REUTLINGEN-BRONNWEILER. »Friedel, hosch kein Stuhl mehr?«, schallte es am Donnerstagabend durch die Bronnweiler Turnhalle. Dorfchefin Friedel Kehrer-Schreiber musste schon 20 Minuten vor Beginn der Bezirksgemeinderatssitzung Turnbänke hereintragen lassen.
Weil das Thema Windpark beim Käpfle auf der Tagesordnung stand, hatte die Bezirksbürgermeisterin die Sitzung in weiser Voraussicht vom Rathaus in die Turnhalle verlegt und begrüßte dort neben Projektierer Willi Schöller und seiner Tochter Miriam auch den Reutlinger Oberbürgermeister Thomas Keck, nebst Baubürgermeisterin Angela Weiskopf und Stadtplanungsamtschef Stefan Dvorak.
Kehrer-Schreiber wertete den Stuhlmangel positiv. Er zeige, »dass Interesse am Flecken besteht.« Eine »gute, konstruktive Sitzung« wünschte sich die Dorf-Chefin eingangs. Und – das sei vorweg gesagt: Diesem Wunsch trugen alle am Dialog Beteiligten Rechnung trotz des emotionalen Themas gerade auch für die, die in der Nähe der Windräder leben sollen. Wie berichtet, sollen auf der Vorrangfläche RT-TÜ-01 drei jeweils 262 Meter hohe Anlagen geplant werden: Der Abstand zum Bronnweiler Dorfrand betrüge 960 Meter. Zusammen mit den beiden auf Pfullinger Gemarkung geplanten würden die Anlagen für 35.000 Menschen Strom produzieren.
Das Reutlinger Unternehmen Schöller SI Erneuerbare ist von der interkommunalen Arbeitsgruppe zum Favoriten auserkoren worden. Es ist noch nichts geschwätzt. Das machten die Gäste auf dem Podium immer wieder deutlich. Diverse Gutachten stehen aus: von der Schallentwicklung bis zum Artenschutz. Auch die Windhöffigkeit wird noch über ein Jahr hinweg gemessen. Und: Das letzte Wort hat – voraussichtlich im Herbst – der Reutlinger Gemeinderat.
Oberbürgermeister Thomas Keck betonte einmal mehr: Die Stadt stehe auch angesichts des Klimawandels hinter dem Ausbau der erneuerbaren Energien, wolle ihren Beitrag dazu leisten und Reutlingen dabei auch als »modernen, dynamischen Wirtschaftsstandort« präsentieren und festigen. Der OB tat seiner Freude kund, »einen so guten Partner wie Schöller« gefunden zu haben. Der lokale Unternehmer zeige »große Offenheit« für die Belange der betroffenen Bürger. Er sei der Stadt »verbunden« und habe unter anderem mit einem Beteiligungsmodell gepunktet, dass auch weniger Betuchte anspricht: Ab 100 Euro können Bürger Genossenschaftsanteile erwerben.
CEO Willi Schöller und seine Tochter Mirjam, Mitgeschäftsführerin der Schöller SI, warben wie zuvor schon im Gönninger Bezirksgemeinderat für die Erneuerbaren (»die sauberste und günstigste Energie«) im Allgemeinen und ihr Vorhaben im Besonderen. Willi Schöller beteuerte: »Es geht uns nicht darum, mit Brachialgewalt Geld zu verdienen, sondern Sinnvolles, Nachhaltiges zu schaffen.« Er sieht »viel Angst vor Neuem, Unbekanntem« und lud auch die Bronnweiler auf die Alb nach Magolsheim. Dort werde in etwa zwei Wochen das erste Enercon-Windrad zu sehen und zu hören sein, das ähnliche Dimensionen hat, wie die für Bronnweiler vorgesehenen. »Sie werden erstaunt sein, wie wenig Sie hören. Sie werden um einiges entspannter sein.«
»Es gibt keine Probleme für Sie«
Zunächst konnten dann die Gremiumsmitglieder ihre Fragen loswerden: Corina Karls wollte wissen, warum Schöller in Gönningen einen Strombonus für Betroffene als "Bonbon" versprochen habe, wenn es doch seiner Lesart nach gar keine besondere Belastung gebe. »Es gibt keine Probleme für Sie«, beteuerte der Unternehmer. Raunen im Publikum: Das wollten viele im Saal nicht glauben.
Natürlich gebe es Menschen, die Windräder an sich störten, legte der Projektierer nach. Und die müssten eben mit der »optischen Belastung« leben. Über die Höhe des Zuschusses für die Stromrechnung mochte er sich nicht auslassen, versprach aber, dass es sich nicht nur um ein »Feigenblatt« handeln werde.
