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Verwerten statt verfaulen lassen: Konzept für Reutlinger Streuobstwiesen

Hilfe für Streuobstwieseneigentümer: Die Reutlinger Stadtverwaltung will ein Verwertungskonzept in Auftrag geben.

Die Fülle der Natur in der Apfelerntezeit.
Die Fülle der Natur in der Apfelerntezeit. Foto: Landratsamt
Die Fülle der Natur in der Apfelerntezeit.
Foto: Landratsamt

REUTLINGEN. Oma, Opa, Mama, Papa und die Kinder: Im Herbst hieß es früher alle an die Bäume. Die Äpfel in die Mosterei hin- und den Saft heimkarren und dann trinken – bis zum Dünnpfiff. Wer selbst keine Streuobstwiese sein Eigen nennen konnte, mietete Bäume.

Nostalgie. Heute kaufen Papa und Mama geschmacklose Äpfel und Zuckerbrühe im Discounter. Gesundes regionales Kernobst verfault meist auf der Wiese. Fehlende Pflege, zunehmend auch Mistelbefall schwächt die Bäume. Mittelfristig droht der Verlust des Kulturguts Streuobstwiese, das die Landschaft um Reutlingen so markant prägt.

Die FWV-Fraktion hat den Antrag gestellt, die Bewirtschaftung von Streuobstwiesen zu erleichtern. Die Stadt soll Eigentümern bei der Abfuhr des Rasen- und Baumschnitts unter die Arme greifen. Katrin Reichenecker, Fachgebietsleiterin Natur-, Arten- und Bodenschutz im Grünflächenamt, unterbreitete nun im Bauausschuss den Vorschlag, für die auf Streuobstbeständen anfallende Biomasse ein Verwertungskonzept erstellen zu lassen, das sich neben der Abfuhr und Verwertung auch mit Schutz, Pflege und Entwicklung der Wiesen beschäftigen soll.

Einrichtung von Sammelstellen, Teilnahme an einem Modellprojekt zur Bekämpfung des Mistelbefalls – Ideen gibt es viele. Manches scheitert an der klammen Stadtkasse und/oder der Personalknappheit. Die Sache verkompliziert, dass 90 Prozent der Streuobstwiesen auf Reutlinger Gemarkung in Privatbesitz sind. Zugleich ist der Erhalt der Bestände eine gesetzliche Vorgabe.

700 Hektar Streuobstwiesen

Aufgrund der Komplexität der Materie soll nun ein externes Büro die Konzepterstellung übernehmen. Die ersten Angebote liegen vor. Mit rund 30.000 Euro ist zu rechnen. Ein Förderantrag ans Biosphärengebiet Neckar-Alb ist gestellt, der die halben Kosten kompensieren würde.

700 Hektar Streuobstwiesen liegen im Reutlinger Stadtgebiet, sie zählen zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. Die meisten Bäume wurden nach dem Kriege gepflanzt. Ihre ursprünglichen Besitzer sind unterdessen zu alt für die Pflege oder verstorben, die Erben vernachlässigen die Wiesen, weil sie oft kein Interesse daran haben, die Mühen scheuen oder weit weg gezogen sind.

Hackschnitzel oder Pflanzenkohle aus dem Holz, Biogas aus dem Grünschnitt, Wasserstoff aus Fallobst: Selbst auf vernachlässigten Streuobstwiesen liegen indes Rohstoffe für nachhaltiges Wirtschaften, explizit auch mit einer – derzeit noch in der Machbarkeitsprüfung befindlichen – Reutlinger Bioenergiezentrale.

Bereits 2014 hatte die Stadt einen Anlauf genommen, Schnittgut in Gönningen und Bronnweiler von den Technischen Betriebsdiensten entsorgen zu lassen. Sammelstellen wurden allerdings missbraucht, unter anderem für die Weihnachtsbaumentsorgung. Das Projekt wurde eingestellt. Auch der Versuch der Ansprache bei einer Informationsveranstaltung für Wiesenbesitzer im November zeitigte bisher noch wenig Wirkung.

Die Wiesen in den Fokus rücken

Findet man nachhaltige Lösungen? Das Gros der Gemeinderäte im Ausschuss ist zwar skeptisch, aber dennoch von der Wichtigkeit des Themas überzeugt. »Wir müssen das Thema Biosphärengebiet und die Streuobstwiesen in den Fokus rücken«, wünscht sich nicht nur FDP-Rätin Regine Vohrer, und so gab der Rat fast unisono grünes Licht für die Konzepterstellung und hatte dazu noch ein paar Ideen, wie Schwung ins Thema gebracht werden kann.

So regte Friedel Kehrer-Schreiber (FWV) an, Streuobstwiesen jungen Familien ohne Pacht zu überlassen. Sie wünscht sich auch baurechtliche Lockerungen. Würden Unterstände oder Geschirrhütten auf den Wiesen erlaubt, würden sie attraktiver für Freizeitnutzung werden, glaubt sie. Zugleich würden vor Ort untergebrachte Gartengeräte Pflege und Ernte erleichtern. Das Baurecht-Thema liegt allerdings in der Zuständigkeit des Landratsamtes. (GEA)