge zu entgehen vorbeizukommen. Als »realer Irrsinn« wurde die Regelung seinerzeit bezeichnet.
Unbestritten bleibt: Das Thema wird die Reutlinger Lokalpolitik weiterhin beschäftigen und dürfte auch Thema im Wahlkampf bei den Kommunalwahlen im kommenden Jahr werden. (GEA)