Ratsmitglied Jörg Luz sorgt sich als Metzger und Landwirt ums Streuobst, seine Tiere und die, die sie essen: Geraten über Abrieb von den Rotoren Mikropartikel in Nahrungsmittel? Willi Schöller dementierte nicht, konterte aber, dass Beschichtungen auf Autos oder Flugzeugen Gleiches erzeugten, ohne dass sich irgendjemand darum sorge. Ayline Müller fürchtet Auswirkungen auf die Bronnweiler Immobilienpreise durch nahe Windräder. Willi Schöller glaubt nicht an Wertminderung.
Und alle treibt die Sorge um, dass die Räder zu dicht am Ort stehen. Das war auch in der Publikumsfragerunde beherrschendes Thema. Was kommt konkret an Lärm bei den Häusern an? Schaukelt sich Schall angesichts der Topografie auf? Nachts mit offenem Fenster schlafen: vorbei? Der Unternehmer versprach »die besten, ruhigsten Räder der Welt« ohne Getriebe. Die Lärmgrenzwerte nannte er »streng«: 40 bis 45 Dezibel liege zwischen Flüstern und Sprechen. Die Topografie werde berücksichtigt. Komme zu viel Geräusch an, müssten Räder schallreduziert betrieben werden.
Die immense Höhe der Anlagen – eine neue Dimension – beunruhigt die Bürger ganz erheblich. Wegen der Anmutung, aber auch weil es sich um ein Erdbebengebiet handele. »Ist das der richtige Standort für die Riesendinger?«, fragte einer.
»Können wir nachts noch mit offenem Fenster schlafen?«
Viele leben der idyllischen Natur und der Ruhe wegen im Dorf. Dass ausgerechnet der schöne Bereich bei der alten Linde mal im Schatten eines Windrades stehen könnte, schmerzt viele und auch, dass intakter Wald mit alten Eichen »kaputt gemacht wird«. Einer wusste um die archäologische Bedeutung der Vorrangfläche: die Alteburg sei eine alte Ringburg, ein Kulturgut. Ist der Käpfle-Turm noch nutzbar, war eine der Fragen, die die Gäste mitnahmen, um sie am 28. Mai bei der großen Infoveranstaltung in der Gönninger Roßberghalle zu beantworten.
Turnhallen-Hausherr Willi Neu, engagierter Kritiker des Standorts seit dem ersten Aufkeimen der Idee vor gut zehn Jahren und nun Hauptinitiator der jüngst gegründeten Bürgerinitiative, spielte Geräusche aus Baiereck vor: Im Schurwald wurden Windräder, die vermutlich wegen Getriebefehlern zu laut sind, außer Betrieb genommen. Für Willi Schöller ist Baiereck hingegen »ein gutes Beispiel« dafür, dass strenge Vorgaben eingehalten werden. Sind Räder zu laut, würden sie abgeschaltet oder gedrosselt. Werfen sie zuviel Schatten, müsse der Betrieb ebenfalls reduziert werden. Auch anfliegende Vögel stellten moderne Anlagen still: Intelligente Kameras erkennen die Tiere.
Viele regten an, statt Wind- lieber mehr Sonnenkraft aus PV-Anlagen zu gewinnen. Schöller ist aber kein großer PV-Freund. »Wir machen das, wenn es sein muss.« Sonnenkollektoren verbrauchten viel mehr Fläche für die Stromproduktion.
»Was jetzt da passieren soll, ist Untergrenze«
Ein Windrad weniger zu errichten, mache den Standort Käpfle unwirtschaftlich, erläuterte Schöller auf Nachfrage und auch, dass die vier Konkurrenten im Verfahren die Flächen teils viel intensiver ausgenutzt hätten: »Was jetzt da passieren soll, ist Untergrenze.« Die Räder zu verschieben, sei keine Lösung. Es gehe nicht an, dass die Alb alle »Last« trage.
Auch Grünen-Gemeinderat Andres Lächele wagte die Opposition im Saal: Er wunderte sich unter Applaus über die Sorge vor Rotorenlärm von Ortschaftsräten, die im Rahmen der Diskussion um den Lärmaktionsplan gegen weitere Temporeduktion sind – obwohl doch die Lärmgrenzwerte für Windräder deutlich strenger seien als für den Verkehr. Ralf Glaunsinger sieht keine Vergleichsgrundlage. Es gehe schließlich um Dauerlärm.
Florian Klebs, Mitinitiator des unlängst gegründeten Bündnisses »Energie für Neckar-Alb«, erntete Applaus für seinen positiven Blick in die Zukunft – wenn denn die Stadt Ja sagt zum Standort Käpfle: »Unsere Kinder werden sagen, das war eine gute Entscheidung.« (GEA)