REUTLINGEN. »Reutlingen 2029 – Wie packst Du die Mobilitätswende an?« Mit dieser Fragestellung haben sich 25 Bürgerinnen und Bürger auf Einladung der Volkshochschule Reutlingen im Rahmen der Reihe »Baustellen der Demokratie« befasst. Menschen unterschiedlicher Altersgruppen wurden per Stichprobe aus dem städtischen Melderegister ausgesucht und zum Mitmach-Forum eingeladen, das die VHS mit Stadt und BUND organisiert hat.
Was die Bürger wollen, ist in einem Zehn-Punkte-Papier zusammengefasst, das sie gestern im Rathaus Verwaltungsvertretern und einigen wenigen interessierten Stadträten vortrugen. Zentrale Forderungen darin: gute Radwege, guter ÖPNV und Konzepte, in denen jedes Verkehrsmittel seine Berechtigung findet – in einer »gesunden Mischung. Eine Mobilität, die niemanden zurücklässt, Rücksicht insbesondere auf die Schwächsten nimmt und auch mit ökologischen Belangen in Einklang steht«. Die Altstadt gehört darin weitergehend Fußgängern und Radler, der Autoverkehr ist auf das notwendige – etwa den Lieferverkehr – reduziert.
Dagmar Langeneck trug die Vision vor, in der die Mobililitätswende gelungen ist, »in einer Stadt, die den Mut hatte, die Innenstadt zu einem stark autoreduzierten Superblock zu machen«. Viele Straßen sollen zu gleichberechtigten Straßen umfunktioniert werden, auf denen auch die schwächsten Verkehrsteilnehmer immer geschützt sind. Eine grüne Stadt soll entstehen, in der Obst und Gemüse angebaut werden.
Ein Fokus der Bürger liegt auffallend stark auch auf dem Zusammenhalt der Stadtgesellschaft: Man wünscht sich mehr Begegnungsräume, »in denen sich Menschen miteinander unterhalten, mehrsprachig, multikulturell und generationenübergreifend«.
Räte und Verwaltung waren begeistert von den Ergebnissen, die eine besondere Relevanz haben, weil die per Zufall ausgesuchten Teilnehmer eine »multiperspektivische Gruppe« bildeten, wie es VHS-Geschäftsführer Dr. Philipp Marquardt ausdrückte. Autofans, eingefleischte Radler, alles bunt gemixt – und so wurde hart gerungen, um gemeinsame Positionen zu finden. Die Teilnehmer selbst zeigten sich begeistert vom Format, das Dialog fördere und die Einsicht, dass man mit Schwarz-Weiß-Denken (auch) im Verkehrsbereich nicht weiterkommt. »Unglaublich hilfreich für uns«, fand Stefan Dvorak die Arbeit der Ehrenamtlichen. Der Leiter des Stadtplanungsamts hatte die Bürger auch mit auf einen Stadtspaziergang genommen und ihnen dabei »Orte des Gelingens« vorgestellt. »Die Wende geht langsamer als wir wollen«, verriet Baudezernentin Angela Weiskopf. Man müsse stets »dicke Bretter bohren«. (GEA)
SUPERBLOCK
Die Idee des Superblocks kommt aus Barcelona und basiert auf dem dort typischen schachbrettartigen Straßenmuster. In den betroffenen Blocks wird der Autoverkehr neu organisiert: Ein System von Diagonalsperren und Einbahnstraßen verhindert, dass das Wohnviertel durchquert werden kann. Fußgänger und Radfahrer haben Vorrang, Autos dürfen nur mit 10 bis 20 Stundenkilometern fahren. Bäume, Bänke: Aus Straßenraum entsteht Lebensraum. Die Zahl der lokaler Läden stieg um 30 Prozent. Auch in Deutschland trägt die Idee Früchte etwa in den »Kiezblocks« in Berlin. (GEA)